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Für die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ist die Gaskrise nur im EU-Verbund zu bewältigen.

© dpa/Lars Klemmer

Erdgaskrise in Europa: Zehn Ideen, wie Deutschland Energie einsparen kann

Deutschland muss seinen Gasverbrauch senken. Der Preis ist dabei das wichtigste Instrument. Doch es gibt noch mehr Möglichkeiten. Ein Gastbeitrag.

Der Gasverbrauch muss in den nächsten Monaten weiter massiv gesenkt werden. Wichtigstes Instrument sind dabei – so hart dies Haushalte und Unternehmen trifft – hohe Gaspreise. Sie zeigen Knappheiten und geben umfassende Anreize für Einsparungen. Die Preise für Gas an den Großhandelsmärkten sind hoch, kommen aber verzögert bei den Verbrauchern an.

Die politische Diskussion über Preisdeckelungen schafft weitere Unsicherheiten und reduziert die Anreize, als Reaktion auf hohe Preise oder in ihrer Antizipation zu sparen. Es kommt nun darauf an, weitere gut aufeinander abgestimmte Maßnahmen anzustoßen, und dies auch an die Bevölkerung zu kommunizieren. Folgende zehn Punkte wären ratsam.

1.   Preise an die Verbraucher weitergeben und im Gegenzug kompensieren

Preissteigerungen sollten nach nach einem klaren und transparenten Verfahren an die Verbraucher (Haushalte und Industrie) weitergegeben werden. Dabei muss die Notwendigkeit dieses Vorgehens klar kommuniziert werden. Härten müssen von vorn herein abgefedert werden.

Da viele Unternehmen und Haushalte bisher vor steigenden Preisen abgesichert waren, notwendige Preisanpassungen in jedem Fall über einen längeren Zeitraum stattfinden werden und politisch schwer vollumfänglich umsetzbar sind, sollten ergänzend zum Marktmechanismus weitere positive Anreizmechanismen zum Gassparen etabliert werden. Diese ziehen die Marktanreize nach vorne bzw. verstärken sie.

2.   Prämienprogramm für Haushalte für besonders umfangreiche Reduktion

Für eine besonders umfangreiche Reduktion des Gasverbrauchs sollten zeitnah hohe Prämien ausgelobt werden. Einsparungsziele sind dabei am historischen Konsum zu orientieren und nachher zu evaluieren. Dabei ist zu berücksichtigen: Eine frühe Ankündigung von Prämienprogrammen liefert höhere Einsparungen, da oft Investitionen und Vorlauf nötig sind.

3.  Anreize setzen, um den Gasverbrauch der Industrie nachhaltig zu reduzieren

Es muss ein Auktionsmechanismus etabliert werden, der Kompensationen für die Reduktion des Gasverbrauchs vergibt. Dabei darf man nicht nur temporäre Knappheiten adressieren. Förderung muss an Vorlagen gekoppelt sein, etwa an einen Energiesparplan der Unternehmen. Wenn der Verzicht eines Unternehmens umfangreiche Kaskadeneffekte auslösen würde, sollte es ein Ausschlussverfahren von der Auktion geben.

Veronika Grimm ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung.
Veronika Grimm ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung.

© AFP/Tobias SCHWARZ

Die Verstromung von Gas ist auf einem weiter hohen Niveau. Kohlekraftwerke erzeugen bei den augenblicklichen Preisen günstiger Strom als Gaskraftwerke, können aber noch nicht vollumfänglich am Strommarkt eingesetzt werden. Neben der Gaskrise gilt es, die Krise auf dem Strommarkt und mögliche zukünftige Engpässe zu berücksichtigen.

4.   Gasverstromung sofort durch Kohleverstromung ersetzen

Alle verfügbaren Kohlekraftwerke müssen sofort in den Markt gebracht werden, damit der Marktmechanismus wirken kann, um zusätzliche Gasmengen einzusparen. Streckbetrieb oder Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken können die Situation besonders auf dem Strommarkt vor allem mittelfristig entspannen. Hierzu bedarf es rasch einer umfassenderen Kosten-Nutzen-Analyse.

Gasspeicher stellen einen wichtigen Baustein der Energiesouveränität dar. Die Dynamik bei der Einspeicherung ist aber zuletzt abgeflacht.

5.   Effekte höherer Einspeisequoten für Speicher antizipieren

Höhere Einspeisequoten sind richtig. Sie erhöhen schon jetzt die Knappheit und bringen so die Versorgungssituation im Winter bereits heute in das Kalkül bei der Gasnutzung. Daraus resultierende Preissteigerungen bei den Entlastungen mitdenken.

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Die Gaskrise wird nur europäisch zu bewältigen sein. Deutschland spielt hierbei eine besondere Rolle.

Augenblicklich nutzt Russland seine Marktmacht auf der Angebotsseite, um durch Mengeneinschränkungen Unsicherheiten und Ängste zu schüren und Preise in die Höhe zu treiben. Die Einnahmen Russlands sind einzuschränken. Eine europäische Perspektive eröffnet hier weitere Handlungsmöglichkeiten.

6.  Gemeinsamer Einkauf von russischem Gas und Etablierung eines Preisdeckels

Die Verhandlungsmacht auf der Nachfrageseite muss durch einen zentralen europäischen Gaseinkauf gesteigert werden. Man sollte zudem eine Obergrenze für den Preis setzen, der für russisches Gas gezahlt wird, und sich gegen Drohungen eines russischen Lieferstopps wappnen.  

7.   Europäische Kooperation stärken bei Infrastruktur und Energiebeschaffung

Der Infrastrukturausbau bei Strom, Gas, Wasserstoff muss schneller und europäisch vorangebracht werden. Dabei ist auf Synergien zwischen Gas- und Wasserstoffnetzen zu achten, sowohl bei Entflechtung als auch bezüglich gemeinsamer Planungsverfahren und neuer Importwege. Auch Wasserstoff sollte gemeinsam, also im Verbund europäischer Staaten, eingekauft werden, um so mehr Lieferbeziehungen initiieren zu können und zu diversifizieren.

Andreas Löschel ist seit 2021 Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit, Ruhr-Universität Bochum.
Andreas Löschel ist seit 2021 Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit, Ruhr-Universität Bochum.

© Robert Hoernig

Haushalte und Unternehmen werden in den nächsten mindestens zwei bis vier Jahren von den Folgen der steigenden Energiepreise stark betroffen sein. Hier gilt es nicht nur rasche weitere Entlastungen auf den Weg zu bringen, sondern auch vorrauschauend diese mittelfristigen Herausforderungen in den Blick zu nehmen.

Hierzu ist der Rahmen für zielgerichtete Unterstützungen schnellstmöglich zu schaffen. Die Digitalisierung der Verwaltung ist eine der wichtigen Aufgaben für diese Legislaturperiode.

8.  Härten bei Haushalten und Unternehmen zielgerichtet abfedern und Transformation vorantreiben

Härten bei Haushalten sollten durch nicht zu restriktive Einmalzahlungen an Haushalte adressiert werden, die bis in die gesellschaftliche Mitte reichen. Sind die Zahlungen einkommenssteuerpflichtig, so erhalten untere Einkommensgruppen dabei mehr.

Der fraglos anfallenden Förderbedarf von Unternehmen in der Transformation ist aber so gering wie möglich zu halten. Das gelingt unter anderem, wenn verbindliche Zeitachsen etwa für die Verfügbarkeit von Infrastruktur (z.B. bei Wasserstoffnetzen), Zertifizierung klimaneutraler Energieträger und ambitionierter Bepreisung von CO2 in allen Sektoren geschaffen werden. Bei mittelfristig notwendigen Entlastungen gilt: Marktmechanismen nicht unterlaufen.

9. Personalisierte Auszahlungen an jeden Bürger ermöglichen

Es müssen umgehend die Voraussetzungen geschaffen werden, jedem Bürger und jeder Bürgerin gezielt Transferzahlungen zukommen zu lassen. Diese Infrastruktur für Direktzahlungen wird in mehreren Kontexten benötigt werden. Dabei sollten bestehende Strukturen soweit möglich genutzt werden. Der aktuelle Entwurf des Steuergesetzes zeigt hier in die richtige Richtung.

Nicht nur markbasierte Anreize helfen für Energiesicherheit und Resilienz, sondern auch nicht-preisliche Maßnahmen. Diese können ebenfalls kurzfristiger wirken und die Anreize durch hohe Preise verstärken.

10. Energiesparanreize durch verhaltensorientierte Maßnahmen stärken

Infokampagnen müssen zielgerichtet auf den Adressaten zugeschnitten werden und nützliche, klar verständliche und umsetzbare Empfehlungen geben. Diversen Akteure sollten eingebunden werden. Dabei kann man z.B. Briefe oder digitale Alternativen nutzen, um über zu erwartende Preissteigerungen oder konkrete Einspartipps zu informieren.

Ebenfalls wünschenswert ist eine zeitnahe Rückmeldungen über die aktuellen Gasverbräuche. Kleine Investitionen sollte man unterstützen, etwa in digitale Thermostate, um den Wärmebedarf relativ einfach zu steuern und zu optimieren.
Die Autoren: Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg und seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung (Wirtschaftsweise). Andreas Löschel ist seit 2021 Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum.

Veronika Grimm, Andreas Löschel

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