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Dienstleistungsabkommen Tisa: Ein Deal unter Freunden

Im Schatten von Ceta und TTIP: Das weltweite Dienstleistungsabkommen Tisa ist weitgehend unbekannt. Gegner fürchten, EU-Löhne könnten gedrückt, riskante Finanzprodukte zugelassen oder Datenschutz ausgehebelt werden.

Wenn über Welthandel gesprochen wird, denken viele zuerst an gewaltige Containerschiffe und Frachtflugzeuge, die Tonnen an Waren quer über den Globus transportieren. Doch immer stärker wird international auch mit Knowhow gehandelt: Firmen richten Callcenter im Ausland ein, Banken vertreiben ihre Finanzprodukte weltweit, Fachleute bieten ihre Arbeit grenzüberschreitend an. Um den Handel mit solchen Dienstleistungen geht es bei Tisa – dem „Trade in Services Agreement“, das diese Woche in Genf verhandelt wird.

Tisa wurde relativ lange unbemerkt im Schatten der beiden transatlantischen EU-Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) vorbereitet. Von diesem Montag an findet in der australischen Botschaft in Genf bereits die zwölfte Gesprächsrunde statt, alles begann vor zwei Jahren. Kritiker fürchten, durch das Abkommen könnten in der EU Löhne gedrückt, Privatisierungen erzwungen, riskante Finanzprodukte zugelassen oder Datenschutzregeln ausgehebelt werden.

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Am Tisch sitzen 50 Staaten – neben den 28 EU-Ländern unter anderem Amerikaner, Australier, Chilenen, Israeli, Japaner, Mexikaner, Schweizer und Türken. Sie nennen sich die „Really Good Friends of Services“ (RGFS). Es ist ein Club von Staaten, die 68 Prozent des weltweiten Marktes für Dienstleistungen beherrschen und sich von einer weiteren Liberalisierung viel versprechen. Zwar enthält das Abkommen keine Vereinbarungen zum Investorenschutz – der Punkt, der im TTIP/Ceta-Streit besonders kontrovers diskutiert wird – es bietet aber auch so politischen Zündstoff.

Die EU ist mit einem Weltmarktanteil von 23,5 Prozent größter Dienstleistungsexporteur überhaupt. Ihre Servicefirmen erhoffen sich im Jahr zusätzlich 21 Milliarden Dollar Umsatz. Diese Zahl hat das Peterson Institute for International Economics, eine Denkfabrik in Washington, errechnet. Die umgerechnet gut 19 Milliarden Euro entsprächen zwar gerade einmal 0,14 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung – in der Krise aber war das den Regierungen genug, um der EU-Kommission im März 2013 ein Verhandlungsmandat zu erteilen.

Die RGFS-Staaten haben sich zusammengeschlossen, weil die Gespräche zu Freihandel und Liberalisierung auf der Ebene der Welthandelsorganisation WTO stocken. Schon vor 15 Jahren wurden im WTO-Rahmen die Gespräche der sogenannten Doha-Runde gestartet – inklusive eines gesonderten Vertrags über Dienstleistungen namens Gats. Doch seit 2008 passiert nichts mehr. So gilt immer noch der Gats-Vertrag von 1995. Damals aber war der digitale Dienstleistungsmarkt noch kaum entwickelt. Tisa soll später möglichst in ein globales Abkommen integriert werden. Befürworter sehen darin ein Positivbeispiel für andere Staaten. Kritiker fürchten eine Blockbildung, mit deren Hilfe man Ländern wie China später Bedingungen diktieren könnte.

Konkret geht es um vier Arten, wie Dienstleistungen grenzüberschreitend erbracht werden können: Sie werden erstens schlicht geliefert – etwa über Paketdienste, Kontoüberweisungen oder Online-Weiterbildungsangebote. Zweitens geht es um Angebote im Inland, die Ausländer nutzen, wie zum Beispiel Hotelbuchungen. Drittens wird geregelt, unter welchen Bedingungen ausländische Unternehmen Niederlassungen eröffnen können, beispielsweise eine Sprachschule oder ein Callcenter. Besonders umstritten ist der vierte Punkt: Welche Konditionen gelten für Mitarbeiter, die ein ausländisches Unternehmen schickt? Damit stellen sich heikle Fragen nach der Visumspflicht, der zuständigen Sozialversicherung, vor allem aber der Lohnhöhe, wenn diese im Herkunftsland niedriger ist.

Erst vor kurzem wurde das EU-Verhandlungsmandat veröffentlicht

Erst mit Verzögerung, da Kritiker Tisa immer öfter im Zusammenhang mit TTIP und Ceta thematisierten, wurde das Verhandlungsmandat der 28 EU-Staaten für die Brüsseler Kommission vor einem Monat veröffentlicht. Im Mandat, einer Art EU-Wunschliste, wird unter anderem mehr Marktzugang bei Telekommunikationsdiensten, grenzüberschreitender Datenübermittlungen, Finanzdienstleistungen, Post- und Kurierdiensten sowie dem öffentlichen Beschaffungswesen gefordert. Die EU kann sich sogar vorstellen, dass das Abkommen – von noch zu definierenden Ausnahmen abgesehen – „grundsätzlich für alle Sektoren und Erbringungsarten gelten könnte“. Solche Sätze alarmieren die Abkommenskritiker. Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller etwa fürchtet „die Strategie der hemmungslosen Marktöffnung“. „Das öffnet dem Ausverkauf öffentlicher Dienstleistungen Tür und Tor und bedroht Gesundheitsvorsorge wie Bildungssysteme“, warnt sie. Auch Viviane Reding, einst selbst EU-Kommissarin, konservative EU-Abgeordnete und Tisa-Beauftragte des Parlaments, spricht von einem „Blankoscheck für die EU-Kommission“. Bis Herbst will sie im Parlament, das am Ende über Tisa abstimmen wird, per Resolution festschreiben, was geht und was nicht.

Besonders der Bereich der Daseinsvorsorge – also Wasser, Strom, Heizen – ist umstritten. Die kommunalen Spitzenverbände fürchten, dass ihnen durch „Stillstandsklauseln“, die Möglichkeit zur Rekommunalisierung einmal privatisierter Betriebe genommen wird. Die Bundesregierung betont dagegen, dass man diesen Spielraum erhalten wolle. Für die Bereiche Bildung, Soziales, Gesundheit und Wasser sollen zudem weiterhin die bisherigen Gats-Regeln gelten.

Im Rohentwurf des Abkommens werden jedoch nur „in Regierungshoheit bereit gestellte Dienstleistungen“ klar ausgenommen. „Das stellt nur eine begrenzte Ausnahme dar, die lediglich staatliche Kernbereiche wie die öffentliche Verwaltung, das Rechtswesen oder die Polizei abdeckt“, kritisierte Rechtswissenschaftler Markus Krajewski von der Uni Erlangen bei einer Anhörung im EU-Parlament: „Sie hat daher nur einen marginalen Effekt darauf, wie sich ein Handelsvertrages auf öffentliche Dienstleistungen auswirkt.“

Türken wollen "Medizintourismus" fördern, die USA den Datenaustausch

Unsicherheit erzeugt auch, dass in Genf über sensible Bereiche wie den Finanzmarkt oder Medizin verhandelt wird. So will die türkische Regierung einem öffentlich gewordenen Papier zufolge den Gesundheitssektor stärker privatisieren, den „Medizintourismus“ fördern und es Patienten mit günstigen OP-Angeboten ins Ausland locken. Von der Veröffentlichung solcher Dokumente fühlen sich die EU-Verhandler sabotiert. Alle Staaten könnten Vorschläge einreichen, heißt es, diese fänden aber noch lange nicht den Weg ins Abkommen. Die Berichte aber förderten die Panikmache.

Tisa funktioniert nach dem Baukastensystem: Jedes Land kann definieren, welche der vereinbarten Marktöffnungen es mitmacht oder nicht. Das geschieht über Negativlisten: Im Umkehrschluss ist jede Dienstleistung liberalisiert, die dort nicht aufgeführt oder schlicht vergessen wird. Im Gegensatz dazu gibt es im Gats-Vertrag eine Positivliste; liberalisiert wird nur, was auch benannt wird. Daran wollen die Tisa-Kritiker festhalten. Befürworter kritisieren dies als unpraktikabel.

Vivane Reding hat rote Linien markiert: kein Sozialdumping, keine Einwanderung durch die Hintertür, weil Visum oder Arbeitserlaubnis plötzlich automatisch erteilt werden, keine Aushöhlung von EU-Datenschutzregeln. Ein durchgesickerter US-Wunsch lautet nämlich, dass kein Land ein Unternehmen daran hindern können soll, Informationen außer Landes zu schaffen – selbst wenn dort nur eine Dienstleistung erbracht wird und keine Niederlassung eröffnet wurde. „Ohne Niederlassung in der EU“, so Grünen-Politikern Keller, „würde etwa Google auch nicht mehr dem EU-Datenschutzrecht unterliegen.“ Fest steht: Es wird auch bei diesem Abkommen noch viel zu diskutieren geben.

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