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Im Sleipner–Gasfeld, rund 250 Kilometer vor der norwegischen Küste, wird bereits seit über 20 Jahren Kohlendioxid verpresst.

© AFP

Erdgas, Wasserstoff, CO2-Speicher: Wie Norwegen die Energiewende befeuern will

Ministerpräsident Jonas Gahr Støre wirbt in Berlin für blauen Wasserstoff und CO2-Speicher in Norwegen. Im Fall einer akuten Gasnot könnte Norwegen allerdings nicht helfen.

Wenn Norwegens Regierungschef Energielösungen für Europa anpreist, fällt das Wort „Klimaneutralität“ neuerdings recht häufig. Dabei beruht ein guter Anteil des norwegischen Wohlstands auf Ausfuhren von Öl und Gas. Welcher norwegische Energieträger soll die Dekarbonisierung der deutschen Industrie also voranbringen? Kommt es zu einer Export-Energiewende? 

„Erneuerbare Energien brauchen als Back-up eine andere stabile Energiequelle. Ein Teil davon kann blauer Wasserstoff mit CO2-Speicherung sein“, sagte Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre am Mittwoch in Berlin.

Wasserstoff (H2), geologische CO2-Speicher und ein emissionsarmer Öl- und Gassektor – das ist die Formel mit der sich Norwegen seine Position als Energienation sichern will, wenn Europa sich auf Klimaneutralität umstellt. Derzeit erhält Deutschland noch 30 Prozent seines Gases aus Norwegen. Doch nun geht es um eine Transformation der Energiesysteme.

Aufmerksamkeit für sein Angebot bekommt Støre von Bundesregierung und Industrie: An einer Panel-Diskussion des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) nahmen am Mittwoch unter anderem Patrick Graichen, neuer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), Holger Lösch, Vize-Vorstandschef des Industrieverbands (BDI) und Sopna Sury teil, die beim Energiekonzern RWE die Wasserstoffstrategie verantwortet.

Norwegen kann ausbleibendes Gas aus Russland nicht ersetzen

Die Veranstaltung war überschattet von Sorgen über die Spannungen mit Russland. Støre bekräftigte, dass Norwegen mögliche ausbleibende Gaslieferungen Russlands nicht ersetzen könne. „Nach meinen Informationen liefern die norwegischen Unternehmen am Maximum ihrer Kapazitäten. Sie haben ihr Optimum erreicht. Die Lieferungen werden daher auf dem Niveau verbleiben“, sagte der Regierungschef.

Støres sozialdemokratische Arbeiterpartei hatte sich bei den Parlamentswahlen im September durchgesetzt und koaliert nun mit der Zentrumspartei in einer Minderheitsregierung. Eine grundlegend neue Energiepolitik war von den Parteien nicht zu erwarten. Die Sozialdemokraten und die Zentrumspartei hatten im Vorfeld sogar erklärt, neue Öl- und Gasressourcen erschließen zu wollen. Die norwegische Ölproduktion wird in den kommenden Jahren vermutlich anwachsen, auch die Gasförderung bleibt hoch. Daran beteiligt sich auch das deutsch-russische Öl- und Gasunternehmen Wintershall Dea, das am Mittwoch sieben weitere Förderlizenzen für die norwegische Nordsee erhalten hat.

Jonas Gahr Støre wirbt in Berlin um Energiepartnerschaften.
Jonas Gahr Støre wirbt in Berlin um Energiepartnerschaften.

© imago images/Jens Schicke

Støre preist mit Blick auf die Zukunft allerdings blauen Wasserstoff an, der per Dampfreformierung und unter Abscheidung und Einspeicherung von CO2 aus Erdgas gewonnen wird. Im vergangenen Jahr äußerten Vertreter des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Equinor zwar, es sei derzeit nicht rentabel, solchen Wasserstoff per Pipeline von Norwegen nach Deutschland zu bringen – die Idee ist vielmehr, das Erdgas zu exportieren und das CO2 nach seiner Abscheidung wieder zu importieren und unterseeisch einzuspeichern. Støre relativierte gegenüber dem Tagesspiegel aber, auch der Export blauen Wasserstoffs könne ein Geschäftsmodell werden.

Auf Kunden für Norwegens Energieexport und CO2-Import hofft Støre vor allem in Deutschland. Die deutsche Industrie sucht händeringend nach Lösungen für ihre emissionsintensiven Prozesse. „Wir werden CO2-Speicherung im Untergrund brauchen. Ohne diese wird es nicht gehen“, sagte BDI-Vertreter Lösch. „Auch die Entstehung eines globalen Wasserstoffmarktes ist nun entscheidend.“

„Wenn wir über Klimaneutralität reden, braucht es grünen Wasserstoff“

Über die Farbe des Wasserstoffes wird Støre mit dem nun grün geführten BMWK so schnell wohl nicht einig werden. „Wenn wir über Klimaneutralität reden, braucht es grünen Wasserstoff“, sagte Staatssekretär Graichen. Dieser wird aus Wasser mit Strom aus Erneuerbaren gewonnen. Støre hält einen Export aus Norwegen aufgrund des Transports über weite Strecken für unrentabel.

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Der norwegische Regierungschef nutzte seinen Deutschland-Besuch aber, um für sein Land als Ort für CO2-Speicherung zu werben. Beim CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage), wird CO2 in aufgefangen und dann in geologische Speicher wie etwa leergeförderte Erdgasfelder gepumpt. zu. Ein Verfahren, das nicht nur für die Produktion blauen Wasserstoffs, sondern beispielsweise auch für die CO2-intensive Zementindustrie relevant werden könnte. 

Norwegen will CO2 aus Deutschland im Untergrund speichern

Die Norweger verweisen gerne darauf, dass sie seit Jahrzehnten Erfahrungen mit CCS sammeln. Im Feld Snøhvit etwa, rund 140 Kilometer vor Hammerfest, wird seit 2008 im norwegischen Kontinentalsockel unter der Barentssee CO2 eingespeichert. Ähnlich passiert es im Feld Sleipner zwischen der norwegischen und britischen Küste seit 1996. Weit über 20 Millionen Tonnen CO2 sind so verpresst worden.

Mit einem neuen Projekt, „Northern Lights“, bieten Equinor sowie die Ölkonzerne Shell und Total Energies den Transport und die Einlagerung von CO2 an. Im Januar 2019 erhielt Equinor dafür die Genehmigung. Geplanter Start der Einlagerung: 2024. Für die deutsche Industrie könnte das ein interessantes Angebot werden. In Deutschland scheiterten CCS-Projekte in der Vergangenheit am Widerstand von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und den Bundesländern. Støre kennt die alte Debatte – und betonte gleich mehrfach, dass eine Lagerung in Norwegen fern jeder Ortschaft stattfinden soll.

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