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Graforce-Gründer Jens Hanke mit einem Fläschchen Kohlenstoff: Die Menge entstehe beim Erwärmen des Wassers, das beim Duschen verbraucht wird. Und zwar nur in einer Sekunde, sagt Hanke.

© promo

Energiewende mit Technologie aus Berlin: Wasserstoff aus dem Wunderkessel

Plasmalyse statt Elektrolyse: Die Berliner Firma Graforce macht aus Schmutzwasser Energie. Das Unternehmen kann sich vor Anfragen kaum retten. .

Von diesem Problem träumt jeder Geschäftsmann: Potenzielle Kunden stehen Schlange und das Produkt verkauft sich wie geschnitten Brot. „Die Telefone stehen nicht still“, erzählt Jens Hanke, Chef der Wasserstofffirma Graforce. „Wir müssen nicht mehr akquirieren.“ Der Berliner Mathematiker gründete die Firma 2012 und profitiert vom Hype um den Wasserstoff, der in den nächsten Jahrzehnten Kohle, Öl und Gas ersetzen und das Klima retten soll. „Was wir machen, ist einzigartig auf der Welt“, sagt Hanke im Gespräch mit dem Tagesspiegel und erklärt die große Nachfrage unter anderem mit dem Preisvorteil: „Unser Wasserstoff wird viel günstiger produziert als bei der Elektrolyse.“

Bei der Elektrolyse entsteht aus erneuerbarer Energie Wasserstoff, bei der Plasmalyse von Graforce funktioniert das auch mit Schmutzwasser aus Kläranlagen oder der Gülle von Bauern. Wenn eine Graforce-Anlage aus Biogas Wasserstoff produziert, dann liegen die Herstellungskosten Hanke zufolge bei 3,80 Euro je Kilogramm Wasserstoff. Bei der Elektrolyse – Hanke legt 18 Cent je Kilowattstunde Grünstrom zugrunde – koste das Kilogramm dagegen neun Euro. „Wir Deutschen haben uns auf die Elektrolyse konzentriert“, meint Hanke. Doch das ändert sich gerade.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr die nationale Wasserstoffstrategie beschlossen; allein im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets sind sieben Milliarden Euro für Dutzende Projekte vorgesehen. Europaweit dürften Schätzungen zufolge bis 2030 rund 400 Milliarden Euro in den Stoff der Zukunft fließen.

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Fördermittel und die Unterstützung der Familie Wendeln (Golden Toast, Lieken Urkorn) habe Graforce (für Green-RAdiation-FORCE) die Entwicklung vom Start-up zu einem Technologieunternehmen mit gut 30 Mitarbeitern in Adlershof ermöglicht. „Der Standort hat sich sensationell entwickelt“, lobt Hanke den Technologiepark. „Für Produktionstechnik, den Anlagen- und Maschinenbau ist Adlershof super.“

Wasserstoff aus der Kläranlage

Etwas weiter südlich, in Waßmannsdorf, nimmt in diesen Tagen eine Graforce-Anlage den Betrieb auf. Mit dem Geld aus einem „CombiFuel“-Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums hat Hanke dort für rund eine Million Euro eine Pilotanlage gebaut für das Klärwerk der Berliner Wasserbetriebe (BWB). Bei der plasmabasierten Wasserelektrolyse (Plasmalyse) wird grüner Wasserstoff aus dem sogenannten Zentratwasser der Klärschlammentwässerung erzeugt. 3000 Liter Schmutzwasser kann die Anlage in einer Stunde verarbeiten. Das ist erst mal ein Anfang: Durch die Kläranlagen der BWB rauschen jeden Tag 600 000 Kubikmeter Wasser.

Groß sind die Erwartungen an den „Wunderkessel“ von Graforce, wie BWB-Sprecher Stephan Natz sagt. Die Wasserbetriebe unterhalten einen Fuhrpark von fast 1000 Fahrzeugen, der in den kommenden Jahren auch durch den Einsatz von Wasserstoff sauberer werden soll. Und die Graforce-Anlage verspricht Hilfe bei der Reinigung des mit Ammonium verschmutzten Wassers, das übrig bleibt, nachdem der Klärschlamm getrocknet wurde, um ihn in Heizkraftwerken verbrennen zu können. „Das ammoniumhaltige Wasser wird mittels Plasmalyse zwischen zwei Elektroden in Wasserstoff und Stickstoff gespalten. Mit einer spezifischen Gasmembran-Technologie werden diese Gase dann getrennt und in Behältern zur weiteren Verwendung gespeichert“, beschreibt Graforce das Verfahren. Der gewonnene Wasserstoff kann dann zusammen mit Methan die Fahrzeuge der Wasserbetriebe mit Verbrennungsmotor antreiben.

Weniger CO2 im Hotel

Für ein anderes Projekt bekam Hanke im vergangenen Herbst den Innovationspreis der deutschen Gaswirtschaft. Das Berliner MOA Hotel mit 336 Zimmern kann künftig auch mit Wasserstoff aus Erdgas oder Biogas geheizt werden. Beide Gase bestehen hauptsächlich aus Methan, und durch das Methan-Plasmalyse-Verfahren wird eben dieses Methan in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten. Weil nicht das Methan, sondern der Wasserstoff verbrannt wird, „ermöglicht die Methan-Plasmalyse eine emissionsfreie Wärmeerzeugung“, heißt es bei Graforce. Und der Kohlenstoff kann zum Beispiel für die Herstellung von Asphalt verwendet werden. „Entweder wir heizen zukünftig alle mit erneuerbarem Strom oder wir machen die Erdgasversorgung mit Wasserstoff klimafreundlich“, beschreibt Hanke die Alternativen.

Dekarbonisierung von Erdgas

Im kommenden Jahr hat er vier neue Anlagen im Plan, darunter Immobilienprojekte in Leipzig und Berlin, die ähnlich wie das MOA mit Wasserstoff geheizt werden. In Niedersachsen wird eine Graforce-Anlage aus Biogas Wasserstoff herstellen für Lkw, und in Österreich ist eine Anlage zur Dekarbonisierung von Erdgas geplant. Im nächsten Schritt der Unternehmensentwicklung geht es dann um die Skalierung der Technologie, also von den Referenz- oder Pilotanlagen zum großindustriellen Einsatz.

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„Kunden in bestimmten Marktsegmenten können von uns Lizenzen für den Bau oder Betrieb von Plasmalyse-Anlagen bekommen“, erläutert Hanke das Geschäftsmodell, das durch das Engagement der Familie Wendeln abgesichert sei. „Wir haben zum Glück keinen Venture Capital Fonds an Bord, der an schnellen Erträgen interessiert ist“, sagt der Graforce-Gründer. „Stattdessen begleitet uns ein deutscher Unternehmer als strategischer Investor bei der Weiterentwicklung.“

Konzerne wollen sich beteiligen

Doch der Investor bekommt vermutlich bald Gesellschaft. „Große Konzerne möchten uns als Partner haben, und mit denen verhandeln wir auch über mögliche Beteiligungen“, erzählt Hanke im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Mit diesen Partnern wollen wir wachsen.“ Einer der Investoren stamme aus der Öl- und Gaswirtschaft, da geht es dann also vorrangig um die Dekarbonisierung von Gas, der andere sei ein Anlagenbauer, der in der klimaneutralen Strom- und Wärmeerzeugung unterwegs ist.

Das Potenzial der Plasmalyse und damit der Graforce schildert Hanke am Beispiel eines Telefonanrufs aus Indien. Ein Vertreter von Tata, des größten indischen Konzerns, habe angefragt, ob Hanke den Ganges reinigen könne.

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