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Eine "Ethik der Digitalisierung", forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung des Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Sonntag in Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

DGB-Kongress zur Zukunft der Arbeit: Steinmeier fordert "Ethik der Digitalisierung"

Die Digitalisierung ist die nächste große Bewährungsprobe des Sozialstaates, sagt Bundespräsident Steinmeier. Umso mehr seien Gewerkschaften gefordert.

Reiner Hoffmann begrüßte die neue Familienministerin mit einer kleinen Drohung. „Nachher unter vier Augen“, so der DGB-Chef zu Franziska Giffey, wolle er sie zur Unterschrift unter eine Beitrittserklärung bewegen. Giffey ist die einzige SPD-Politikerin in der Bundesregierung, die keiner Gewerkschaft angehört. Obwohl doch „die Gesellschaft einen starken DGB braucht, der das Leben der Menschen verbessert“, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag bei der Eröffnung des 21. Bundeskongresses des DGB seinem Gastgeber schmeichelte.

Zukunftsangst dürfe sich nicht in Demokratieskepsis verwandeln

In den Grußworten des Bundespräsidenten, des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD), sowie des DGB-Vorsitzenden ging es um drei Themen: Europa, Arbeit in Zeiten der Digitalisierung sowie den Erfolg von AfD und anderen Rechtspopulisten in Europa und den USA. „Der DGB steht beim Kampf gegen die ewig Gestrigen in der ersten Reihe“, lobte Steinmeier die Gewerkschaften. Müller betonte die Relevanz von Vielfalt und Toleranz für Wachstum und Wohlstand. „Wer für Abschottung und Ausgrenzung ist, der schadet dem Standort.“
Der DGB hatte die AfD nicht zum Kongress eingeladen, alle anderen Parteien sind dagegen vertreten. So spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag zu den 400 Delegierten im Neuköllner Estrel Hotel.
Steinmeier stellte den technologischen Wandel, der die „Fliehkräfte“ in der Gesellschaft verstärken könnte, in den Mittelpunkt seiner Ansprache. „Wir müssen Digitalisierung so gestalten, dass sie Arbeit aufwertet und nicht ersetzt“, sagte der Bundespräsident, der eine „Ethik der Digitalisierung“ forderte. Dies sei insbesondere nötig, weil die Digitalisierung viele Menschen verunsichere. „Weil Zukunftsangst, wo immer sie vorhanden ist, sich nicht in Demokratieskepsis verwandeln darf“, sagte Steinmeier. „Das hatten wir schon mal in Deutschland.“

Wann tun, wenn der Arbeitgeber verschwindet?

Die Digitalisierung markiere die nächste große Bewährungsprobe des Sozialstaates. „Nehmen wir das Beispiel der digitalen Plattformen“, sagte Steinmeier. „Was tun, wenn der Arbeitgeber verschwindet und die Plattform nur Arbeit vermittelt? Wer zahlt bei Urlaub und Krankheit? Wer zahlt in die Rentenkasse? Die Antwort ,niemand‘ ist schwer zu akzeptieren oder gar nicht.“
Steinmeier rief den DGB auf, die neue digitale Arbeitswelt kraftvoll mitzugestalten. Die gegenwärtigen Sozialsysteme seien die Antwort auf die ersten zwei industriellen Revolutionen gewesen. In der Plattformökonomie, wo häufig nicht deutlich sei, wer der Arbeitgeber ist, bedürfe es neuer Regeln. „Wir brauchen nicht nur starke Gewerkschaften, sondern auch Betriebe und Arbeitgeber, die Verantwortung übernehmen“, sagte der Bundespräsident. Steinmeier verteidigte die „tradierte Form der Gehaltsfindung“ durch die Tarifpartner und lehnte ein „bedingungsloses Grundeinkommen" als „Abstellprämie“ für das Aussortieren von Arbeitskräften ab.

Müller verteidigt "solidarisches Grundeinkommen"

Michael Müller verteidigte dagegen seinen Vorschlag eines „solidarischen Grundeinkommens“, um damit die Zielgruppe von rund einer Million Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot zu bringen. „Ich kann die doch nicht einfach aufgeben“, rief der Regierende Bürgermeister den an diesem Punkt reservierten Gewerkschaftern zu.

Viel Beifall gab es dagegen für Müller, als er Fehler der Berliner Politik in der Vergangenheit einräumte – zu viel privatisiert, zu wenig investiert – und die Rolle der öffentlichen Hand für einige Bereiche der Daseinsvorsorge herausstellte. Dazu gehörten Energie- und Wasserversorgung, Mobilität und Gesundheit sowie Wohnen. „Wir müssen den Bundesinnenminister darauf aufmerksam machen, dass er auch Bauminister ist und sich nicht nur mit Kruzifixen beschäftigten sollte“, sagte Müller über Horst Seehofer (CSU).

70 000 Menschen arbeiten in Berlin im digitalen Umfeld

Müller äußerte sich ebenfalls zum Megatrend der Digitalisierung. Er freue sich zwar über die 70 000 Menschen, die in Berlin inzwischen „im digitalen Umfeld“ arbeiten. Doch die Art der Arbeitsplätze mache ihm Sorge. „Ein Geschäftsmodell ohne Ausbildungsplätze, ohne Mitbestimmung und Tarifverträge ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell“, sagte der Regierende. DGB-Chef Hoffmann zufolge arbeitet rund ein Fünftel der Beschäftigten hierzulande in prekären Verhältnissen. Welche Vorstellungen der DGB-Chef von der Arbeit der Zukunft hat, will er am heutigen Montag erläutern, nachdem er für eine weitere, vierjährige Amtsperiode gewählt worden ist.

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