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Die Kampfpanzer "Leopard 2" der Bundeswehr einsatzbereit zu halten, kostet Millionen. Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) rechnet mit steigenden Umsätzen in den kommenden Jahren.

© dpa

Exklusiv

Ende des INF-Vertrags: Die Rüstungskonzerne sind die großen Gewinner

Je unsicherer die Weltlage, desto besser die Aussichten der Industrie. Deutschlands neue Raketenabwehr steht sinnbildlich dafür – könnte aber billiger werden.

Der INF-Vertrag ist Geschichte, die Situation im Iran verschärft sich und die politische Lage ist weltweit so unsicher wie wohl seit Jahren nicht mehr. Nicht erst die mutmaßliche Explosion einer russischen Nuklearrakete – und die Reaktion von US-Präsident Donald Trump, der von ähnlichen, aber weiter entwickelten US-Waffen sprach – machte deutlich, wie selbstverständlich Aufrüstung in der Geopolitik wieder ist.

Das Bündnis ICAN, das für seinen Kampf gegen Atomwaffen 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, spricht bereits von einer ähnlich angespannten Situation wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Wäre diese These korrekt, gäbe es vor allem einen Gewinner: Die Rüstungsindustrie.

Auch wenn sich die Branche abseits der für börsennotierte Unternehmen verpflichtenden Zahlen zugeknöpft gibt, weisen doch viele Indizien darauf hin, dass die Geschäfte für Waffenhersteller florieren wie lange nicht. Schon ein Blick auf die globalen Rüstungsausgaben des vergangenen Jahres bestärkt diese Annahme. Laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri flossen 2018 rund 1822 Milliarden US-Dollar in Rüstungsgüter, ein Plus von 2,6 Milliarden im Vergleich zum Vorjahr.

Die USA gaben dabei fast so viel aus wie die acht Länder auf den Plätzen zwei bis neun zusammen. Zudem stiegen die US-Ausgaben zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder an. Für die kommenden 20 Jahre plant das Weiße Haus rund 1,8 Billionen Dollar ein. Die russischen Rüstungsausgaben blieben konstant und liegen bei rund einem Zehntel derer der USA.

Deutschland exportiert mehr Rüstungsgüter

Auch in Deutschland zeigten zuletzt alle Zahlen nach oben. Mit einem Anteil von 6,4 Prozent an allen weltweiten Rüstungsausfuhren ist die Bundesrepublik unter den fünf größten Exporteuren weltweit. Der exportierte Wert von 5,3 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2019 bedeutete einen sprunghaften Anstieg, lag der Betrag im gesamten Jahr 2018 doch nur bei 4,8 Milliarden und war zuvor drei Jahre lang rückläufig.

Entsprechend gut verdienten die deutschen Rüstungskonzerne zuletzt. Rheinmetall etwa steigerte den Gewinn seiner Militärsparte 2018 um fast 50 Prozent. Auf einer Analystenkonferenz im November sprach der Konzern gar von einem anstehenden „Super-Zyklus“. Bereits seit Russlands Annexion der Krim 2014 würde weltweit mehr in Rüstung investiert. In einer Mitteilung zu den Halbjahreszahlen 2019 schrieb der Konzern, man spüre „verstärkt den großen Nachholbedarf in der militärischen Beschaffung in vielen Ländern“. In den ersten sechs Monaten wuchs der Umsatz der Rüstungssparte erneut um 8,8 Prozent, das Ergebnis verdoppelte sich auf Jahressicht sogar.

Der Panzerbauer Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) aus München hatte schon vor einem Jahr verkündet, angesichts der wachsenden Zahl von Auslandseinsätzen und neuer Spannungen mit Russland mit Rüstungsaufträgen in zweistelliger Milliardenhöhe zu rechnen. Insgesamt müssten bis 2050 über 100 Milliarden Euro investiert werden, sagte KMW-Geschäftsführer Frank Haun damals dem „Handelsblatt“. Wenn sein Konzern davon nur die Hälfte abbekäme, „sind wir glücklich“.

Verteidigungsminsiterin Annegret Kramp-Karrenbauer (hier mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg) will das Ziel erreichen, zwei Prozent des Bundeshaushaltes für Verteidigungzwecke auszugeben.
Verteidigungsminsiterin Annegret Kramp-Karrenbauer (hier mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg) will das Ziel erreichen, zwei Prozent des Bundeshaushaltes für Verteidigungzwecke auszugeben.

© AFP

Und selbst der krisengebeutelte Waffenhersteller Heckler & Koch verkündete auf der Hauptversammlung vor einem Monat stolz: „Wir sind wieder auf Kurs.“ Der Umsatz habe sich auf Jahressicht um 15 Prozent gesteigert, der Auftragseingang liege über den Erwartungen.

In den USA beobachtet man gerade in Europa die Bereitschaft für höhere Rüstungsausgaben. „Es gibt in Europa einen großen Appetit auf Verteidigung insgesamt“, sagte etwa Boeing-Manager Thomas Breckenridge im Juni auf der Luftfahrtmesse in Paris. Auch Vertreter der Konzerne Lockheed Martin und Raytheon berichteten von regem Interesse an Kampffliegern, Raketenabwehrsystemen und anderen Waffen.

Das Zwei-Prozent-Ziel bringt Milliarden

Doch nicht nur politische Unsicherheiten forcieren neue Aufträge. Auch das beharrliche Pochen von Donald Trump auf das Zwei-Prozent-Ziel kurbelt das Geschäft an. Allein aus Deutschland bedeutet das jährlich mehrere Milliarden mehr. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, bis 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsprojekte auszugeben. Das würde eine Erhöhung des Wehretats von derzeit 43 Milliarden Euro um je nach Wirtschaftsentwicklung rund vier Milliarden bedeuten. Bei guter Konjunktur könnten es allerdings auch deutlich mehr sein.

Um diese komfortable Lage weiß man in der Industrie. Ohne Frage führe der Bedarf der Bundeswehr „nach mehr und neuer qualifizierter Ausrüstung bei der deutschen Verteidigungsindustrie absehbar zu ansteigenden Umsätzen“, teilt der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) auf Tagesspiegel-Nachfrage mit. Und da Kramp-Karrenbauer die Ausgaben perspektivisch auf zwei Prozent anheben will, können die Konzerne allein aus Deutschland weiterhin mit steigenden Einnahmen rechnen.

Im der ersten Hälfte dieses Jahres hat der Bundestag 15 Beschaffungsverträge mit einem Gesamtauftragsvolumen von rund 4,6 Milliarden Euro beschlossen. Dafür sollen unter anderem Lenkraketen gekauft werden und der Kampfpanzer Leopard 2 einsatzbereit gehalten werden. Bis Ende des Jahres sollen weitere Milliarden bewilligt werden, etwa für neue Mehrzweckkampfschiffe, Sanitätsfahrzeuge, PAC-3-Raketen für das Abwehrsystem Patriot.

Streit um neues Raketenabwehrsystem

Und genau hier kommt ein Rüstungsprojekt ins Spiel, das wie kaum ein anderes Ausdruck der unsicheren Weltlage ist und gleichzeitig eines der teuersten Projekte der kommenden Jahre werden dürfte. Die Bundeswehr will sich für rund acht Milliarden Euro ein neues Raketenabwehrsystem zulegen. Das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) des europäischen Konzerns MBDA in Zusammenarbeit mit Lockheed Martin soll ab 2030 das aktuelle System Patriot von Raytheon ersetzen.

„Das Auslaufen des INF-Vertrages ist einer der Gründe, warum Deutschland in ein neues Schutzsystem wie TLVS investieren muss“, sagte Thomas Gottschild, Deutschland-Chef von MBDA kürzlich dem Tagesspiegel und spricht von "neuen Bedrohungen" mit Blick auf neue russische Waffensysteme. „TLVS bietet die Möglichkeit, Ballungszentren und damit den absoluten Großteil der deutschen Bevölkerung zu schützen.“ Der Schutzbereich sei acht Mal größer als bei bestehenden Systemen.

Raytheon will billiger und schneller liefern

Doch der Bundesrechnungshof prüft derzeit die Kostenentwicklung, denn ursprünglich waren nur vier Milliarden Euro veranschlagt. Konkurrent Raytheon rechnet sich deshalb noch Chancen aus, dass Deutschland bei Patriot bleibt. Wenn die Bundesregierung das Angebot von MBDA ausgewertet hat, „stehen wir bereit“, sagte Raythons Europa-Chef Bruce Eggers dem Tagesspiegel. „Unser Angebot liegt auf dem Tisch.“

Raytheons Europa-Chef Bruce Eggers hofft, doch noch den Auftrag für die Erneuerung des Luftabwehrsystems Patriot zu bekommen.
Raytheons Europa-Chef Bruce Eggers hofft, doch noch den Auftrag für die Erneuerung des Luftabwehrsystems Patriot zu bekommen.

© Raytheon

Er sieht Raytheon klar im Vorteil, eine 360-Grad-Abwehr und der acht Mal größere Schutzradius sei auch mit einer Weiterentwicklung von Patriot möglich. „Bei Patriot kennt und besitzt Deutschland bereits das Herz des Systems“,so Eggers. „Um dieses Herz herum können wir eine Sicherheitsarchitektur bilden, die denselben Schutz bietet wie TLVS.“ Zudem wirbt er mit deutlich geringen Kosten. „Ich kann Ihnen garantieren, dass das halb so teuer wäre wie das Angebot von MBDA.“ Außerdem verspricht er, dass Raytheon das Patriot-Upgrade „weitaus früher fertigstellen könnte als MBDA ihr TLVS“. Schließlich befinde sich die Konkurrenz noch im Entwicklungsstadium.

Gottschild hatte im Tagesspiegel mit geringeren laufenden Kosten argumentiert, weil TLVS weniger Personal brauche. Dem hält Eggers entgegen, dass Patriot auf anderem Wege sparen könne. „Laufende Kosten sind auch dadurch zu reduzieren, dass die Partner-Länder sich Anschaffungskosten teilen und einzelne Ausrüstungsteile geteilt werden können“, so der Amerikaner. „Hier bietet Patriot weitaus mehr Einsparpotential, da allein sieben europäische Länder Patriot nutzen.“ Zudem habe Raytheon lange Erfahrung im Bau von Ersatzteilen. „Bei MBDA ist jede Herstellung von TLVS eine Premiere mit allen Risiken, die an ersten Malen hängen“, meint Eggers.

Und überhaupt habe Deutschland inzwischen so viele Abwehrraketen für Patriot gekauft, dass es ohnehin noch weit über 2030 ausreichen werde. Und damit seine Argumente auch in Deutschland verfangen, fügt er noch eine Parabel an. „Wenn Sie einen Porsche 911 aus den 1960er Jahren haben, dann ist der auch nicht auf dem Stand der heutigen Technik“, erzählt Eggers. „Aber er hat eine Qualität, sodass Sie auch heute wieder zu Porsche gehen würden, wenn Sie eine Sportwagen kaufen wollen.“

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