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Wer schafft den großen Wurf? Das Buch "Keinhorn" erzählt den mühsamen Weg eines Start-ups.

© imago images/Shotshop

Ein Gründer berichtet: Wie hart es wirklich ist, ein Start-up groß zu machen

Viele Gründungsgeschichten handeln vom Unternehmer, der vom Tellerwäscher zum Millionär wird. Im Buch „Keinhorn“ ist das anders. Eine Rezension.

Julian Leitloffs Lebenslauf kann sich sehen lassen: Erst ein duales Studium bei der Deutschen Bank, dann der Master an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Mit gerade einmal 22 Jahren gründete er das Start-up „Stilnest“, das Schmuck per 3D-Druck herstellt.

Wenige Jahre später wählte das Wirtschaftsmagazin Forbes ihn für seine Leistung in die „30 unter 30“. Inzwischen leitet er sein drittes Start-up, besitzt etwa eine Million Euro auf dem Papier. Es wirkt fast so, als sei Leitloff der Erfolg einfach zugeflogen.

Doch der Schein trügt, wie der Unternehmer in seinem Buch „Keinhorn“ beschreibt. Als Gründer sehe er sich immer wieder mit Existenzängsten, abspringenden Investoren und erfolglosen Marketingaktionen konfrontiert. In den meisten Gründungsgeschichten sei kein Platz für Zweifel.

Stattdessen erzählen Ausnahmetalente in Businessratgebern und Biografien oberflächlich davon, wie sie es geschafft haben. Wie sie aus dem nichts ein sogenanntes „Einhorn“ – also ein Start-up, das mindestens eine Milliarde US-Dollar wert ist – aufgebaut haben. Doch den allermeisten gelinge dieser Schritt eben nicht. Auch ihm nicht. Deshalb möchte er in seinem Buch mit dem Untertitel „Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen“ auf 295 Seiten einen ehrlichen Blick hinter die Kulissen gewähren.

Die ersten 25.000 Euro von der Uni

Zwei Jahre lang traf er sich jeden Mittwochmorgen mit seinem Co-Autoren Caspar Schlenk in Berliner Cafés, um dem Journalisten so ehrlich wie möglich von seiner ersten Unternehmensgründung zu erzählen. Kennengelernt haben die beiden sich vor einigen Jahren bei einem Interview für die „Zeit“, das Schlenk führte.

Die Entstehungsgeschichte merkt man dem Buch an: Nahezu minutiös berichtet Leitloff, wie Stilnest entsteht und sich erst in Friedrichshafen und später in Berlin weiterentwickelt. Der Leser begleitet den Gründer dabei, wie er 2012 mit seinem besten Freund Raoul in einem Hotel im bayerischen Zwiesel an der gemeinsamen Geschäftsidee werkelt.

Geld haben beide damals kaum – im Hotel sind sie nur dank eines Gutscheins aus einem alten Couponheft. Schließlich wird es Schmuck aus dem 3D-Drucker. Schnell finden die beiden vier Mitstreiter und erhalten von Leitloffs Universität die ersten 25.000 Euro.

Der Start deutet an, welche Krisen noch kommen

Schon der Start beginnt holpriger als geplant und deutet an, was für Krisen noch bevorstehen. Nachdem einer von Leitloffs Kommilitonen dem Team ein Investment zugesagt hat, springt er ab – um dann in letzter Minute wieder zuzusagen. Eine Erfahrung, die der Gründer noch öfter machen soll.

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Die Suche nach Investoren zieht sich durch das gesamte Buch. Immer wieder sagen Geldgeber erst hohe Summen zu, um dann in letzter Minute abzuspringen – und teilweise doch Monate später wieder den Kontakt zu suchen. Das Hin und Her macht es zwar nicht leicht, den Überblick über die verschiedenen Akteure zu behalten.

Trotzdem sind die Passagen, in denen sich Leitloff über die dritte Absage in Folge ärgert oder unnachgiebig über die Unternehmensbewertung verhandelt, unerlässlich. Wo sonst erfährt man mehr darüber, wie solche Finanzierungsrunden ablaufen? Wie oft der Termin beim Notar platzt, welche Konditionen den Gründern diktiert werden und auf welchen unangenehmen Konferenzen sie sich herumtreiben müssen – darüber spricht normalerweise niemand.

"Das war Teil des Spiels"

In mehreren Passagen unterbricht der Autor seine chronologische Erzählung. So ist zum Beispiel in einem Kapitel Schlenks einstiges Interview mit ihm abgedruckt, in dem er zwei Jahre nach Gründung ein Nettogehalt von 1500 Euro angibt. Ein Gehalt, dass er aus heutiger Sicht wahrscheinlich auch bei einem Lieferdienst hätte verdienen können. Auch Erfolge wie ein Umsatz von 500.000 Euro innerhalb von drei Monaten nach einer Kooperation mit der englischen Influencerin Anna Saccone finden ihren Platz im Buch.

Julian Leitloff, Caspar Schlenk: „Keinhorn – Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen“, Campus Verlag, 295 Seiten, 22 Euro
Julian Leitloff, Caspar Schlenk: „Keinhorn – Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen“, Campus Verlag, 295 Seiten, 22 Euro

© Julian Leitloff

Immer wieder schreibt er Sätze wie: „Das war Teil des Spiels“. Wie ein Spiel, in dem jeder möglichst viel Einsatz zeigen will. Manche Gründer schlafen zu wenig, trinken zu viel oder putschen sich mit anderen Mitteln auf. Auch bei Leitloff macht sich der Dauerstress bemerkbar – etwa an einer durchgebissenen Beißschiene.

In der Szene sei über die Jahre hinweg ein falscher Eindruck entstanden. Viel Arbeit gehe eben nicht immer mit großem Erfolg einher. „An vielen Stellen hätten wir einen Schritt zurücktreten und uns fragen müssen: Gibt es nicht etwas anderes, was wir ausprobieren müssten?", kritisiert er sich selbst.

Leitloff leitet inzwischen ein anderes Start-up

Nur kurz geht Leitloff darauf ein was passiert, nachdem er Stilnest nach fünf Jahren verlässt. In Anbetracht der Ausführlichkeit der restlichen Geschichte verwundert das ein wenig. Insgesamt gelingt es den Autoren, eine authentische Gründungsgeschichte mit all ihren Facetten zu erzählen.

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Leitloffs Geschichte stehe stellvertretend für die vieler Menschen – wie sich auch in der Coronakrise zeige. Mehr als 150.000 Kleinunternehmer meldeten sich als Reaktion auf die Krise bei der Investitionsbank Berlin und zeigten dem 31-Jährigen: Er ist nicht allein mit seinen Sorgen, die wohl nie enden.

Aktuell leitet er das Blockchain-Start-up „Fractal“, verdient dort 5000 brutto und sucht wieder nach einer neuen Finanzierung. Stilnest gibt es noch, der einstige Co-Gründer Tim Bibow hat die Führung übernommen.

Letztlich will Leitloff dem Gründen die Mystik nehmen, die manche davon abhält, selbst etwas aufzubauen. Das gelingt ihm mit seinem Buch. „Keinhorn“ ist sowohl für Einsteiger als auch Experten geeignet. Wer neu in der Welt der Start-ups ist, kommt durch die klare Sprache schnell rein. Auch für Profis ist das Buch relevant, schließlich hält es an so mancher Stelle der Branche den Spiegel vor.

Julian Leitloff, Caspar Schlenk: „Keinhorn – Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen“ Campus Verlag, 295 Seiten, 22 Euro

Lisa Oder

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