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Niederaußem

© dpa

Energie: Widerstand im ganzen Land

Proteste gegen Energieprojekte nehmen zu. Sechs Kohlekraftwerke werden blockiert, aber auch Anlagen mit erneuerbarer Energie sind umstritten. Das treibt die Strompreise und gefährdet die Versorgungssicherheit.

Ausgerechnet wenn es kräftig weht und die Kasse gerade zu klingeln beginnt, muss Wolfgang Paulsen oft hilflos mit ansehen, wie seine Windräder sich plötzlich immer langsamer drehen. „Dann hat uns der Stromnetzbetreiber mal wieder runtergeregelt“, sagt der Geschäftsführer von zwei Bürgerwindparks in Schleswig-Holstein. Per Funksignal drosselt Eon die Windmühlen, damit das Netz nicht überlastet wird. Die Windräder liefern dann deutlich weniger Strom als möglich. „Das ist natürlich ärgerlich“, sagt Paulsen.

Das Netz ist der Stromflut aus dem Norden auch deshalb nicht gewachsen, weil der Bau neuer Leitungen ein paar hundert Kilometer südlich aufgrund von Protesten stockt. In Niedersachsen haben Bauern Plakate mit den Worten „Vorsicht Höchstspannung“ vor ihren Höfen aufgestellt. Sie fürchten Elektrosmog und eine Verschandelung der Landschaft durch die geplante 380.000-Volt-Leitung, die den Windstrom von der Küste zu den Großverbrauchern im Süden bringen soll.

Nicht nur beim Netzausbau bereiten Bürgerproteste der Stromwirtschaft zunehmend Schwierigkeiten. Überall im Land stehen Projekte auf der Kippe, mit denen die Branche auf tief greifende Änderungen im Energiesektor reagiert: Der immer intensivere Stromhandel erfordert stärkere Leitungen. Atomkraftwerke müssen durch neue Anlagen ersetzt werden. Und der Klimawandel macht eine kohlendioxidarme Stromproduktion unausweichlich. Schätzungen zufolge könnten in Deutschland 25 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Doch das wird immer schwieriger.

„Das Investitionsklima hat sich in Deutschland bereits deutlich verschlechtert“, sagt Manuel Frondel, Energieexperte am Essener Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Bestes Beispiel ist die Kohle: Zuletzt gab sich RWE im saarländischen Ensdorf geschlagen, wo die Bevölkerung im November per Bürgerentscheid den Bau eines Kohlekraftwerks ablehnte. Der Konzern prüft nun alternative Standorte. In Berlin stößt Vattenfall auf Kritik mit dem Plan, das alte Braunkohlewerk Klingenberg durch ein Steinkohlekraftwerk zu ersetzen. Bundesweit sechs Kohlemeiler seien durch Proteste zuletzt verhindert worden, freut sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

„Nach dem politisch gewollten Ausstieg aus der Kernenergie sind wir jetzt dabei, die Kohle ins energiepolitische Abseits zu stellen“, klagte jüngst Wulf Bernotat, der Chef von Eon. Der größte deutsche Energiekonzern will Anlagen nach eigenen Angaben künftig eher im Ausland bauen. „Das ist keine Drohung, sondern eine ganz normale betriebswirtschaftliche Folge“, sagte ein Konzernsprecher auf Anfrage. Die zuletzt gemachten Investitionszusagen wolle der Konzern einhalten, doch langfristig werde sich die Stimmung wohl negativ auf Projekte in Deutschland auswirken.

„Ein Kohleausstieg würde die Versorgungssicherheit massiv gefährden“, warnt Energieexperte Frondel, „und die Strompreise würden sich vervielfachen.“ Dieses Szenario macht Bundeskanzlerin Angela Merkel Sorgen. Sie werde nicht zulassen, „dass man in Deutschland die Kernkraftwerke abschaltet und sich dann anschließend wundert, dass wir kein Energieerzeugerland mehr sind“, sagte sie im Bundestag.

Umweltschützer begrüßen dagegen das kompromisslose Eintreten von Bürgern und Kommunalpolitikern für den Klimaschutz. „Das kritische Verhalten der Bürger hat seine Wurzeln sicher auch in der Anti- Atomkraftbewegung und den Demonstrationen von Wackersdorf und Brokdorf“, sagt BUND-Sprecher Rüdiger Rosenthal. Große Teile der Bevölkerung wünschten sich viele kleine, umweltfreundliche Kraftwerke statt Mammutprojekte und setzten auf erneuerbare Energien. Das bestätigt eine Allensbach-Umfrage, nach der drei Viertel der Bevölkerung für den Ausbau erneuerbarer Energie plädieren.

Der Enthusiasmus scheint für viele jedoch nur so lange vorzuhalten, bis die Anlagen in der Nähe des eigenen Hauses geplant werden. Denn auch Windparks und Biogasanlagen stoßen auf Widerstand – weil sie die Sicht versperren oder einen unappetitlichen Geruch verströmen. So machen die Bewohner des Dorfes Suckow in Mecklenburg aus Angst vor Gestank derzeit fast geschlossen Front gegen eine Biogasanlage, die 7200 Haushalte versorgen soll.

Die Gegner der von Eon geplanten Stromleitungstrasse in Niedersachsen fordern gemeinsam mit dem Land, die Leitungen unter die Erde zu verlegen. Das verdreifacht aber die Kosten des Projekts – und verteuert auch den Strom.

Windmüller Paulsen aus Husum plant derweil seinen nächsten Windpark in der Nordsee. Damit der Strom problemlos abfließen kann, sind weitere Leitungen im Binnenland nötig. Doch die Genehmigungen laufend schleppend. Weiter als im deutschen Ökostrom-Musterland ist man in Großbritannien. Dort sind die ersten Offshore-Windparks längst am Netz.

Nils Sorge

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