zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Den DGB zieht es an die Spree

Kongreß muß über Umzug entscheiden / Einzelgewerkschaften bleiben wo sie sind DÜSSELDORF (Tsp).Die Industriegewerkschaft Metall beging am Wochenende an ihrem alten Stammsitz ihren hundertsten Geburtstag ohne Wehmut.

Kongreß muß über Umzug entscheiden / Einzelgewerkschaften bleiben wo sie sind

DÜSSELDORF (Tsp).Die Industriegewerkschaft Metall beging am Wochenende an ihrem alten Stammsitz ihren hundertsten Geburtstag ohne Wehmut.Denn an den Ort ihrer großen historischen Erfolge zieht sie nichts zurück.Auch auf die übrigen Einzelgewerkschaften des DGB - Ausnahme ist die Polizeigewerkschaft - übt die Hauptstadt keine große Anziehungskraft aus.Doch würden die meisten von ihnen es gut finden, wenn wenigstens der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zeitgleich mit der Bundesregierung umziehen würde.In der IG Metall, deren Vorsitzender Klaus Zwickel öffentlich den Umzug gefordert hat, gibt es bereits Gerüchte, in einigen Gremien des DGB seien entsprechende Beschlüsse schon gefallen.In der Düsseldorfer DGB-Zentrale gibt es dazu ein eindeutiges Dementi."Die Neigung zur Standortverlagerung wächst in unseren Reihen, aber beschlossen ist noch nichts," sagt DGB-Sprecher Bernhard Schulz gegenüber dem "Handelsblatt"."Der Sitz Düsseldorf ist in der Satzung festgeschrieben.Und die kann nur auf einem Kongreß geändert werden." Der nächste DGB-Kongreß findet 1998 statt, die Antragsfrist läuft am 20.Februar 1998 aus.Bislang liegt kein Antrag vor. Gewissermaßen "bürotechnisch" wird der DGB im Jahr 2000 zum Umzug bereit sein.Schließlich besitzt er in Berlin, am Märkischen Ufer/Wallstraße, ein eigenes Gewerkschaftshaus, das gegenwärtig mit einem zweistelligen Millionenaufwand modernisiert wird.Doch noch betont man in Düsseldorf, daß die Sanierungsarbeiten nicht auf den Raumbedarf der DGB-Spitze zugeschnitten sei.Gleichwohl scheint der Umzugsbeschluß nur noch eine Formsache zu sein.Denn was soll der DGB am Rhein, wenn die Zentralen der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände nach Berlin ziehen. Für die IG Metall ist Berlin eng mit ihrer jüngsten Geschichte verbunden.Hier erlebte sie nach ihrem Umzug aus Stuttgart in den frühen 30er-Jahren eine erste Blütezeit.In der damaligen Reichshauptstadt arbeiteten in 15 000 Metallbetrieben 400 000 Menschen und gaben der Gewerkschaft ein festes Fundament.Die Nazis, der Krieg und die Teilung Deutschlands und Berlins setzten dem ein Ende.Die IG Metall zog von der Spree an den Main.Und dort will sie auch bleiben."Wir sind doch gerade dabei, unsere Präsenz in Frankfurt noch sichtbarer zu verstärken.Wir schenken der Mainmetropole einen neuen 72 Meter hohen Büroturm", berichtet Sprecher Claus Eilrich.In dem geplanten Domizil wird es auch 66 Wohnungen und einige Läden geben.Wichtiger Nebeneffekt dieser Entscheidung: Eine monatelange Medienkampagne in Hessen wurde abrupt beendet, in der der Gewerkschaft vorgeworfen worden war, sie wolle aus dem Baugrundstück in Vorzugslage nur Kapital schlagen und am Ende doch nach Berlin wechseln.Für Frankfurt spricht die Nähe zur Wirtschaft, die für die IG Metall so wichtig ist wie die Nähe zur Politik für den DGB.Berlin verliere in puncto Industrie ständig an Bedeutung, weiß Eilrich. Daran ändert auch der Lokalpatriotismus des IG-Metall-Sprechers für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Michael Böhm, wenig, der auf die zwar geschrumpfte, doch mit 60 000 Mitgliedern immer noch große Bedeutung der Region verweist.Auf Zustimmung aus Frankfurt kann Böhm wohl eher rechnen, wenn er eine politische Vertretung der IG Metall in Berlin fordert.Nicht zu unterschätzen sei auch die wachsende Bedeutung von Angestelltenberufen und Zukunftsbranchen wie der Telekommunikation die zur Klientel der IG Metall gehörten.Für sie und nahezu alle Dienstleistungsbranchen sei Berlin ein interessanter Standort.Und damit werde sich auch in Berlin entscheiden, "ob es in Deutschland eine post-industrielle IG Metall geben wird oder nicht", meint Böhm. Politische Vertretungen wollen auch andere Gewerkschaften in örtlicher Nähe zur Regierung unterhalten.Die IG Bau-Steine-Erden nimmt für sich in Anspruch, die Bedeutung Berlins für die künftige Gewerkschaftsarbeit schneller erkannt zu haben als andere.Horst Schulz, Leiter der Parlamentarischen Verbindungsstellen Berlin und Bonn, verweist darauf, daß seine Gewerkschaft bereits seit 1991 von Berlin aus die Lobby-Arbeit in allen Landesparlamenten Ostdeutschlands, zunehmend aber auch bundespolitische Aufgaben koordiniere.Frankfurt (Main) als Hauptsitz steht jedoch nicht zur Disposition, das neue Bürohaus ist gerade einmal anderthalb Jahre alt. Auch die IG Chemie hat in Hannover neu gebaut.Ihr Chef Hubertus Schmoldt besichtigte jedoch im Frühjahr in Berlin das neue Domizil, das die Vertretung in Bonn ablösen soll - eine Gründerzeit-Villa mit altem Baumbestand mitten im Grünen.Die ganze Umzugsdiskussion ist für ÖTV angesichts der neuen Möglichkeiten in der Kommunikationstechnik unverständlich.Und die Tarifverhandlungen in Stuttgart-Degerloch seien ein Stück bewahrenswerter Tradition.Doch soll die Bonner Vertretung 1999 nach Berlin verlegt werden.Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit Sitz in Hilden hat ein Dreistufen-Modell.Je nach Bedarf werde man entweder mit einer Abteilung oder mit zwei Abteilungen oder komplett nach Berlin wechseln.Die IG Medien will in Stuttgart bleiben.Eine Verbindungsstelle braucht sie nicht.Mehr als 20 Bundestagsabgeordnete besäßen auch ein Mitgliedsbuch der Gewerkschaft.Näher könne man auch in Berlin nicht am Regierungsgeschehen sein.

Zur Startseite