zum Hauptinhalt
Passwort mit ins Grab genommen. Die Accounts für Twitter, E-Mails oder Facebook leben ohne Löschung weiter.

© Shutterstock, Montage: Thomas Mika

Daten von Verstorbenen: Das digitale Erbe

Viele Menschen regeln ihren Nachlass. An die Spuren im Internet denken die wenigsten. Dabei lohnt es sich, noch zu Lebzeiten Vorsorge zu treffen.

Thomas Schwenke (40) hat vorgesorgt. Der Berliner Anwalt hat ein Testament. Darin ist nicht nur die Frage geregelt, wer nach dem Tod sein Hab und Gut bekommen soll. Das Dokument enthält auch eine wertvolle Buchstaben-Zahlen-Kombination – sein Generalpasswort. Es dient als Schlüssel zu einem Programm, das alle Zugangsdaten zu seinen digitalen Benutzerkonten verwaltet. Wenn Schwenke stirbt, bekommt seine Frau das Generalpasswort – das Testament mit der Buchstaben-Zahlen-Kombination lagert in einem Bankschließfach. Bisher verstehen viele das Erben und Vererben rein physisch: Immobilien, Geld, eine Schallplattensammlung, Fotoalben oder Bücher. Dabei übersehen viele etwas, das Schwenke jetzt getan hat. Er hat sein digitales Erbe geregelt.

Fast jeder hinterlässt mittlerweile Spuren im Internet

Wer im Netz unterwegs ist, hinterlässt Spuren. E-Books, Bilder auf dem Instagram-Account, die iTunes-Musiksammlung oder andere Dinge. Verstorbene haben Profile auf sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Google Plus. Wichtige E-Mails lagern in virtuellen Postfächern. Hohe Spielstände und digitale Avatare verbleiben auf Gaming-Seiten. Und sogar Geld kann in digitalen Währungen wie Bitcoins gespeichert sein.

Bestatter müssen sich immer häufiger mit dem digitalen Nachlass befassen

Das Phänomen betrifft dabei längst nicht nur sogenannte Digital Natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Ganz selbstverständlich haben auch Senioren inzwischen E-Mail-Accounts, Facebook-Profile und schreiben auf ihrem Tablet Nachrichten per Messenger. „Die Bedeutung des digitalen Nachlasses wird bislang unterschätzt und wird in Zukunft nur größer werden“, sagt Holger Mühlbauer, Geschäftsführer des Bundesverbandes IT-Sicherheit. Dieser hat in der vergangenen Woche einen Informationstag zum Thema veranstaltet – gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB). Die ungewöhnliche Allianz hat einen Grund: Bestatter müssen sich immer häufiger mit dem digitalen Nachlass beschäftigen. „Wir hören bange Fragen von Angehörigen nach Profilen der Angehörigen auf sozialen Medien. Darauf müssen wir reagieren“, sagt BDB-Präsident Christian Streidt. Auch die Verbraucherzentralen informieren mittlerweile zum digitalen Nachlass.

Ein Gesetz über das digitale Erbe gibt es bislang nicht

Weil die Frage nach dem digitalen Nachlass relativ neu ist, wird sie bislang weder in der Gesetzgebung noch im Kleingedruckten vieler Provider erfasst. Juristen bleibt daher nur der Rückgriff auf das Bürgerliche Gesetzbuch. Dort heißt es: „Mit dem Tode einer Person geht deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen über.“ Dabei sind die Erben entweder per Testament festgelegt oder es gilt die gesetzliche Erbfolge.

Strittig ist, was im Netz als Vermögen gilt

Strittig ist aber, was als Vermögen gilt – vieles im digitalen Nachlass hat einen gewissen Vermögenswert, vieles aber auch nicht. Liebesschwüre per E-Mail etwa sind eher von persönlichem Wert. Sollen auch diese auf die Erben übergehen? Juristen sehen das unterschiedlich. Zudem gilt neben dem Erbrecht der postmortale Persönlichkeitsschutz. Er soll die Würde des Verstorbenen über den Tod hinaus schützen. Was ist, wenn Angehörige aus dem digitalen Nachlass Dinge über den Verstorbenen erfahren, die diese Würde nachträglich beschädigen? „Wir hatten einen Fall, bei dem ein junger Mann Freitod beging. Dessen Freunde baten uns inständig, den Eltern keinen Zugang zum Account des Verstorbenen zu geben – denn der junge Mann hatte ein Doppelleben geführt“, erzählt Juristin Annegret König von Google Deutschland.

Ein Erbschein allein berechtigt nicht zur Freigabe von E-Mails

Das größte Problem ist aber ein anderes: Wenn ein E-Mail-Provider der Bitte von Angehörigen entspricht und nach Vorlage des Erbscheins den Account öffnet, macht er sich möglicherweise strafbar. Denn es gilt das Fernmeldegeheimnis, das in Deutschland im Grundgesetz verankert ist und die Telekommunikation schützen soll. „Wir können nicht risikolos gegen das Gesetz verstoßen“, sagt König. „Hier gibt es eine Regelungslücke.“

Für ausländische Konzerne gilt nicht nur deutsches Recht

Oft ist es wegen der unklaren Rechtslage für die Angehörigen schwierig, an den digitalen Nachlass der Verstorbenen zu kommen. Vor allem für Konzerne, die ihren Sitz im Ausland haben, gilt nicht nur deutsches Recht. Wenn Erben bei Google Zutritt zum Account des Verstorbenen bekommen wollen, müssen sie zunächst den Erbschein übersetzen lassen und diesen bei Google hochladen. „Wir bekommen regelmäßig solche Anfragen“, sagt Unternehmensjuristin König. Google biete den Angehörigen dann eine Hilfestellung, um vor einem Gericht in Kalifornien einen Beschluss zu Öffnung des Accounts zu erwirken.

Manchmal hilft nur, den Account löschen zu lassen

Bei Providern aus Deutschland ist das etwas einfacher: „Diese müssen einen theoretisch als Erbe anerkennen, wenn man einen Erbschein vorlegt oder ein notarielles Testament“, erklärt Matthias Frohn von der Bundesnotarkammer. GMX und Web.de etwa gewähren den Zugriff. Falls der Provider den Zugriff verweigert, bleibt in vielen Fällen nur noch eines: die Sterbeurkunde vorlegen und den Account löschen lassen. Das ist in der Regel problemlos möglich. Allerdings sind dann alle Daten weg. Ohnehin nicht regulär erben können Angehörige die iTunes-Musiksammlung oder die E-Book-Bibliothek. Der Verstorbene hat nur Nutzungsrechte an diesen Medien erworben – und die sind nach den AGB vieler Anbieter nicht übertragbar. Wer das Passwort des Verstorbenen bekommen hat, kann trotzdem zugreifen.

Wer Passwörter hinterlässt, erspart seinen Nachfahren unangenehmen Aufwand

Weil das Thema zunehmend in den Fokus rückt, hoffen Verbraucherschützer, dass die Sensibilität für den eigenen digitalen Nachlass in Zukunft steigt. Wenn man seinen Angehörigen Passwörter hinterlässt, erspart ihnen das viel unangenehmen Verwaltungsaufwand.

Facebook ermöglicht seinen Nutzern einen Nachlasskontakt

Auch die sozialen Netzwerke reagieren auf das Problem. Facebook etwa ermöglicht seinen Nutzern künftig, einen Nachlasskontakt zu bestimmen, der das Profil im Todesfall pflegen und den Facebook-Auftritt des Verstorbenen archivieren darf. Bislang hatte Facebook Profile in eine Gedenkseite umgewandelt, wenn das Netzwerk über den Tod eines Nutzers informiert wurde. Diese Seite konnte aber nicht bearbeitet werden. Die digitalen Nachlassverwalter können künftig auf der Timeline des Verstorbenen Nachrichten einstellen und so etwa auf die Beerdigung hinweisen. Der Schritt des Unternehmens erregte zwar viel Aufmerksamkeit – ob die deutschen Nutzer das jedoch auch in Anspruch nehmen werden, ist unklar. Anwalt Schwenke etwa gibt wenig darauf, was nach seinem Ableben mit seinem Facebook-Profil passiert. Diese Entscheidung überlässt er seiner Frau.

Zur Startseite