zum Hauptinhalt
Robert Habeck (Grüne) in Leuna.

© Jan Woitas/dpa

Update

Drohende Engpässe bei Gasversorgung: Robert Habecks Mission wird immer schwieriger

Russland drosselt unter einem Vorwand den Großteil seiner Gaslieferungen nach Deutschland. Der Plan des Wirtschaftsministers für den Winter gerät unter Druck.

Robert Habecks Aufgabe ist in den vergangenen zwei Tagen nicht kleiner geworden. Der Bundeswirtschaftsminister arbeitet schon seit Amtsbeginn daran, Deutschlands Energiebedarf trotz der fossilen Abhängigkeiten zu Russland sicherzustellen. Doch bei der Gasversorgung, die noch immer zu knapp 35 Prozent von russischen Lieferungen abhängt, drohen weiter Engpässe im kommenden Winter. Denn der Plan, die deutschen Gasspeicher – die viertgrößten der Welt – vollzumachen, um über die kalte Jahreszeit zu kommen, gestaltet sich zunehmend schwierig.

Am Dienstag gaben die Betreiber des zweitgrößten Flüssigerdgas-Terminals in den USA bekannt, dass die Anlage nach einem Feuer nun drei Monate stillstehen wird statt der ursprünglich angekündigten drei Wochen. Für die EU eine bittere Nachricht. Rund 70 Prozent des in Texas verflüssigten Gas sind eigentlich für den europäischen Markt vorgesehen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Fast zeitgleich kündigte der russische Staatskonzern Gazprom an, Gaslieferungen über die Pipeline Nordstream 1 um rund 40 Prozent zu drosseln. Die Bundesnetzagentur bestätigte den Abfall am Mittwoch, momentan würden die Durchflüsse bei 59,1 Prozent liegen. Als Grund nannte Gazprom Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Maximal 67 Millionen Kubikmeter werden durch die Leitung gepumpt

Ein Gasverdichteraggregat sei wegen der Sanktionen gegen Russland nicht rechtzeitig aus der Reparatur in Kanada zurückgekommen. Es könne nur noch eine Durchleitung von 100 Millionen Kubikmetern Gas am Tag anstelle der üblichen 167 Millionen Kubikmeter sichergestellt werden. Am Mittwochnachmittag kündigte Gazprom dann sogar an, künftig nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung zu pumpen.

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, zeigt sich angesichts der sinkenden Gaslieferungen des russischen Unternehmens Gazprom besorgt. „Wir sind sehr wachsam. Dass Gazprom seine Lieferungen durch Nord Stream 1 nun auf etwa 40 Prozent senkt, ist ein Warnsignal und technisch nicht zu begründen. Russland schürt damit leider Verunsicherung und treibt die Gaspreise hoch“, sagt Müller der Zeitung „Rheinische Post“.

[Konkrete Kiez-Nachrichten, Termine und Tipps - für jeden Berliner Bezirk gibt es jetzt einen Tagesspiegel-Bezirksnewsletter. Einmal pro Woche und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de]

Wenn Gazprom nun über Wochen nur 40 Prozent des Gases durch Nord Stream 1 liefere, bekomme Deutschland ein Problem. „Das würde unsere Situation erheblich verschlechtern. Über den Sommer könnten wir das vielleicht aushalten, denn die Heizsaison ist ja vorbei. Allerdings müssen wir jetzt zwingend die Speicher füllen, um den Winter zu überstehen – auch mit russischem Gas.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht darin aber kein Zusammenkommen von Unglück und Pech. Hinter den Drosselungen von Nordstream 1vermutet er eine Strategie des Kreml. „Die Wartung dieser Anlagen liegt nicht unter den Sanktionen“, sagte er am Mittwoch. Zudem sei die Wartung erst im Herbst fällig gewesen und technisch hätte dann weiterhin mehr Gas geliefert werden können. „Bei mir ist der Eindruck, dass das eine politische Entscheidung ist“, sagt Habeck.

Die Speicher sind zu 55 Prozent gefüllt

Energie-Experte Georg Zachmann wird am Telefon noch deutlicher: „Wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg“, sagt Zachmann, der beim Brüsseler Think Tank Bruegel arbeitet. Russland bemühe sich seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine darum, die Energiepreise hochzuhalten und es den europäischen Ländern schwer zu machen, ihre Speicher für den Winter aufzufüllen.

Die Forderung Moskaus, Gas nur noch in Rubel zu bezahlen, sowie der Lieferstopp in einige Länder, sei immer diesem Kalkül gefolgt. Doch zuletzt hatten sich die Gaspreise stabilisiert – auch weil es der EU gelungen ist, wöchentlich rund eine Milliarde Kubikmeter Flüssigerdgas (LNG) zusätzlich nach Europa zu bringen. In vielen Ländern macht sich das bemerkbar. In Deutschland sind die Gasspeicher momentan zu rund 55 Prozent gefüllt, deutlich mehr als im Vorjahr.

Der Erdgasspeicher in Rehden fühlt sich nur langsam. Er ist der größte in Deutschland.
Der Erdgasspeicher in Rehden fühlt sich nur langsam. Er ist der größte in Deutschland.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

„Ich höre keine alarmistischen Signale aus der Branche“, sagt Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES), einem Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher. Bleschke macht für die guten Füllstände jedoch nicht das neue Gasspeichergesetz, das der Bundestag unlängst beschlossen hat, verantwortlich. „Die Markt-Preise für Gas sind aktuell immer noch deutlich niedriger als im Winter, daher bestehen weiterhin starke Anreize, jetzt Gas einzukaufen und einzuspeichern“, erklärte Bleschke dem Tagesspiegel. Dies sei sicherlich auf die Risiken zurückzuführen, die für die Winterversorgung von allen Seiten gesehen würden.

„Im Kreml kennen sie alle Verträge genau“

Doch das Einspeichern dürfte durch die Entscheidung in Moskau und den Unfall in Texas spürbar schwieriger werden, befürchtet Experte Zachmann. „Durch die Drosselung bei Nordstream 1 und die Ausfälle beim LNG fehlen den EU-Staaten rund ein Viertel der Gas-Vorkommen, die wir momentan pro Tage einspeichern“, sagt er dem Tagesspiegel. Tatsächlich kostete Gas am wichtigsten Spot-Handelsplatz Europas, TTF in den Niederlanden, am Mittwochmittag 108 Euro pro Megawattstunde. Am Montag lag der Preis noch bei rund 84 Euro pro Megawattstunde.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Zachmann vergleicht das Agieren zwischen den EU-Staaten und dem Kreml mit einem Spiel. Allerdings einem, bei dem Russland deutlich sortierter auftrete. „Im Kreml kennen sie alle Verträge genau. In der EU schieben die Regierungen das an die Unternehmen ab und lassen sich gegeneinander ausspielen“, beobachtet der Energiemarkt-Experte. Er fordert ein einheitliches Vorgehen der EU-Staaten. Auch aus Eigennutz.

Zachmann sieht Deutschland nur teils gewappnet bei einem Gas-Lieferstopp, noch verheerendere Folgen hätte er in Österreich, Ungarn und der Slowakei. „Bis auf Polen, die klug agiert haben und sich früh unabhängig gemacht haben, wären alle Länder östlich von Deutschland besonders betroffen.“

Teil der Lösung müssten daher noch mehr Einsparungen sein. In vielen EU-Staaten werde weiterhin Gas zur Verstromung benutzt, obwohl Kohle- und Atomkraftwerke dafür in der Reserve wären. „Ich verstehe nicht, warum wir diesen Hebel nicht nutzen“, sagt Zachmann. „Wir müssen jetzt sparen, sparen, sparen.“ (mit Reuters)

Zur Startseite