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Formel-1-Weltmeister Ayrton Senna gewinnt den Großen Preis von Brasilien 1993.

© Norio Koike/dpa-picture alliance

Datenanalyse Formel 1: Ayrton Senna war tatsächlich der Schnellste

Mit Hochleistungsrechnern unterstützt Amazon die Formel 1. Der Einblick in die Daten soll die Rennen auch für die Fans noch spannender machen.

Was viele Formel-1-Fans aus einem Bauchgefühl heraus immer schon sagten, ist jetzt quasi wissenschaftlich erwiesen: Ayrton Senna war der schnellste Fahrer der vergangenen Jahrzehnte. Der Brasilianer, 1994 beim Grand Prix von San Marino ums Leben gekommen, liegt vor Michael Schumacher und Lewis Hamilton.

„Es ist schön, dass wir dieses Bauchgefühl durch riesige Datenmengen und einen ganz nüchternen Algorithmus bestätigen konnten“, sagt Rob Smedley im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Der Brite ist seit 2020 Director of Data Systems bei der Formula One Group, dem Veranstalter der Rennen. Zuvor war er viele Jahre Datenanalyst und Renningenieur bei den Teams Williams, Jordan und Ferrari.

In seiner neuen Funktion arbeitet der studierte Maschinenbauer und Mathematiker eng zusammen mit Amazon Web Services (AWS). Als Technologiepartner unterstützt AWS die Formel 1, die 2016 für relativ bescheidene 4,4 Milliarden Dollar an das US-Unternehmen Liberty Media verkauft wurde. Mit Hochleistungsrechnern, künstlicher Intelligenz und Big Data trägt AWS dazu bei, dass die Rennteams ihre Autos noch schneller und effizienter entwickeln können. Und die Fans sollen in Echtzeit verfolgen können, wie sich die Teams und ihre Fahrer schlagen, welche Fehlentscheidung wie viel Zeit kostet.

Daten von 1983 bis heute ausgewertet

Vielleicht das schönste Ergebnis dieser Zusammenarbeit: Fastest Driver. Unter dieser Überschrift haben die IT-Nerds viele Monate lang historische Daten von 1983 bis heute ausgewertet, um den schnellsten Fahrer der Neuzeit zu küren. Um Rennglück, Wetter und Unfälle herauszurechnen, haben die Spezialisten für Machine Learning die Daten aus den Qualifying-Runden vor dem Rennen von Fahrern desselben Rennteams verglichen. Ausreißer von mehr als zwei Sekunden Abstand, etwa durch Unfälle, wurden gestrichen. 

Nachdem die Spezialisten von AWS diese Daten aggregiert hatten, bauten sie ein Netzwerk von Teamkollegenvergleichen auf, mit dem Ziel, Fahrer über alle Teams, Saisons und Rennstrecken hinweg zu vergleichen. Zum Beispiel waren Sebastian Vettel und Max Verstappen noch nie im selben Team. Also diente der Fahrer Daniel Ricciardo als Bindeglied: Ricciardo war in den Saisons 2016 bis 2018 beim Team Red Bull im Durchschnitt 0,18 Sekunden pro Runde langsamer als Verstappen. Doch als er mit Vettel zusammen in diesem Team fuhr, konnte er den Hessen um 0,1 Sekunden distanzieren. 

Im Ergebnis liegt der aktuelle Weltmeister Verstappen auf Platz 4 der Langzeit-Rangliste – mit einem Rückstand von 0,280 Sekunden pro Runde auf Ayrton Senna. Vettel schafft es mit 0,435 Sekunden auf Platz 10.  

Viele Weltmeister weiter hinten

Dass Fahrer wie Fernando Alonso, Nico Rosberg und Charles Leclerc die Ränge 5 bis 7 belegen, kommt für Formel-1-Fans nicht überraschend – wohl aber, dass die glücklosen Heikki Kovalainen und Jarno Trulli noch vor Vettel rangieren. „Das war für mich auch unerwartet“, sagt Daten-Chef Smedley. „Aber wenn man die Trainings noch mal genau anschaut, sieht man, dass es stimmt. Das sind sehr pure Resultate, ohne jede Manipulation.“ So fuhr der Finne Kovalainen in seiner Zeit bei McLaren im Schnitt nur 0,1 Sekunden langsamer als der mittlerweile siebenmalige Weltmeister Hamilton.

Dass die nüchternen Zahlen die Wirklichkeit manchmal doch nicht ganz abbilden können, zeigen die enttäuschenden Platzierungen der mehrfachen Champions Alain Prost (Rang 20), Nigel Mansell (28), Mika Häkkinen (38) und Nelson Piquet (40). Der Finne Häkkinen, der 1998 und 1999 Schumacher den WM-Titel vor der Nase wegschnappte, hat mit 0,588 einen für Formel-1-Verhältnisse riesigen Rückstand auf den Überflieger Senna. Und doch holte er in 161 Formel-1-Rennen 26 erste Startplätze, 25 schnellste Rennrunden und 20 Grand-Prix-Siege heraus.

„Das sind alles große Fahrer, aber das muss nicht heißen, dass sie am Samstagnachmittag die eine heiße Runde in den Asphalt nageln“, sagt Smedley. Beim Qualifying gehe es „nur um rohe Geschwindigkeit“, im Rennen auch sehr um Taktik. Und da war zum Beispiel Prost, den sie „Professor“ nannten, ein Meister.

300 Sensoren in jedem Auto verbaut

Die herausragenden Fahrer der Formel-1-Geschichte taten sich auch darin hervor, das eigene Auto weiterzuentwickeln. Niki Lauda – der für das Ranking Fastest Driver zu früh fuhr – wurde für sein „Popometer“ gerühmt. Heute werden die Piloten und die Teams durch Hightech unterstützt. 300 Sensoren sind in jedem Auto verbaut, sie senden mehr als 1,1 Million Daten pro Sekunde an die Box.

„Damit kann ich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen rausholen“, sagt Smedley. Je konsequenter und klüger ein Team diese Masse an Daten nutze, desto schneller könne es sein Auto weiterentwickeln. „Der Wettbewerb ist so hart, wer nicht die neueste Technologie nutzt, kann nicht bestehen.“

Die Daten und die Hochleistungscomputer zu ihrer Auswertung sind aber nicht nur wichtig, um vor und während der Saison ein besseres Auto als die Konkurrenz zu haben. Sie haben auch stark dazu beigetragen, das Reglement für das 2022er Auto festzulegen und die aerodynamischen Simulationen um 70 Prozent zu beschleunigen. 

Durch den geringeren Anpressdruck gibt es in dieser Saison mehr Überholvorgänge, die Meisterschaft ist offener geworden. „Jetzt ist auf einmal Ferrari vorne, Mercedes ausnahmsweise nicht, das Mittelfeld ist näher an die Spitzengruppe herangerückt“, sagt der 48-jährige Formel-1-Veteran Smedley.

Die Fans freut es. Sie sollen sich aber nicht nur durch die Netflix-Serie über die Rennserie angefixt werden, sondern auch durch ganz neue Einblicke, die AWS mit seinen Daten möglich macht. Liberty Media spricht von „Datatainment“. 

Das heißt: Die Zuschauer:innen bekommen in Echtzeit Informationen über die Strategie der Teams, über Boxenstopps, nachlassende Motorleistung und sich auflösende Reifen. Vor ihren Augen wird analysiert, welcher Fahrer ein guter Starter ist und welchen Bremsstil er hat. 

Nur spät und brutal bremsen ist nämlich nicht alles, das Einlenken in die Kurve, die Fahrt durch die Kurve und das Herausbeschleunigen sind ein diffiziles Zusammenspiel, das sich durch Daten noch besser verstehen lässt als nur durch die klassische Zeitlupe.

Sieben Hauptmetriken für die Saisonleistung der Piloten

Die Stärken und Schwächen jedes Autos und jedes Fahrers stechen heraus. Aus diesen Daten errechnet AWS die Saisonleistung der Piloten. Die sieben Hauptmetriken – Qualifikationsrennen, Rennstarts, Rennrunde 1, Renngeschwindigkeit, Reifenmanagement, Boxenstoppfähigkeit des Fahrers und Überholen – werden auf einer Skala von 0 bis 10 festgelegt, um einen „Score“ für die Fans und Teams zu errechnen.

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Die Formel 1 muss aber nicht nur spannend bleiben, sie muss auch grüner werden – das sieht Rob Smedley genauso. Nach dem Reglement für den Antriebsstrang 2026 wird der Elektro-Anteil noch größer. Der verbleibende Verbrennungsmotor des Hybrid-Systems wird mit synthetischem Kraftstoff betrieben. Deshalb zeigen Porsche und Audi, möglicherweise auch BMW, Interesse daran, (wieder) in die Königsklasse des Motorsports einzusteigen.

In etwas kleinerem Maßstab hat Smedley 2020 eine eigene Low-cost-Rennserie gestartet: Bei Total Karting werden Elektrokarts eingesetzt. Die Serie richtet sich ausdrücklich an Einsteiger mit wenig Geld.

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