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Sonntags geöffnet: In Berlin durften die Läden bisher an acht Sonntagen pro Jahr ihre Türen aufschließen. Das könnte sich nun ändern.

© Bodo Marks/dpa

Einzelhandel: Verkaufsoffene Sonntage in Berlin auf der Kippe

Bisher durften Läden sonntags in Berlin zu bestimmten Anlässen öffnen. Das könnte künftig verboten sein. Bald entscheidet das Oberverwaltungsgericht.

Nils Busch-Petersen hat eine neue Jeans, eine Feiertagsjeans. Nicht etwa, weil er sie nur zu besonderen Anlässen anziehen will – sondern weil er sie am vergangenen Montag in New York gekauft hat, am Martin-Luther-King-Day, einem nationalweiten Feiertag. „Was aber für den Big Apple ganz sicher kein Grund war, in den Tiefschlaf zu fallen. Im Gegenteil, alle Läden waren offen, der Handel hat gebrummt“, schwärmt Busch-Petersen. Es klingt wie sein persönlicher „American Dream“.

Gibt es keine Ausnahme mehr zur Grünen Woche, Berlinale und ITB?

Denn auch in Berlin würde es Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, gerne sonntags brummen lassen. Am besten gleich am nächsten Sonntag, der eigentlich verkaufsoffen sein sollte – so ist es bisher Tradition zur Grünen Woche. Doch Verdi und das Verwaltungsgericht Berlin haben den Händlern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Per Eilverfahren entschied das Gericht Ende Dezember, dass der vom Senat genehmigte Sonntagsverkauf zur Grünen Woche, zur Berlinale (18. Februar) und zur Tourismusmesse ITB (11. März) nicht rechtens ist. Aber Busch-Petersen und die Händler haben Hoffnung.

In den nächsten Tagen erwarten sie die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG), bei dem die Landesregierung Beschwerde eingelegt hat. Zuständig dafür ist Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke), ehemalige Gewerkschafterin – und keine leidenschaftliche Kämpferin für den verkaufsoffenen Sonntag. Aber sie muss sich an die Vereinbarung der Koalitionsparteien halten, und diese sieht vor, dass die Ladentüren zu bestimmten Anlässen auch am Sonntag geöffnet werden dürfen.

"Für Berlin als Touristenmetropole wäre das eine Katastrophe"

Die Entscheidung des OVG wird deshalb wegweisend sein für den Einzelhandel in Berlin. Bestätigt das Gericht das Verkaufsverbot, stehen womöglich auch die anderen fünf verkaufsoffenen Sonntage wie beispielsweise in der Vorweihnachtszeit zur Disposition – und dann wäre es vorbei mit Busch-Petersens amerikanischem Öffnungszeiten-Traum in Berlin. „Für den Handel und das Image als Touristenmetropole wäre das eine Katastrophe“, sagt er.

Er fürchtet, dass bei einem Verbot bis zu 1000 Vollzeitarbeitsplätze in der Hauptstadt verloren gehen könnten. Zwei bis fünf Prozent des Jahresumsatzes würden bundesweit an verkaufsoffenen Sonntagen gemacht, für Berlin gebe es keine konkreten Zahlen, doch sei der Umsatz wohl noch höher, weil es hier so viele offene Sonntage gibt wie in keinen anderen Bundesland. Dabei handele es sich nicht um verlagerten, sondern um zusätzlichen Umsatz, betont Busch-Petersen. Entsprechend hätten die Händler in den vergangenen Jahren Personal aufgebaut und geplant. Busch-Petersen geht es auch um mehr Chancengleichheit, im Netz könne rund um die Uhr eingekauft werden. „Wird das Verbot bestätigt, katapultiert uns das zurück in die 50er Jahre.“

Eingeführt wurde die Sonntagsruhe im Vierten Jahrhundert

Genauer genommen: Zurück ins vierte Jahrhundert. Damals führte Kaiser Konstantin der Große als erster ein Gesetz zum Sonntagsschutz ein, die Leute sollten in die Kirche gehen können. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war es wieder vorbei mit der Ruhe, die Maschinen sollten an sieben Tage die Woche laufen, auch die Geschäfte waren an allen Tagen geöffnet. Erst auf Druck der Arbeiterbewegung trat am 1. Oktober 1900 das erste Ladenschlussgesetz in Kraft, seit 1919 ist die Sonntagsruhe verfassungsrechtlich geschützt: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“.

„Warum aber bitte soll es der seelischen Erhebung dienen, am Sonntag ein Schnitzel im Restaurant essen zu können, nicht aber, ein Schnitzel im Supermarkt zu kaufen und dann zu Hause zuzubereiten?“, fragt sich Florian Swyter, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Handel müsse die gleichen Chancen haben wie beispielsweise die Gastronomie.

Erika Ritter, Leiterin des Landesfachbereiches Handel bei Verdi in Berlin-Brandenburg, sieht das anders: „Wir erleben heute schon eine massive Entgrenzung der Arbeitszeit, das darf sich nicht weiter ausdehnen“, betont sie. Auch sieht sie keinen Nachteil für Berlin als Touristenmetropole. „Ich bezweifle, dass die Messebesucher nur wegen des Shoppings in die Stadt kommen. Und selbst wenn, haben sie dazu von Montag bis Samstag genug Gelegenheit.“

Geshoppt wird im Netz rund um die Uhr

Ähnlich begründete das Verwaltungsgericht sein Verbot. Nur weil ein Ereignis „berlinweite Bedeutung“ habe, reiche das für „ein öffentliches Interesse an einer ausnahmsweisen Ladenöffnung am Sonntag nicht aus“, zumal sich Veranstaltungen wie die Grüne Woche auf mehrere Tage erstreckten. Ritter hofft, dass das Oberverwaltungsgericht diese Entscheidung und damit die grundgesetzlich geschützte Sonntagsruhe bestätigt.

Auch Kirchen plädieren für strengere Ladenschlussgesetze

Auch die Kirchen setzen sich dafür ein. Als Tag der gemeinsamen Ruhepause zwischen den Werktagen, habe der Sonntag eine wichtige gesellschaftliche Funktion, betont

Jörg Antoine, Präsident des Konsortiums der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. "Ökonomische Profitmaximierungsbestrebungen dürfen dem nicht vorgeordnet werden, denn der Sonntag ist für den Menschen da, nicht für die Wirtschaft", erklärt er. Sonn- und Feiertage seien "eine wohltuende Grenze gegen die totale Verzweckung des Menschseins".

Wie sehr Menschen die Sonntagsruhe schätzen, musste auch Paketzusteller Hermes lernen: Weihnachten 2015 bekam er eine Genehmigung für die letzten zwei Adventssonntagen, doch als der Bote vor der Tür stand, sei die Begeisterung bei den Kunden gering gewesen, erzählt ein Hermes-Sprecher.

"Die Gesetze nicht schuld, wenn Einzelhändler Digitalisierung verschlafen"

Boris Planer vom Beratungsunternehmen Planet Retail rät dem stationären Einzelhandel ohnehin, nicht ständig neidisch auf die Plattformen im Netz zu schauen: „Die Gesetze zur Ladenöffnung sind bestimmt nicht Schuld daran, wenn die Einzelhändler die Digitalisierung verschlafen.“ Sie müssten auf mehrere Kanäle setzen, auf die Läden wie auf den Online-Shop. Dann könnte Jeans auch bei ihnen rund um die Uhr bestellt werden. Sogar am Feiertag.

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