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Die Frage nach der Herkunft nervt Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Dass Schülerinnen und Schüler an Brennpunktschulen nicht hinterherkommen, liege vielmehr daran, dass sie schon in jungen Jahren unter Armut leiden.

© Kai-Uwe Heinrich

Diversity: Am liebsten sich selbst einstellen

Bundesfrauenministerin Giffey spricht bei der Tagesspiegel-Diversity-Konferenz über Chancenvielfalt. Das Beharrungsvermögen ist groß.

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Eigentlich kennt sich Jutta Berninghausen bestens aus mit dem Thema Vielfalt. Die Professorin leitet das Zentrum für Interkulturelles Management und Diversity an der Hochschule Bremen. Die Frage, wie es dazu in deutschen Firmen steht, bestimmt ihre Tage. Als vor einiger Zeit aber dann eine Stelle an ihrem Lehrstuhl neu besetzt werden sollte, erschrak die Expertin über sich selbst. Gesucht hat sie instinktiv nach einer Frau, die ins Team passt. „Die so ist wie wir“, sagt Berninghausen.

Und genau so eine Mitarbeiterin fand sich auch. Dabei hatte sich damals auch ein Mann beworben, der den Lehrstuhl mit anderen Fähigkeiten hätte bereichern können, mit seinen Computerkenntnissen, wie sie sagt. „Wir sind alle nicht so digitalaffin“, gesteht Berninghausen. Der Mann hat nach seiner gescheiterten Bewerbung einen anderen Weg an die Hochschule gefunden. Und Berninghausen musste feststellen: „Die Vorbehalte, die wir hatten, haben sich überhaupt nicht bestätigt.“

Offenheit trotz Wertvorstellungen

Ihre Erfahrung teilte die Hochschulprofessorin am Donnerstag in einem Workshop bei der Diversity-Konferenz, die vom Tagesspiegel und der „Charta der Vielfalt“ seit 2012 einmal im Jahr veranstaltet wird. 420 Teilnehmer waren der Einladung diesmal gefolgt. Berninghausen diskutierte mit anderen Führungskräften unter anderem darüber, wie sich Offenheit einerseits und feste Wertvorstellungen andererseits bei der Jobvergabe vereinbaren lassen.Für Diversity-Berater Michael Stuber, der den Workshop moderierte, ist das ein heikles Spannungsfeld. Das Problem: Wer Bewerber mit ähnlichen Wertevorstellungen sucht, finde häufig sich selbst. Dabei führen vielfältig zusammengesetzte Teams zu besseren Leistungen, belegen Studien immer wieder.

Die entscheidende Frage sei Stuber zufolge: Was haben Entscheider im Kopf, wenn sie an die Werte ihres Unternehmens denken? In vielen Unternehmen könne es schon helfen, die kulturelle Identität der Firma überhaupt erstmal zu definieren, sagt Stuber. Für wen eine langjährige Berufserfahrung zum Beispiel zur DNA des Unternehmens gehört, für den dürfte die Religion seines Mitarbeiters wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen. Einer Umfrage der Online-Jobplattform Steptone nach achten 93 Prozent aller Personaler zwar besonders darauf, dass Bewerber zu den kulturellen Vorstellungen der Firma passen. Gleichzeitig gibt es in vier von fünf Unternehmen aber keine einheitliche Methode, um das überhaupt zu überprüfen. Es entscheidet also das Bauchgefühl – und das oft ungerecht.

Schlechtes Vorbild: Dax-Vorstände

Diversität in der Arbeitswelt bedeutet Vielfalt bei Alter, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Behinderung, ethnischer Herkunft und Nationalität sowie Religion und Weltanschauung. Doch schon wenn man sich die simple Kategorie männlich, weiblich ansieht, tun sich noch immer große Unterschiede auf: Frauen sind in den Vorständen der 160 deutschen börsennotierten Unternehmen beispielsweise die Ausnahme. Im Jahresvergleich nahm ihr Anteil zuletzt um 0,7 Prozent zu. Damit waren Anfang September acht Prozent der Vorstände weiblich, wie aus dem damals vorgestellten Bericht der Allbright-Stiftung hervorgeht.

In einem Workshop gibt Diversity-Berater Michael Stuber den Teilnehmern Tipps bei der Stellenbesetzung
In einem Workshop gibt Diversity-Berater Michael Stuber den Teilnehmern Tipps bei der Stellenbesetzung

© Kai-Uwe Heinrich

Heißt: Mehr als neun von zehn Mitgliedern sind Männer. „Die Unternehmen werden sich anders aufstellen müssen, sonst ziehen die internationalen Wettbewerber an ihnen vorbei“, sagte Stiftungs-Geschäftsführerin Wiebke Ankersen. In Ländern wie den USA, Großbritannien oder Schweden seien rein männlich besetzte Führungsteams – mit wenigen Ausnahmen – nicht mehr denkbar.

Der geringfügige Anstieg des Frauenanteils sei zudem allein auf Veränderungen in den Unternehmen des Index der mittelgroßen Werte (M-Dax) zurückzuführen, wozu Unternehmen wie Airbus, Fielmann und Hugo Boss zählen. Bei den 30 Dax-Unternehmen stagnierte der Frauenanteil. Ein anderes Bild ergibt sich bei den Aufsichtsräten: Da lag der Frauenanteil bei 30,5 Prozent. Allerdings nur deswegen, weil seit zwei Jahren die gesetzliche Frauenquote gilt.

Es geht nur langsam voran

Wer es noch schwerer hat als der 40-Jährige Thomas, Sohn deutscher Akademiker? Menschen mit einem Migrationshintergrund, Menschen mit einer Behinderung und auch Ältere, die nach einem neuen Job suchen – auch wenn der Fachkräftemangel zunehmend nach ihnen verlangt. Selbst im öffentlichen Dienst wird nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zu wenig darauf geachtet, dass diese Gruppen beruflich vorankommen. Nicht einmal die Hälfte der Dienststellen biete dafür Maßnahmen an, ergab in dieser Woche eine Forsa-Umfrage im Auftrag des DGB. Etwas nüchtern sagte Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Charta der Vielfalt“, zu Beginn der Diversity-Konferenz: „Wir machen sehr kleine Fortschritte.“

Nach ihr sprach Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem Podium: „Jede und jeder einzelne ist das, was sie oder er ist, nicht das, was ihnen zugeschrieben wird.“ Das Thema der Konferenz interpretierte sie auf Basis ihrer langjährigen Erfahrungen als Bürgermeisterin von Neukölln, beliebt als Multi-Kulti-Wohnort von 150 Nationen, berüchtigt als sozialer Brennpunktbezirk. Die Seufzer, wenn es um den hohen Anteil nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler in vielen Neuköllner Klassen gehe, nerve Giffey. „Es sind alles unsere Kinder. Die sind hier geboren und in Berlin aufgewachsen. Und unser Job ist es, dass jedes einzelne Kind seinen Weg machen kann, egal wo die Wiege der Eltern stand“, sagte die Ministerin.

Giffey will mit Vorurteilen aufräumen

Aus ihrer Sicht sei auch nicht die Herkunft der Grund, warum viele Kinder mit Migrationsbiografien in Berliner Schulen nicht mitkämen, sich zum Teil nicht einmal richtig verständigen könnten, sondern die fehlende Unterstützung der Eltern zu Hause, die dort vorherrschende Armut. „80 Prozent der Kinder geht es hierzulande in ihrem Wohlstandsnest gut – 20 Prozent aber nicht.“ Ein geschmiertes Pausenbrot, Ruhe und Hilfe während der Hausaufgaben, eine Geschichte zum Einschlafen gehöre für sie nicht zum Alltag. Wie sie das ändern will? Ihr Gute-Kita-Gesetz soll die frühkindliche Betreuung verbessern; das Starke-Familien-Gesetz soll jene Familien mit sehr wenig Geld unterstützen. Damit jedes Kind eine Vielfalt von Chancen hat.

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