zum Hauptinhalt
Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, beim Hallenrundgang vor Beginn der Grünen Woche.

© imago images/Christian Spicker

„Davos der Agrarpolitik“: Darum wird die Grüne Woche so politisch wie noch nie

Wird Landwirtschaft noch wertgeschätzt? Die Stimmung zum Start der Agrarmesse ist aufgeheizt. Start-ups sollen Bauern, Handel und Verbraucher wieder versöhnen.

Von Laurin Meyer

Schon vor der Eröffnung zeigt sich: Die Veranstalter der Internationalen Grünen Woche sind nervös. Als Wolfgang Rogall, Sprecher der Berliner Messe, das diesjährige Programm vorstellt, begrüßt er seine Gäste kurzerhand zur 35. Auflage der weltweit wichtigsten Agrarmesse.

Der Satz hat einen Schönheitsfehler: Die Grüne Woche findet bereits zum 85. Mal statt und ist damit eine der traditionsreichsten Messen überhaupt. Ein freudscher Versprecher seines Kollegen, muss auch Messechef Christian Göke zugeben.

Bei den vielen Herausforderungen, vor denen die Branche steht, kann man schon mal durcheinander kommen: Klimaschutz, Agrarwende, Digitalisierung. Die Grüne Woche, die am Freitag für Besucher öffnet, wird in diesem Jahr so politisch wie nie. Die Landwirtschaftsminister aus 70 Ländern kommen hier zusammen, selbst bei Treffen der Vereinten Nationen sind meist weniger Amtskollegen anwesend.

Zum ersten Mal sind zudem gleich vier Bundesministerien vertreten. Vom „Davos der Agrarpolitik“ ist schon die Rede, in Anlehnung an das zeitgleich stattfindende Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Die drängende Aufgabe: Landwirtschaft und Gesellschaft miteinander versöhnen.

Die Stimmung vor dem Start ist aufgeheizt. Umweltschützer und Jugend fordern stärkere Auflagen für die Landwirtschaft. Die Bauern fühlen sich nicht mehr wertgeschätzt, protestieren mit ihren Traktoren in den Innenstädten. „Nie zuvor stand die Grüne Woche so stark im Zeichen der Klimadebatte“, sagt Göke. „Und wir sind Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

[Trecker-Demos am Freitag und Samstag in Berlin: Das müssen Sie über Routen und Sperrungen wissen.]

Die Agrarmesse soll nun Bühne für jedermann sein, soll den Diskurs versachlichen, so das ausgerufene Ziel. Dazu werden in diesem Jahr so viele Gäste wie noch nie die Gelegenheit haben. Mehr als 1800 Aussteller aus 72 Ländern haben sich angemeldet, stellen Innovationen in der Landwirtschaft und aktuelle Essenstrends vor. Rund 400.000 Besucher werden erwartet. Damit schafft die Grüne Woche neue Bestmarken.

Start-ups sollen Probleme lösen

Hoffnungen setzt die Branche vor allem in Start-ups. Sie sollen lösen, was etablierten Unternehmen bislang nicht gelingen will. „Die haben völlig ungewöhnliche Ideen, wie große gesellschaftliche Probleme angegangen werden können“, sagt Christoph Minhoff, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). „Die Szene traut sich, mehr quer zu denken.“

Eine Besucherin vor dem Insektenhotel der Internationalen Grünen Woche.
Eine Besucherin vor dem Insektenhotel der Internationalen Grünen Woche.

© Carsten Koall/dpa

Gemeint ist etwa das Start-up Agrora. Die Jungunternehmer wollen Bauern und Händlern dabei helfen, den Strukturwandel zu meistern. Agrora digitalisiert die Einkaufsprozesse seiner Kunden, bringt sie auf einem Online-Marktplatz zusammen und organisiert den Transport. Das soll mehr Transparenz und Planungssicherheit bringen.

Besteck zum Aufessen, mehr fermentierte Lebensmittel

Das Start-up Kulero stellt essbares Besteck vor. Das Motto: aufessen statt entsorgen. Gabeln, Löffel und Messer bestehen aus gebackenem Teig aus verschiedenen Mehlsorten, Salz und Wasser sowie Kakao, Gewürzen oder Kräutern. Verbraucher sollten sich beim Essen allerdings nicht allzu viel Zeit lassen: Die Löffel halten in heißen Suppen eine knappe halbe Stunde.

Mehr Zeit zum Verzehr haben Kunden von Fairment. Das Berliner Start-up betreibt einen Onlineshop für fermentierte Lebensmittel, darunter sind Gärgetränke wie Kombucha, ein fermentierter Grüntee. Vergorene Lebensmittel halten länger und sollen somit vor der Mülltonne bewahrt werden.

Verbraucher sollen es regeln

Die Ernährungsindustrie hofft darauf, dass Verbraucher dafür auch zahlen wollen. Mehr Nachhaltigkeit, mehr Tierwohl, weniger Plastik – all das kostet meist mehr. „Ich gebe den Verbrauchern nicht die Schuld, aber der Verbraucher hat es in der Hand“, sagt Minhoff. „Es ist doch nicht so, als gäbe es das Angebot nicht.“ Ein Produkt, das im Supermarkt nicht verkauft wird, das werde es auch nicht mehr geben.

Der Bund Ökologische Landwirtschaft (BÖLW) beurteilt das ganz anders. „Märkte können auch durch das Angebot gemacht werden“, sagt Vorstandsmitglied Volker Krause. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht. „Zunächst einmal müssen die politisch Verantwortlichen Subventionen, die Umwelt und nachhaltig wirtschaftenden Betrieben schaden, stoppen.“

Messebesucher erwartet also Klimaschutz auf dem Teller. Dieses Jahr im Trend: Algen als Proteinersatz, Frühstückscerealien aus geretteten Bananen oder sogenanntes Zero-Waste-Bier, das aus altem Brot gebraut wird. Ob ihm der Klimaschutz schmeckt, muss dann jeder selbst herausfinden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false