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Ein Angestellter der Kaiser's Tengelmann GmbH hält ein Schild mit dem Schriftzug «Wir brauchen unseren Arbeitsplatz» bei einer Betriebsversammlung des Logistikzentrums am 05.10.2016 in Viersen hoch.

© dpa

Update

Durchbruch bei Kaiser's Tengelmann: Rewe übernimmt Filialen in Berlin

Edeka, Rewe und Tengelmann einigen sich. Details sind aber noch nicht bekannt. Das Bundeskartellamt muss zustimmen.

Im Ringen um die 15000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann haben die Supermarktchefs von Rewe, Edeka und Tengelmann in letzter Minute eine Lösung gefunden und die drohende Zerschlagung der Kette vermeiden können. Nach Tagesspiegel-Informationen bekommt Edeka die Kaiser’s-Tengelmann-Filialen in Bayern, Rewe übernimmt zahlreiche der 120 Läden in Berlin. Was aus den gut 100, meist defizitären Filialen in Nordrhein-Westfalen wird, ist noch unklar. Auch der Kaufpreis, den Rewe zahlen wird, steht noch nicht fest.

Sigmar Gabriel: "Die Arbeit hat sich gelohnt"

Dennoch zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Montag sichtlich erleichtert. „Der Einsatz und die Arbeit haben sich gelohnt“, sagte Gabriel in Berlin. Verdi-Chef Frank Bsirske sprach von einem „guten Ergebnis“. Die Arbeitsplätze, darunter 5600 in Berlin, seien nun für fünf Jahre sicher.

Bsirske und Gabriel dankten nicht nur den Chefs von Rewe, Alain Caparros, Edeka, Markus Mosa, und Tengelmann, Karl-Erivan Haub, sondern auch Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem Wirtschaftsexperten Bert Rürup, die im Streit der Supermarktbosse vermittelt und die verhärteten Fronten aufgebrochen hatten. Ohne eine Einigung hätte Haub die Kette zerschlagen.

Sollten sich die Supermarktchefs über die noch offenen Details einigen, gäbe es für die Beschäftigten doch noch ein Happy End. Die Belegschaft hängt seit zwei Jahren in der Luft. Der geplanten Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka hatte das Bundeskartellamt widersprochen, die Ministererlaubnis, mit der Gabriel den Weg für den Deal freimachen wollte, hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf auf Klagen von Rewe, Markant und Norma aufgehoben. Rewe, der Branchenzweite, wollte Kaiser’s Tengelmann ebenfalls übernehmen und so seinen Abstand zum Marktführer Edeka verringern.

Rewe zieht Klage zurück

Nach zahllosen Verhandlungen hatten sich Norma und Markant vor wenigen Tagen bereit erklärt, ihre Klagen gegen entsprechende Gegenleistungen von Kaiser’s Tengelmann zurückzuziehen. Nun ist auch Rewe dazu bereit. Bis zum 11.November hat Caparros Zeit, die Klage zurückzunehmen und den Weg für die Ministererlaubnis freizumachen. Diese sieht den Schutz aller Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann für fünf Jahre vor, zudem sollen die Betriebsrats- und Tarifstrukturen erhalten werden. Die Beschäftigten könnten sich jetzt auf ein „gutes Weihnachtsfest“ freuen, sagte Gabriel. Doch der Berliner Betriebsratsvorsitzende, Volker Bohne, mag sich noch nicht so recht freuen. „Wir waren schon einmal euphorisch“, sagte Bohne dem Tagesspiegel mit Blick auf die erste Rettungsrunde von Rewe, Tengelmann, Edeka, Markant und Norma vor wenigen Wochen. Der Kompromiss, den die Supermarktbosse damals gefunden hatten, hatte sich dann aber wieder zerschlagen. „Viele Fragen sind noch offen“, warnte Bohne am Montag. „Die Berliner Filialen sind erst dann gerettet, wenn es eine Einigung für das gesamte Unternehmen gibt.“ Gabriel sieht das anders: „Ich gehe nicht davon aus, dass es noch einen Stolperstein geben wird.“

Altkanzler Gerhard Schröder schafft den Durchbruch

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wäre dann in einer Woche das gelungen, was zuvor monatelang unmöglich schien. Vor sieben Tagen hatte Schröder auf Bitten seines Parteifreunds, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, den Versuch unternehmen, die Rivalen an einen Tisch zu holen und – flankiert vom Wirtschaftsexperten Bert Rürup – doch noch eine Lösung für die angeschlagene Supermarktkette und ihre Mitarbeiter auf die Füße zu stellen. Am Montag konnte Gabriel dann in Berlin verkünden: „Die Schlichtung ist heute erfolgreich abgeschlossen worden“, freute sich der Minister und konnte – um eine Sorge erleichtert – in den Flieger nach China steigen. „15.000 Verkäuferinnen, Fleischer, Lagerarbeiter, Fahrer, Verwaltungsmitarbeiter und alle anderen Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann können Weihnachten ohne Angst um ihren Arbeitsplatz feiern“, betonte der SPD-Vorsitzende.

Ein echter Krimi

Danach hatte es lange nicht ausgesehen. Der Kampf um Kaiser’s Tengelmann hatte sich zu einem Wirtschaftskrimi entwickelt – mit immer neuen Wendungen. Tengelmann-Chef Haub will seine Supermarktkette verkaufen. Das Geschäft mache jeden Monat zehn Millionen Euro Miese, sagt der Unternehmer – die Kette ist mit rund 400 Filialen zu klein, um im Wettbewerb mit den Großen der Branche, Edeka, Rewe und den Discountern Lidl und Aldi, mithalten zu können. Haub möchte aussteigen und sich auf seine sonstigen Aktivitäten, die Obi-Baumärkte, den Textildiscounter Kik und seine Start-up-Beteiligungen – konzentrieren. Doch dem Deal mit dem Wunschpartner Edeka, der sämtliche Filialen, die Fleischwerke, die Logistik und die Verwaltung übernehmen wollte, hatte das Bundeskartellamt einen Riegel vorgeschoben. Edeka ist nämlich schon jetzt mit Abstand der größte Lebensmittelhändler Deutschlands und wäre durch das Geschäft noch größer geworden – mit Schaden für die Lieferanten, die Bauern und die Konkurrenz.

Langes Ringen

Auch die Monopolkommission, die den Bundeswirtschaftsminister in Wettbewerbsfragen berät, hatte sich gegen eine Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch den Marktführer ausgesprochen. Denn auch der Branchenzweite Rewe hatte ein Angebot für die Supermarktkette abgegeben und versprochen, sämtliche Arbeitsplätze und alle Filialen von Kaiser’s Tengelmann zu erhalten. Dennoch hatte sich Gabriel auf die Seite Edekas gestellt und per Ministererlaubnis den Weg für die umstrittene Übernahme freigemacht. Nach Klagen von Rewe, Markant und Norma hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Erlaubnis des Ministers jedoch im Sommer wieder aufgehoben und Gabriel Befangenheit vorgeworfen.
Seitdem herrschte Ratlosigkeit. Wochenlang verhandelten die Chefs von Rewe, Edeka und Tengelmann über eine Lösung und näherten sich schließlich sogar an. Doch der Burgfrieden hielt nur kurz, Anfang Oktober verkündeten Edeka und Tengelmann das Scheitern der Gespräche. Haub drohte mit Zerschlagung und begann, Interessenten für die 105 Filialen in Nordrhein-Westfalen zu suchen. Der Tengelmann-Chef warnte, dass 8000 Stellen gefährdet seien, wenn die Läden einzeln verkauft werden. Parallel verhandelte der Unternehmer aber weiter mit Norma und Markant über eine Rücknahme ihrer Klagen, erfolgreich.

Großer Druck auf Rewe

Der Druck auf Rewe, sich ebenfalls zu bewegen, war groß, die Angst Gabriels, dass seine Mission – die Rettung der Jobs bei Kaiser’s Tengelmann – scheitern könnte, auch. Vor einer Woche schickte der SPD-Chef daher seinen Parteifreund Gerhard Schröder ins Rennen, um eine Rettung in letzter Minute zu schaffen. Mit solchen Aktionen hat Schröder nämlich Erfahrung. Der Altkanzler war schon einmal als Vermittler gefeiert worden. Als Kanzler schien er 1999 der Retter des Baukonzerns Philipp Holzmann – allerdings nur auf Zeit. Das Unternehmen meldete 2002 dann doch Insolvenz an.

Welche Fragen noch offen sind

Auch in den Verhandlungen über Kaiser’s Tengelmann sind noch einige Fragen offen. Dazu zählt der Kaufpreis, den Rewe für die geplante Übernahme zahlreicher Filialen in Berlin zahlt. Der soll bis Ende der Woche festgelegt werden – und zwar nicht von den Parteien selbst, sondern von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer. Zudem übernimmt Rewe nach Tagesspiegel-Informationen auch finanzielle Verpflichtungen etwa für die Betriebsrenten der Mitarbeiter. Noch offen ist, was mit den Filialen in Nordrhein-Westfalen geschieht. Diese sind die größten Sorgenkinder im Unternehmen, sie stehen am schlechtesten da.

Auch das Bundeskartellamt prüft

Doch selbst wenn sich die Supermarktchefs noch bei den letzten offenen Fragen einigen, ist die Hängepartie nicht vorüber. Denn Wettbewerbsexperten zufolge wird sich dann das Bundeskartellamt die vereinbarte Aufteilung der Filialen ansehen und prüfen, ob die Neuordnung wettbewerbsrechtlich in Ordnung ist.<ET>Dabei können sich die Wettbewerbshüter auf eigene Erkenntnisse stützen. Im Verfahren um Edeka und Kaiser’s Tengelmann hatte das Amt kleinteilig die Marktverhältnisse vor Ort untersucht und für jeden Kiez geprüft, wie stark die jeweiligen Lebensmittelhändler dort sind. Glaubt man Verhandlungskreisen, wollen nun auch Rewe, Edeka und Tengelmann darauf zurück greifen. In Berlin, wo Rewe angeblich über ein Drittel der Umsätze von Kaiser’s übernehmen soll, sollen nur Filialen erworben werden, bei denen man mit grünem Licht vom Kartellamt rechnet.

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