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Grün statt gelb-rot: Amazon Fresh muss nun ohne die Logistik von DHL auskommen.

© REUTERS

DHL kündigt Amazon Fresh: Hat Lebensmittelhandel im Internet doch keine Zukunft?

Auch wenn die Umsätze steigen, pendelt der Markt auf niedrigem Niveau. Der Durchbruch bleibt bislang aus. In anderen Ländern scheinen die Chancen besser.

Im Mai 2017 rückte der Onlinehandel mit Lebensmitteln zum ersten Mal in den Fokus der Öffentlichkeit in Deutschland. Damals startete Amazon Fresh; der Service, mit dem der US-Konzern frische Lebensmittel in Berlin, Hamburg und München versendet. Die Logistik lief zunächst über die DHL. Doch seit dieser Woche ist bekannt, dass sich die Deutsche-Post-Tochter aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Ein Zeichen, dass Lebensmittel-Verkauf im Internet doch nicht funktioniert?

Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin. Nach Angaben des Bundesverbandes E-Commerce wächst der Onlineumsatz in keinem Warensegment so schnell wie bei Lebensmitteln. Demnach lag der Umsatz von „E-Food“, wie im Internet verkaufte Lebensmittel kurz genannt werden, im vergangenen Jahr bei 1,36 Milliarden Euro. Ein Plus von 20,1 Prozent auf Jahressicht, beide Jahre zuvor lag der Zuwachs deutlich höher.

Doch um dieses Wachstum einordnen zu können, braucht es noch zwei weitere Kennzahlen. Die erste lautet 123 Milliarden Euro. So viel hat der gesamte Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland im vergangenen Jahr umgesetzt. Die Erlöse von E-Food sind mit Blick darauf also geradezu verschwindend gering. Die zweite Kennzahl ist 65 Milliarden Euro. Diese Zahl beziffert den Umsatz des gesamten Onlinehandels in Deutschland 2018 – und liegt ebenfalls so hoch, dass E-Food auf einmal trotz starken Wachstums weiterhin als kleine Nische erscheint.

Kaufland und Lidl blocken ab, Rewe und Edeka gehen voran

Das sieht auch DHL so. Der Markt für online bestellte, frische Lebensmittel bleibe „bis dato weit hinter den Erwartungen zurück“, sagte eine Sprecherin, nachdem das Aus für die Amazon-Fresh-Lieferungen bekannt geworden war. „Aufgrund dieser Tatsache und der Komplexität des gesamten Prozesses haben wir unsere Aktivitäten in diesem Bereich deutlich reduziert.“ Amazon kommentierte die Entscheidung der Deutschen Post nicht, teilte lediglich mit, dass sich für Kunden nichts ändern werde. Lebensmittel liefert der Konzern Experten zufolge nun mit seinen eigenen Logistikern, die auch normale Amazon-Pakete zustellen.

Tatsächlich ist E-Food für große Anbieter wie Amazon derzeit noch ein Zuschussgeschäft. Es lebt einzig von der Hoffnung, dass sich die Kaufgewohnheiten auch bei den Lebensmitteln ins Internet verlagern und dann nur derjenige bestehen kann, der entsprechende Strukturen aufgebaut habe. Deutschen Händler blicken daher sehr unterschiedlich auf E-Food. Während die Schwarz-Gruppe mit Kaufland und Lidl seine Lebensmittel-Lieferungen vor knapp zwei Jahren abrupt eingestellt hat, treiben Rewe und Edeka das Thema weiter voran.

Speziell Rewe sieht in dem Aufbau einer eigenen Liefer-Infrastruktur eine notwendige Investition in die Zukunft und steckt Millionen-Beträge in deren Entwicklung. Edeka geht das Thema kleinteiliger an; einige Edeka-Märkte liefern auf eigene Faust, in Berlin und Hamburg läuft der Onlineverkauf über das Start-up Bringmeister, das im Zuge der Aufspaltung von Kaiser’s-Tengelmann an Edeka ging. Lidl betreibt indes zwar weiter einen sehr erfolgreichenden Onlineshop. Nur frische Lebensmittel sucht man dort vergebens.

Picnic erschließt Nordrhein-Westfalen

Und so probieren zahlreiche Start-ups, die Lücken auf dem Markt zu füllen. Das Münchener Unternehmen GetNow versucht, sich mit Metro als Partner durchzusetzen. Das Bremer Start-up MyEnso setzt darauf, dass Kunden selbst das Sortiment festlegen können. Und die Berliner von AllyouneedFresh geben sich als Online-Supermarkt ganz im Stile von Amazon Fresh. Hier ließ DHL im übrigen schon vor einem Jahr durchblicken, dass Food-Lieferungen intern kritisch gesehen werden: Bis September 2018 gehörte AllyouneedFresh zur Deutschen Post, wurde dann aber an den Reifenhersteller Delticom verkauft.

Eine der größten Hoffnungen im Bereich E-Food ist allerdings ein Start-up aus den Niederlanden. Der Lieferdienst Picnic ist seit Frühjahr 2018 auch in Deutschland aktiv und beliefert bislang nach eigenen Angaben rund 38.000 Kunden in Nordrhein-Westfalen. Dabei geht es nach dem sogenannten „Milchmann“-Prinzip vor: Der Kunde bestellt online, gibt ein Zeitfenster für die Lieferung an und daraus errechnet Picnic dann die optimale Routen, auf denen die Lebensmittel am nächsten Tag aus eigens dafür angefertigen Fahrzeug heraus angeliefert werden. Mit dieser Taktik erschließt Picnic Stadt für Stadt in NRW, wann der Service auch in Berlin verfügbar ist, ist nicht bekannt.

Auch in Berlin betreibt Amazon Lager, von denen aus Lebensmittel versendet werden.
Auch in Berlin betreibt Amazon Lager, von denen aus Lebensmittel versendet werden.

© Dirk Mathesius/Amazon/dpa

Ohnehin werden im Ausland große Hoffnungen in E-Food gesetzt. Speziell in den USA haben es damit einige junge Unternehmen zu Milliardenbewertungen gebracht. Stellvertretend dafür stehen die Start-ups Instacart, Shipt und Postmates, das der Deutsche Bastian Lehmann gegründet hat. Sie alle liefern frische Lebensmittel von verschiedenen Supermarktketten aus. Und sie alle können auf hohe Umsätze verweisen. Ob sie aber langfristig profitabel wirtschaften können, muss sich noch zeigen.

Dass E-Food es im Ausland leichter haben könnte als in Deutschland, legt ein Blick auf die Supermarktdichte nahe. In Deutschland kommen laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen auf eine Million Einwohner 336 Supermärkte. In Frankreich hingegen sind es nur 171, in Großbritannien und den USA noch deutlich weniger. Die Annahme: Je weiter der nächste Supermarkt entfernt ist, desto größer der Anreiz für den Onlinekauf.

Diese These wird bestärkt durch die Tatsache, dass zwar die Umsätze in Deutschland steigen, die Zahl der Kunden allerdings kaum. Nach Zahlen des Digitalverband Bitcom hatten 2014 23 Prozent der Deutschen schon einmal Lebensmittel oder Getränke im Internet gekauft, 2018 waren es 29 Prozent, obwohl seitdem eine ganze Reihe neuer Lieferdienste an den Start gegangen ist – inklusive Amazon Fresh. Es könnte allerdings auch sein, dass die Abkehr der DHL von E-Food gar nichts mit durchwachsenen Marktaussichten zu tun hat. Vielleicht will man sich in Bonn nach herben Verlusten 2018 auch einfach auf das Kerngeschäft mit normalen Paketen konzentrieren. In NRW liefert ja ohnehin Picnic.

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