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Himmelblau ist auf Zypern längst noch nicht wieder die dominierende Farbe. Doch nachdem die Banken im vergangenen Jahr teils mit Milliarden Euro gestützt, teils abgewickelt wurden, geht es auf der Ferieninsel wieder aufwärts. Die Zukunft vieler privater Anleger, die alles verloren haben, ist aber noch immer ungeklärt.

© IMAGO

Ein Jahr nach dem Bankrott: Zypern feiert Auferstehung

Vor einem Jahr erlebte Zypern die Stunde null. Der Inselstaat war fast bankrott – nun schöpfen die Menschen wieder Hoffnung.

Es sollte ein neuer Start werden, als Michalis Michaelidis im September 2011 sein gutgehendes Restaurant im zyprischen Ferienparadies Paphos verkaufte. Auch von zwei Grundstücken, die er von seinen Eltern geerbt hatte, trennte sich der 56-Jährige. „Ich hatte ein Leben lang geschuftet, sieben Tage die Woche, nie Ferien gemacht“, erzählt Michaelidis. „Ich wollte einfach den Rest meines Lebens genießen.“ Mit dem Verkaufserlös von 1,2 Millionen Euro ging er zur Bank of Cyprus. Das größte Kreditinstitut der Insel galt damals als beste Adresse. Wer auf Zypern sein Geld sicher anlegen wollte, der brachte es dorthin, so war es Tradition. Und das Geschäft, das der Kundenberater vorschlug, klang verlockend: Michaelidis solle sein Kapital in Bonds der Bank investieren. Sieben Prozent Rendite, rund 7000 Euro im Monat, versprach der Berater. Michaelidis unterschrieb.

„Ich habe fast alles verloren“, sagt der unfreiwillige Frührentner heute. Im Frühjahr 2012 stellte die Bank die Zinszahlungen ein, später wurden die Bonds in Aktien umgewandelt, die heute nahezu wertlos sind. „Von einem Verlustrisiko hat der Kundenberater nie gesprochen“, erinnert sich Michaelidis. Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, musste er seine Eigentumswohnung verkaufen, „40 Prozent unter Wert, wegen der Rezession“, wie er sagt. Jetzt lebt Michaelidis zur Miete auf 36 Quadratmetern. Für ihn hat die Krise gerade erst begonnen.

Dabei rappelt sich die Wirtschaft allmählich wieder auf. Rund ein Jahr, nachdem die Inselrepublik mit zehn Milliarden Euro der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott gerettet wurde, ist die Entwicklung „besser als erwartet“, lobte kürzlich die Troika, bestehend aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und IWF. Tatsächlich scheint Finanzminister Charis Georgiadis die Krise in den Griff zu kriegen. Das Haushaltsdefizit lag 2013 bei 5,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), statt erwarteter 8,3 Prozent. Das BIP schrumpfte vergangenes Jahr „nur“ um 6,8 Prozent, während manche Prognosen in eine Größenordnung von minus zwölf Prozent gingen. „Wir sind aus der Gefahrenzone heraus“, sagte Finanzminister Georgiadis dem Tagesspiegel.

Geld vor allem aus Russland und der Ukraine

„Gefahrenzone“ ist eine milde Beschreibung der Lage, in der sich Zypern im Frühjahr 2013 befand: Die Staatskassen waren leer, nachdem der kommunistische Inselpräsident Dimitris Christofias fünf Jahre lang mit beiden Händen Sozialleistungen verteilt hatte. Die Banken standen vor dem Zusammenbruch. Mit dem Versprechen hoher Zinsen hatten die Institute immer mehr Einlagen angelockt, expandierten von der kleinen Heimatinsel in zehn Länder. Sogar im fernen Australien sammelten sie Kundengelder ein. Vor allem aber aus Russland und der Ukraine strömte immer mehr Geld nach Zypern. Für die Herkunft der Einlagen schienen sich die Banker nicht immer zu interessieren, versprachen stattdessen absolute Diskretion.

Um die hohen Guthabenzinsen zu zahlen, mussten die Banken freilich in hoch riskante Papiere investieren – wie griechische Staatsanleihen. Im März 2013 platzte die Blase. Eine Woche lang blieben die Banken auf Zypern geschlossen, während die Regierung mit der EU um Hilfskredite rang. Die Lufthansa flog aus Frankfurt tonnenweise Banknoten ein, damit wenigstens die Geldautomaten gefüttert werden konnten, vor denen sich lange Schlangen bildeten. Maximal 100 Euro durften die Zyprer pro Tag abheben. Es war die Stunde null. Dann endlich stand das Rettungskonzept: Mit einer Zwangsabgabe auf Guthaben über 100 000 Euro wurde die Bank of Cyprus rekapitalisiert, die Laiki Bank, das zweitgrößte Institut, wurde in den Konkurs geschickt. Das war die Bedingung der EU und des IWF für die Hilfskredite, die Zypern vor der Pleite bewahrten.

Mehr als 60000 Anleger haben fast alles verloren

Er wolle kein rosiges Bild malen, sagt Finanzminister Georgiadis, „aber ich glaube, wir haben die Talsohle erreicht und werden im nächsten Jahr die ersten Anzeichen einer Rückkehr zum Wachstum sehen“. Davon spüren Krisenopfer wie Michalis Michaelidis allerdings bisher nichts. Mit der Bankenrettung auf Kosten der Einleger sollten vor allem die „russischen Oligarchen“ zur Kasse gebeten werden, die nach landläufiger Vorstellung Schwarzgeld-Milliarden bei den zyprischen Banken bunkerten. Doch ungleich härter traf das „Bail-in“ die zyprischen Sparer. Mehr als 60 000 Anleger, die ihre Ersparnisse in Anleihen der beiden großen Banken investierten, haben fast alles verloren. Der zyprische Verband der Anleiheninhaber kämpft nun um Entschädigungen. „Wir wollen unser Geld“, sagt Stavros Giallouridis, der Vizepräsident des Verbandes. Staatschef Nikos Anastasiadis hat eine Juristenkommission damit beauftragt, die Ansprüche der Geschädigten zu prüfen.

Anfang März 2013 hatte der konservative Anastasiadis die Regierung des nahezu bankrotten Staates von dem gescheiterten Kommunisten Christofias übernommen. Inzwischen sieht er die Insel sogar „auf dem Weg zu einem neuen Wirtschaftswunder“. Das klingt sehr optimistisch. Noch schrumpft die Wirtschaft, für dieses Jahr erwartet die EU-Kommission ein weiteres Minus von 3,9 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist mit 16,7 Prozent unerträglich hoch. Aber tatsächlich gibt es erste Anzeichen dafür, dass Zypern das Schlimmste hinter sich hat. Auf der Ledras-Straße, der traditionellen Einkaufsmeile in der Altstadt von Nikosia, sind die Straßencafés gut besucht. Noch vor einem halben Jahr standen hier viele Geschäfte leer. Man sah Schilder wie „Räumungsverkauf“ oder „Alles muss raus“ in den Schaufenstern. Inzwischen haben viele Läden wieder geöffnet. Wo noch geschlossen ist, liest man oft „Renovierung“ an den Fenstern.

Am nördlichen Ende der Ledras-Straße beginnt der türkisch kontrollierte Sektor Nikosias. Es sind 85 Schritte von einem Teil der Insel in den anderen. Der Weg führt durch die Pufferzone, die von den Blauhelmsoldaten der Uno überwacht wird. Seit den blutigen Volksgruppenkonflikten von 1964 ist die Friedenstruppe auf der Insel stationiert. Die türkische Invasion und die Besetzung des Inselnordens 1974 hat sie ebenso wenig verhindern können wie 1983 die Ausrufung der „Türkischen Republik Nordzypern“ (KKTC). Sie wird zwar nur von Ankara völkerrechtlich anerkannt, demonstriert aber umso eifriger ihre Existenz. Polizisten der KKTC prüfen am Checkpoint die Ausweise der Reisenden, tippen fleißig ihre Personalien in einen Computer und händigen dann kleine Zettel mit einem Stempel aus: das „Visum“, das zur Einreise berechtigt.

Seit 2003 ist die Demarkationslinie für Zyprer beider Volksgruppen durchlässig. „Aber viel näher hat uns das einander nicht gebracht“, sagt Ahmet Levent. Er betreibt einen Juwelierladen im Nordteil von Nikosia. Die schmalen, verwinkelten Gassen jenseits des Schlagbaums sind ein einziger Basar. Hier gibt es Schmuck, Lederwaren, Andenken aller Art, „Louis Vuitton“-Taschen, „Armani“-Jeans und andere Designerklamotten zweifelhafter Herkunft. „Früher kamen viele Zyperngriechen zum Einkaufen“, sagt Ahmet, „aber seit der Krise sind es weniger geworden.“ Auch in den rund zwei Dutzend Spielkasinos, die es im Nordteil der Insel gibt, hat der Andrang der Inselgriechen, die dort ihre Euros verspielen, merklich nachgelassen. „Wenn es denen schlecht geht“, sagt Ahmet und zeigt nach Süden, „geht es auch uns nicht gut.“

Gelingt jetzt die Einigung der Insel?

Kann vielleicht die Krise Griechen und Türken auf Zypern endlich zusammenbringen? 2004 lehnten die Inselgriechen den Einigungsplan des damaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan mit großer Mehrheit ab. Er sah einen Bundesstaat mit weitgehender Autonomie für die beiden Volksgruppen vor. Jetzt beginnen viele griechische Zyprer einzusehen, dass eine Wiedervereinigung der Insel jenen wirtschaftlichen Quantensprung geben könnte, den gerade der Süden so dringend braucht.

Die Lösung der Zypernfrage sei „ein Gebot der Vernunft“, sagt Özdil Nami. Der 47-Jährige ist Chefdiplomat der türkischen Zyprer. „Wir haben auf dem geteilten Zypern so viel Ineffizienz, Verschwendung von Ressourcen, eine riesige Militärpräsenz, politische Unsicherheit – all das ist kontraproduktiv für Investitionen.“ Das ökonomische Potenzial eines vereinten Zypern sei „viel größer als die Summe seiner beiden Teile“, sagt Nami im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Im Februar kamen die vor zwei Jahren abgebrochenen Verhandlungen über eine Lösung der Zypernfrage wieder in Gang. Von Euphorie zu sprechen wäre falsch, aber so viel Zuversicht gab es seit vielen Jahren nicht mehr auf der Insel. „Es gibt ein positives Klima für die Verhandlungen“, sagt Christos Stylianidis, der Regierungssprecher der Republik Zypern. Auch die internationale diplomatische Unterstützung sei selten so stark gewesen wie jetzt: „Wir sind eine kleine Insel, die aber eine große Rolle bei der Stabilisierung der Region spielen kann.“

Das erklärt das große Interesse der USA an einer Zypernlösung. Aber nicht nur als „unsinkbarer Flugzeugträger“ im östlichen Mittelmeer ist Zypern von strategischer Bedeutung. Auch über eine Rolle der Insel als Energiedrehscheibe wird spekuliert, seit es Hinweise auf große Erdgasvorkommen vor den Küsten Zyperns gibt. Sie könnten auch der Türkei einen Anreiz bieten, an der Wiedervereinigung mitzuarbeiten, denn der beste Weg, das zyprische Gas nach Europa zu exportieren, wäre eine Pipeline zur nahen türkischen Küste.

Auch Michalis Michaelidis hofft, dass es bald losgeht mit der Gasförderung. Denn die begehrten Bodenschätze könnten helfen, die Finanzprobleme Zyperns nachhaltig zu lösen. „Und vielleicht bleibt dann ja etwas Geld übrig, um auch uns betrogene Anleger zu entschädigen“, sagt Michaelidis.

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