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Über der deutschen Wirtschaft ziehen dunkle Wolken auf, der Pessimismus nimmt zu.

© dpa

Drohende Rezession: Was die Konjunktur jetzt noch retten könnte

Die Opposition überbietet sich gegenseitig mit radikalen Maßnahmen, doch die Bundesregierung zögert. In den USA ist schon vom „Deutschland-Problem“ die Rede.

Als Clemens Fuest am Montag die aktuellen Zahlen des Ifo-Geschäftsklimaindex’ vorstellte, wählte er einen deutlichen Vergleich, um die Dramatik der Lage zu veranschaulichen. „Ein ähnlicher Pessimismus unter den Industriefirmen war zuletzt im Krisenjahr 2009 zu beobachten“, so der Präsident des Ifo-Instituts, das seit 1972 regelmäßig die Stimmung unter den deutschen Unternehmern ermittelt.

Im August fiel das Geschäftsklima demnach um 1,5 Punkte auf 94,3 Zähler. Dieser Wert basiert auf rund 9000 Meldungen aus Unternehmen, die ihre derzeitige Geschäftslage und ihre Erwartungen für die kommenden sechs Monate mitteilten. Es ist der niedrigste Stand seit 2012.

Fuest fügte an: „Die Anzeichen für eine Rezession in Deutschland verdichten sich.“

Das R-Wort ist zurück

Da war es wieder, das R-Wort. Spätestens seit die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal dieses Jahres um 0,1 Prozent schrumpfte, rechnen viele Experten mit einer technischen Rezession. Diese ist erreicht, wenn die Wirtschaft zwei Quartale in Folge sinkt. Aufgrund der schlechten Auftragslage im Sommer ist eben damit zu rechnen. Weitere Anzeichen werden in dieser Woche erwartet: Am Mittwoch wird die Lage des Konsumklimas in Deutschland vorgestellt, am Donnerstag folgen die Arbeitsmarktzahlen. Im Oktober weiß man dann, ob Deutschland wirklich in eine Rezession rutscht.

Was der Bund plant

Die Bundesregierung prüft derzeit, welche Maßnahmen sie ergreifen kann, um die Konjunktur zu stützen. Ein großes Konjunkturpaket hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bislang aber abgelehnt. Dennoch will die Nachrichtenagentur „Bloomberg“ in der vergangenen Woche von einem 50 Milliarden schweren Notfallpaket erfahren haben, das den Binnenkonsum fördern könne. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erteilte einem solchen Vorhaben zumindest kurzfristig aber ebenfalls eine Absage.

Insidern zufolge liegen allerdings bereits Steuersenkungsprogramme in der Notfall-Schublade von Scholz, um die Nachfrage im Krisenfall zu stärken. So könne etwa ein niedrigerer Einkommenssteuersatz zwischen 17 und 35 Milliarden Euro an Entlastung bringen. Auch die Senkung des Unternehmenssteuersatzes sei denkbar. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wiederum hat bereits die Weichen gestellt, dass Unternehmen im Krisenfall unkomplizierter Kurzarbeit erlassen können.

Was die Opposition fordert

Angesichts der Ifo-Zahlen schlägt FDP-Chef Christian Lindner ein Sofortprogramm vor. Scholz müsse die gesamte Wirtschaft steuerlich entlasten. So soll aus Sicht der Liberalen etwa der Solidaritätszuschlag ab 2020 vollständig abgeschafft werden – auch für Unternehmen. Eine aktuelle Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) liefert ihm dabei neue Argumente. Demnach würde die Soli-Abschaffung wie Scholz sie plant dazu führen, dass in Zukunft der Großteil des Zuschlags von Unternehmen geleistet wird, wie das „Handelsblatt“ berichtet. Um den Handelsstreit mit den USA endlich zu beenden, fordert die FDP zudem, alle Zölle abzuschaffen, „notfalls auch einseitig“.

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Wo Lindner Geld per Entlastung in den Wirtschaftskreislauf bringen will, möchte die Linke das über staatliche Subventionen erreichen. Gemäß eines am Montag verabschiedeten Investitionsprogrammes fordert die Linke Ausgaben von jährlich über 120 Milliarden Euro in die öffentliche Daseinsvorsorge und Infrastruktur sowie „einen Zukunftsfonds für sozial-ökologische Konversion der Industrie“ in Höhe von 20 Milliarden pro Jahr. Der Plan sieht vor, dass die Ausgaben durch höhere Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen mindestens zur Hälfte refinanziert werden.

Was die Wirtschaft will

Von den Unternehmen kommen bereits seit Monaten Forderungen nach stärkerer Unterstützung durch den Staat. Doch neben steuerlicher Entlastungen fordert die Industrie vor allem eine Lösung der außenpolitischen Damoklesschwerter, die das Exportgeschäft bedrohen. „Die Unternehmen wollen endlich Klarheit“, sagte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Neben dem Handelsstreit mit den USA ist das vor allem der Brexit. „ Am besten wäre gar kein Brexit, das Zweitbeste ein Brexit mit Abkommen. Ein harter Brexit oder eine neue Vertagung wären sehr schmerzhaft“, so Kempf. Er sprach sich für einen erneuten Aufschub des EU-Austritts Großbritanniens aus.

Was Ökonomen diskutieren

Der Volkswirt Paul Krugman – Star der Szene nicht erst seit er die Finanzkrise 2008 vorhersagte – attestierte der Weltwirtschaft in der „New York Times“ jüngst ein „Deutschland-Problem“. Damit meinte er, dass Deutschland trotz immenser finanzieller Spielräume zu zögerlich investiere und es scheue, neue Schulden zu machen. Unter diese Bremswirkung aus Deutschland leide die gesamte Welt. Tatsächlich fordern immer mehr Ökonomen, von der Maxime der schwarzen Null abzuweichen. So sprach sich etwa IW-Chef Michael Hüther für Investitionen in Infrastruktur, Innovationen und Klimaschutz ohne Rücksicht auf die Schuldenbremse aus. Gerade angesichts der niedrigen – oder im Fall von Bundesanleihen sogar negativen – Zinsen sehen viele Volkswirte es geradezu geboten, dass Deutschland antizyklisch investiert.

Was die Schuldenbremse zulässt

Allerdings gibt es in Deutschland eine Verfassung, die es nicht zulässt, dass Bund und Länder einfach mal so mehr Schulden machen. Die seit 2009 geltende Schuldenbremse macht den Haushaltsausgleich ohne neue Schulden zur Pflicht. Sie war auch eine Reaktion auf die Finanzkrise, die nicht zuletzt auf zu hohe Verschuldung von Privaten und Staaten zurückging. Wörtlich heißt es im Artikel 115 des Grundgesetzes: „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Das war seit 2014 problemlos möglich, denn Bund und Länder machten Überschüsse – die zum Teil in Investitionstöpfe flossen, die dann aber gar nicht so schnell leer wurden. Das Ergebnis waren Rücklagen, die nun langsam zum Haushaltsausgleich ohne neue Schulden genutzt werden.

Doch ist die Schuldenbremse nicht ganz so strikt, wenn es knapper zugeht. Der Bund darf jederzeit neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen, ohne mit der Verfassung in Konflikt zu geraten. Das könnte nun zum Streitthema in der Koalition werden, wenn die Wirtschaft schwächelt. Bei einer konjunkturellen Entwicklung, die von der Normallage abweicht, dürfen Bund und Länder die Schuldenbremse aussetzen – Rezessionen fallen darunter, auch Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen.

Sollte das Wachstum also länger als nur ein oder zwei Quartale im Minus sein und die Steuereinnahmen zurückgehen, wäre die Bundesregierung nicht daran gehindert, mehr Schulden zu machen. Allerdings müssen diese dann in besseren Zeiten wieder abgebaut werden, um die Gesamtverschuldung nicht überborden zu lassen.

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