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Besucher der IAA betrachten in Frankfurt am Main einen Mercedes mit Brennstoffzellen-Technologie.

© dpa

Eröffnung der IAA: Automobile Dekadenz ohne Ende

Die Politik hat der Autoindustrie immer mehr Vertrauen geschenkt als gut war. Das muss sich ändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Die deutsche Autoindustrie weiß, wie man feiert. Mag der Diesel auch stottern – auf der IAA zeigt die Branche, dass sie das Partymachen nicht verlernt hat. Egal ob Diesel-, Benzin- oder Elektrowagen, präsentiert werden sie mit dem Showtalent der Jubel-Jahre. 228-mal feiert man in Frankfurt Weltpremiere. So voll wie bei Mercedes, BMW oder Volkswagen ist es nirgendwo auf der Internationalen Automobil-Ausstellung. Das Publikum reckt die Smartphones, um die Höhepunkte festzuhalten. Im weltweit größten und schönsten Schaufenster der Autoindustrie geht es zu wie bei einem Rockkonzert. War da was?

Angela Merkel erinnerte bei der Eröffnung daran: Der Diesel-Skandal habe Vertrauen zerstört, das die Autobauer schleunigst zurückgewinnen müssten. Kein überraschender Befund. Da hätte die Kanzlerin deutlicher werden müssen. Simuliert die IAA doch eine Welt, die es in der Realität nicht mehr oder noch nicht gibt. Der Diesel ist ein Auslaufmodell, Elektromobilität und autonomes Fahren sind Zukunftsmusik. Dazwischen sucht die Branche sich selbst und ihre Kunden. Und je bunter sie es treibt, desto dekadenter wird der Status quo.

Die Gäste stört es wenig. Eine Leistungsschau, zu der 10.000 Journalisten und 900.000 Besucher anreisen, will daran auch wenig ändern. Hier geht es ums Verkaufen. Der Reality-Check findet draußen statt, wenn die IAA vorbei ist, wenn der Alltag zurückkehrt – mit sinkenden Diesel- und mageren E-Auto-Verkäufen, mit einer Debatte um Fahrverbote und CO2-Grenzwerte, mit dem Kartellverdacht und der Glaubwürdigkeitskrise der wichtigsten deutschen Industrie.

Was die Autofahrer beschäftigt

Nach dem VW-Skandal beschäftigt viele der gut 40 Millionen Autofahrer hierzulande, ob man noch einen neuen Diesel kaufen kann und ob der alte nach dem Software-Update sauber ist. Großstädter, zumal die jüngeren, fragen sich, ob sie überhaupt ein Auto brauchen. Und wer ein Auto will, der fragt sich, ob er sich einen Neuwagen leisten kann; beim Elektroauto heißt die Antwort meist: nein. Natürlich kann man ein Auto mit 1000 PS bauen, das 2,7 Millionen Euro kostet – aber muss Mercedes es bauen? Natürlich kann man Concept-Cars vorführen, die Tesla angreifen sollen – aber müssten diese Audis, BMWs und Mercedes nicht längst auf der Straße gegen Tesla antreten?

Zu Recht hat die Kanzlerin auf die Investitionen der Hersteller in alternative Antriebe hingewiesen, die aus dem laufenden Geschäft bestritten werden müssen. Allein Volkswagen hat auf der IAA angekündigt, 20 Milliarden Euro für 80 neue E-Modelle auszugeben. Das ist eine Menge und doch weniger, als der Diesel-Betrug den Konzern kostet. Wer VW glaubt, bringt viel Optimismus mit.

Die Politik hat den Autobauern immer mehr Vertrauen geschenkt, als gut war. Weil in der Diesel-Affäre nicht nur die Betrüger, sondern auch die Weggucker in der Politik entlarvt wurden, fällt die Kritik nun – im Wahlkampf – umso schärfer aus. Überzeugend ist das alles nicht. So wie VW muss sich auch die nächste Regierung daran messen lassen, ob sie liefert, was angekündigt wurde: strengere Umweltstandards, genauere Kontrollen, eine insgesamt gesündere Distanz zu den Interessenlagen der Autolobby. Sonst wird das nichts mit der Mobilitätswende. Und sonst ist irgendwann Schluss mit der „Mobilitätsmesse“, wie die Industrie ihre PS-Show in Frankfurt nennt.

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