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Streitfall Kohle: Das Kraftwerk Niederaußem in Nordrhein-Westfalen. Das Bundesland ist eines von vieren, die besonders betroffen sind.

© Christoph Hardt/imago

Energiewende: Was kostet der Kohleausstieg?

Es geht um circa 90 Milliarden Euro: Der Kompromiss zum Ausstieg aus der Kohleverstromung wird viel Geld kosten. Bund und Länder verhandeln jetzt darüber.

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Was kostet der Kohleausstieg? Eine einfache Frage, doch die Chefs der Kohlekommission blocken ab. „Ich lasse mich auf die Gesamtrechnung, was der Kohleausstieg kostet, nicht ein“, sagt Ronald Pofalla, Bahnvorstand und einer der vier Vorsitzenden der Kommission, die am Sonnabend ihre Empfehlungen an die Politik vorgelegt hat.

Die Kommission habe deswegen auch keine Gesamtsumme im Abschlussbericht festgeschrieben. Das heißt mit anderen Worten: Fest abgemacht ist noch nichts, das Schachern geht jetzt erst richtig los. Trotzdem lässt sich schon grob absehen, was wie viel kosten wird.

Strukturhilfe für die Regionen

Vier Bundesländer sind vom Kohleausstieg besonders betroffen, weil sich dort Braunkohlereviere befinden und nicht nur Steinkohlekraftwerke: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg im Osten, Nordrhein-Westfalen im Westen. Insgesamt arbeiten laut dem Braunkohleverband Debriv rund 20.000 Beschäftigte in den Revieren. Die Länder und dort speziell die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen sollen über einen Zeitraum von 20 Jahren 40 Milliarden Euro vom Bund bekommen.

Gesichert werden soll die Summe über einen Staatsvertrag, der auch für künftige Bundesregierungen bindend ist.

Doch darüber hinaus soll der Bund den Ländern 700 Millionen Euro pro Jahr zur Absicherung über 20 Jahre zur Verfügung zu stellen – unabhängig von konkreten Projekten. Das wären also noch einmal 14 Milliarden Euro. Es gibt zudem ein Sofortprogramm der Bundesregierung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich bis 2021. Dafür stehe Geld im Bundeshaushalt zur Verfügung, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Ergo: Weitere 4,5 Milliarden. Das Preisschild für die Strukturhilfen beläuft sich also doch bereits auf etwa 60 Milliarden Euro an Ausgaben. In trockenen Tüchern ist das freilich noch nicht. Am Donnerstag wollen sich die Ministerpräsidenten der Kohleländer treffen, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Einzelheiten zu besprechen.

Hilfe für die Beschäftigten

Für Beschäftigte in den Tagebauen und Kraftwerken ab 58 Jahren, die die Zeit bis zur Rente überbrücken müssen, soll es ein Anpassungsgeld geben – sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Das könnte fünf Milliarden Euro kosten, die Arbeitgeber und Staat gemeinsam schultern könnten.

Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen werden. Für jüngere Arbeitnehmer soll es Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen geben, Vermittlung in andere Jobs und Finanzhilfen bei Lohneinbußen.

Höhere Strompreise abfedern

Nimmt man Kraftwerke aus dem Markt, sinkt das Angebot – und die Preise steigen, sowohl für Industrie als auch Haushalte. Das Problem ist aber: Wie genau der Effekt ist, lässt sich sehr schwer abschätzen. Die Wirtschaftsverbände hatten kurz vor der Einigung ein Horrorszenario gemalt, das Zusatzkosten bis 2030 von bis zu 54 Milliarden Euro vorsieht, aber nur, wenn der Gaspreis steigt und der Kohlepreis sinkt – was selten vorkommt. 14 Milliarden wären es über sieben Jahre gerechnet, wenn die Entwicklung normaler verläuft.

Die Kohlekommission hält sich in ihrer Empfehlung an diese Größenordnung. „Aus heutiger Sicht ist zum Ausgleich dieses Anstiegs ein Zuschuss in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr erforderlich“, heißt es im Abschlussbericht. Zum Beispiel, indem die Stromnetzgentgelte bezuschusst werden. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) findet eine Reform und Senkung der Stromkosten gut.

Zudem soll die die energieintensive Industrie dauerhaft von Kosten entlastet werden, die durch den Preis der CO2-Verschmutzungsrechte entstehen, die Kohle- und Gaskraftwerke kaufen müssen. Eine Kompensation dieser indirekten Kosten gibt es bereits, sie läuft aber 2020 aus.

Die Regierung will eine Verlängerung bei der EU beantragen. Bislang fließen knapp 300 Millionen Euro pro Jahr, also auf zehn Jahre gerechnet nochmals drei Milliarden Euro.

Entschädigung für Betreiber

Schließlich soll es auch noch Geld geben für die Betreiber der Kraftwerke, die früher vom Netz müssen. 600 Millionen Euro pro Gigawatt Braunkohle ist eine Größenordnung, die die Runde macht, 200 Millionen bei Steinkohle. Das käme bei zusätzlich drei Gigawatt Braunkohle (entspricht drei großen Kraftwerksblöcken) auf 1,8 Milliarden Euro, vier Gigawatt Steinkohle würden 800 Millionen Euro ausmachen.

Die Schlussrechnung

Insgesamt sind demnach rund 90 Milliarden Euro an Zahlungen in der einen oder anderen Form im Gespräch. Eine erstaunliche Summe angesichts der Tatsache, dass der Kohleausstieg damit nur einige Jahre, Experten gehen von maximal zehn aus, vorgezogen wird. Denn der EU-Emissionshandel, der die ausgestoßenen Mengen nach und nach reduziert, macht die Kohle sowieso perspektivisch unwirtschaftlich.

In Großbritannien zum Beispiel hat die Regierung darauf gesetzt, dieses Instrument durch einen ergänzenden CO2-Preis einfach zu verschärfen. So sank dort der Anteil des Kohlestroms innerhalb von fünf Jahren von über 40 Prozent – also so viel wie in derzeit in Deutschland – auf zuletzt nur noch sieben Prozent.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zufolge soll es möglichst keine neuen Schulden oder Steuererhöhungen geben, um den deutschen Kohlekompromiss zu finanzieren. Außerdem solle niemand beim Strompreis über Gebühr belastet werden, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. Dies sei eine „schwierige Aufgabe“, die die Politik nun zu leisten habe. Gedanken über die Finanzierung des Kohleausstiegs wird sich jetzt vor allem auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) machen müssen.

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