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Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" denkt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wegen neuer Abgas-Messwerte über ein flächendeckendes Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in München nach.

© dpa/ Matthias Balk

Debatte über Schadstoffbelastungen: Immer mehr Städte denken über Diesel-Fahrverbote nach

Ab dem kommenden Jahr könnten Dieselfahrer vielerorts Probleme bekommen. Nach Stuttgart erwägt nun auch München Fahrverbote. Steht die Technologie vor dem Aus?

Es wird eng für Dieselfahrer. Wer mit einem Auto unterwegs ist, das nicht der modernsten Abgasnorm Euro 6 entspricht – das sind bundesweit etwa 12,5 Millionen Fahrzeughalter –, könnte vom kommenden Jahr an in vielen Städten Probleme bekommen. Hamburg hat schon zwei große Durchgangsstraßen für Diesel gesperrt. In Stuttgart sollen ältere Fahrzeuge ab 2018 nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen, Düsseldorf erwägt ebenfalls Fahrverbote. Nun schließt sich wie erwartet auch München an.

Warum wollen immer mehr Städte Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge erlassen?

Die Städte wollen nicht, sie müssen, weil Gerichte sie dazu zwingen. Viele wurden von Umweltverbänden, allen voran der Deutschen Umwelthilfe (DUH), verklagt – wegen fortgesetzter Überschreitungen der Stickstoffdioxid-Grenzwerte in der Luft. Verursacher Nummer eins: der Diesel. So klagt die DUH zum Beispiel auch in Aachen, Bonn, Essen, Gelsenkirchen und Köln, insgesamt in zwei Dutzend Städten. Im Fall München zwingt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Stadt dazu, bis zum 31. Dezember Fahrverbote vorzubereiten.

Spannend wird es in NRW: Nach einer erfolgreichen Klage gegen die Stadt Düsseldorf lässt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig klären, ob Diesel-Fahrverbote überhaupt nach jetziger Rechtslage zulässig sind. Das im Herbst erwartete Urteil wird letztinstanzlich und verbindlich für rund 80 betroffene Ballungsräume in Deutschland sein. Hinzu kommt: Die EU-Kommission hat gegen Deutschland wegen der Luftverschmutzung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Kann die Bundesregierung nicht rechtzeitig und glaubwürdig darlegen, wie sie die Feinstaub- und Stickoxidbelastung in den Städten reduzieren will, könnte Deutschland in Kürze vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden.

Die Städte und Kommunen, die zur Umsetzung der Luftreinhaltung gezwungen sind, fordern Lösungen – zum Beispiel eine Blaue Plakette für Euro 6-Diesel. Diese sei ein "praktikables Instrument", mit dem die Einfahrt von schmutzigen Dieseln in die Innenstädte künftig verhindert werden könnte, ohne jedes Auto einzeln kontrollieren zu müssen, glaubt auch der Deutsche Städtetag.

Müsste der Bundesverkehrsminister jetzt nicht aktiv werden?

Alexander Dobrindt (CSU) lehnt Fahrverbote und eine Blaue Plakette ab. Vor gut einem Jahr hatte die Umweltministerkonferenz die Plakette für relativ schadstoffarme Autos vorgeschlagen, doch die Verkehrsminister der Ländern stimmten mehrheitlich dagegen. Dobrindt argumentiert, es sei nicht sinnvoll, Diesel-Fahrzeuge, die nur ab und zu in die Innenstadt führen, auszusperren. Stattdessen müssten jene Fahrzeuge elektrifiziert werden, die jeden Tag intensiv in den Innenstädten unterwegs seien: Taxis, Busse und Lieferfahrzeuge.

Die bieten deutsche Hersteller allerdings bis jetzt kaum an, die Elektromobilität setzt sich insgesamt viel zu langsam durch, um die akute Luftverschmutzung zu reduzieren. Den Städten, die eine Blaue Plakette fordern, empfiehlt Dobrindt, Straßen zu sperren. Experten halten dies nicht für sinnvoll, weil wegen des Ausweichverkehrs die Umweltbelastung nicht abnehme.

Gibt es Alternativen zu Fahrverboten, und was tut die Industrie?

Die Autoindustrie argumentiert ähnlich wie Dobrindt. "Auch für München gilt: Um die Luftqualität in den Städten zu verbessern, gibt es intelligentere und schneller wirkende Maßnahmen als temporäre oder gar dauerhafte Verkehrsbeschränkungen, zum Beispiel die Verbesserung des Verkehrsflusses und Stauvermeidung", erklärte der Autoverband VDA. Die Industrie prüft zudem eine Nachrüstlösung von Euro 5-Dieseln. Zunächst hatte sie diese abgelehnt, dann aber unter dem wachsenden politischen Druck zugesagt. Bundesregierung und Autoindustrie sollen sich nun darüber verständigen.

Offen ist aber, ob die Umrüstung technisch machbar ist und ob die Autohersteller die Kosten dafür übernehmen oder die Verbraucher beteiligt werden. Baden-Württemberg hat den Bund aufgefordert, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen und rasch zu klären, wer die Kosten trägt. Auch die Verkehrsministerkonferenz und die Umweltministerkonferenz der Länder haben vom Bund ein Konzept für die Diesel-Nachrüstung gefordert. Verändern Hersteller Software oder Hardware am Auto so weit, dass es nicht mehr der ursprünglichen Zulassung eines Modells – der Typgenehmigung – entspricht, muss das Kraftfahrt-Bundesamt das genehmigen. Unterstellt ist das KBA dem Bundesverkehrsministerium.

Wie schädlich sind Stickstoffoxide?

Laut Umweltbundesamt reizt Stickstoffdioxid die Schleimhäute in den Atmungsorganen und den Augen. Akut treten demnach Hustenreiz, Atembeschwerden und Augenreizung auf. Wird der Schadstoff eingeatmet, kann dies zu weiteren Störungen führen. So nehmen laut Umweltbundesamt Herz- und Kreislauferkrankungen zu. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie von US-Forschern starben 2015 allein rund 38.000 Menschen wegen nicht eingehaltener Abgasgrenzwerte bei Dieselfahrzeugen

Hat der Diesel eine Zukunft?

Der Diesel verliert Marktanteile. Das hat nicht nur mit drohenden Fahrverboten, sondern vor allem mit den Folgen des VW-Dieselskandals zu tun. Die Verunsicherung der Verbraucher, wie sauber der Diesel tatsächlich ist, wächst. Anfang des Jahres war zwar noch jeder dritte der 45,2 Millionen Pkw in Deutschland ein Dieselmodell. An den Neuzulassungszahlen lässt sich aber ablesen, dass immer mehr Autokäufer die Antriebsart meiden. Im Mai lag der Anteil bei den Neuanmeldungen noch bei gut 40 Prozent – vor einem Jahr waren es mehr als 47 Prozent.

Weil etwa zwei Drittel aller Neuwagen gewerblich genutzt werden, hält sich der Diesel- Anteil allerdings noch relativ stabil. Wird er viel gefahren, spielt er wegen des vergleichsweise niedrigen Spritverbrauchs Kostenvorteile aus. Hinzu kommt, dass jeder Liter Diesel an der Tankstelle einen Steuervorteil von 18 Cent genießt. Daran wird sich wohl wenig ändern, denn die politische Unterstützung für den Selbstzünder hat Gründe. Zum einen setzt die deutsche Autoindustrie mit ihren hunderttausenden Arbeitsplätzen wie keine andere auf der Welt auf den Diesel. Zum anderen wird er wegen seiner niedrigeren CO2-Emissionen für den Klimaschutz und die Einhaltung der EU-Umweltstandards ab 2021 gebraucht.

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