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Ein Transporter mit 4500 Hühnern auf dem Weg zur Schlachtung nach Polen im Juli 2019. Dabei starben 500 Tiere.

© picture alliance/dpa

Das Leid, das Tiertransporte auslösen: „Gibt keinen Grund, lebende Tiere tausende Kilometer zu transportieren“

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, spricht im Interview über Tiertransporte und Tierleid.

Herr Schröder, heute ist der Internationale Tag gegen Tiertransporte. Wofür steht dieser Tag?
Der Tag soll an die unsäglichen Qualen erinnern, die Tiere noch immer tagtäglich auf Europas Straßen erleiden. Wir sind es leid, seit Jahrzehnten jedes Jahr wieder darauf aufmerksam machen zu müssen.

Welche Qualen erleiden die Tiere bei den Transporten?
Besonders bei hohen Temperaturen leiden die Tiere immens. Auf ihrem tage- oder sogar wochenlangen Weg durch Europa und in außereuropäische Länder drängen sich die transportierten Tiere in oft sehr engen und verdreckten LKWs, manchmal sogar mehrstöckig. Dabei sind sie teilweise extremen Temperaturen ausgesetzt. Viele Tiere müssen im Stehen verharren, weil nicht genug Platz zum Liegen ist.

Aus Ihrer Sicht eine extreme Belastung für die Tiere?
Verstöße gegen die ohnehin aus Tierschutzsicht nicht ausreichenden gesetzlichen Vorgaben sind an der Tagesordnung: Transporter sind überladen, Pausenzeiten werden nicht eingehalten, die Tiere bekommen nicht genug Futter oder Wasser und werden grob misshandelt. Regelmäßig kommt es unterwegs zu Verletzungen oder sogar zum Tod der Tiere.

Vor allem auf langen Strecken kommt das sicherlich gehäuft vor?
Besonders quälend sind Langstreckentransporte in Länder außerhalb Europas. Dabei werden Tiere auch in völlig überladenen Schiffen transportiert. Schließlich am Ziel angekommen, befinden die Tiere sich dann oft in Ländern, in denen Tierschutz keinerlei Rolle spielt und sie ohne Betäubung grausam geschlachtet werden.

"Rinder müssen mit je eineinhalb Quadratmetern Platz im Transporter auskommen", sagt Thomas Schröder vom Tierschutzbund.
"Rinder müssen mit je eineinhalb Quadratmetern Platz im Transporter auskommen", sagt Thomas Schröder vom Tierschutzbund.

© DPA

Aber in Deutschland ist der Tierschutz im Grundgesetz verankert.
Tierschützer dokumentieren die furchtbaren Zustände seit Jahren. Dennoch unternehmen weder die deutsche Bundesregierung noch die Europäische Kommission Maßnahmen, um diese unnötigen Tierquälereien zu unterbinden.

Auch Bundeslandeswirtschaftsministerin Julia Klöckner nicht?
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde festgehalten, dass die Transportzeiten verkürzt und Transporte besser kontrolliert werden sollen. Bisher ist nichts passiert. Frau Klöckner stiehlt sich aus der Verantwortung. Auch die Aussage, „der Tierschutz dürfe nicht an Grenzen enden“, ist offenbar nur ein Lippenbekenntnis. Sie schiebt die Verantwortung abwechselnd auf die Bundesländer und die EU.

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Und die Bundesländer handeln?
Einzelne Amtsveterinäre fertigen Transporte in bestimmte Drittstaaten nicht mehr ab. Und einige Bundesländer, beispielsweise Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein, haben Transporte in bestimmte Drittstaaten untersagt. Leider gehen die Transporte dann erst in ein anderes Bundesland, das weniger streng ist und dann von dort aus in das entsprechende Drittland. Ziel muss aber sein, dass kein Bundesland diese Exporte mehr genehmigt und alle Mitgliedstaaten der EU so agieren. Wir brauchen endlich eine einheitliche Regelung.

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Gibt es diese einheitliche Regelung nicht in Form der EU-Transportverordnung?
Die EU-Transportverordnung gilt seit 2007 und ist an vielen Stellen mangelhaft. Sie führt Missstände aus den 90er Jahren fort, weil sich die Mitgliedsstaaten bei der Überarbeitung der alten Vorgaben nicht einigen konnten. 

Welche Missstände sind das?
Temperaturvorgaben gibt es beispielweise nur für Transporte, die voraussichtlich länger als acht Stunden dauern. Kürzere Transporte sind auch bei Temperaturen von unter fünf und über dreißig Grad Celsius erlaubt. In den vergangenen Hitzesommern kam es deshalb in Deutschland zu mehreren Not-Einsätzen auf der Autobahn, bei denen die Feuerwehr Tiere auf Transportern mit Wasser versorgen musste. Zu den vielen Mängeln der geltenden EU-Tierschutztransportverordnung kommt hinzu, dass diese seit vielen Jahren auch noch völlig unzureichend in den Mitgliedsländern umgesetzt und kontrolliert wird. 

Was ist neben den Temperaturen noch besonders belastend beim Transport?
Ausgewachsene Rinder müssen mit je eineinhalb Quadratmetern Platz im Transporter auskommen. So können nicht alle Tiere gleichzeitig liegen. Laut Gesetz darf man Rinder 29 Stunden lang befördern, bevor sie das erste Mal für eine Versorgungspause abgeladen werden müssen. Eine absurde Zahl. So lange sie Kraft haben, versuchen Rinder übrigens zu stehen und die Bewegungen des Fahrzeugs auszubalancieren – eine extreme Belastung für die Tiere.

Thomas Schröder leitet seit Oktober 2011 als Präsident den Deutschen Tierschutzbund.
Thomas Schröder leitet seit Oktober 2011 als Präsident den Deutschen Tierschutzbund.

© Deutscher Tierschutzbund e.V.

Hat die Coronavirus-Pandemie die Situationen noch verschärft?
Schon unter normalen Umständen sind Lebendtiertransporte quer durch Europa und die Welt eine Tortur für die Tiere. Kommt es zu Störungen im Ablauf, wie es der Fall war, als plötzlich Grenzen geschlossen wurden, werden es Höllenfahrten. Wir haben uns daher gemeinsam mit anderen europäischen Tierschutzorganisationen an die EU-Kommission gewandt und diese aufgefordert, Tiertransporte aufgrund der aktuellen Situation auszusetzen.

Was hat sich im Vergleich zu den Vorjahren verändert?
Glücklicherweise will auch die Bevölkerung die Zustände nicht mehr hinnehmen. Politiker geraten zunehmend unter Druck, wenn sie Transporte rechtfertigen müssen. Einzelne Amtsveterinäre, Bundesländer, aber auch Länder wie beispielsweise die Niederlande und Österreich werden durch diesen Wandel ermutigt, Transporte zumindest über bestimmte Routen in bestimmte Drittstaaten nicht mehr abzufertigen.

Also eine positive Entwicklung innerhalb Europas?
Das EU-Parlament hat gerade einem Untersuchungsausschuss zugestimmt, der ein Jahr lang Missstände und Verstöße gegen die EU-Tierschutztransportverordnung darlegen soll. Der Ausschuss wird auch prüfen, inwieweit Kommission und Mitgliedsländer sich der Verantwortung entzogen haben, die Verordnung umzusetzen und deren Vorgaben zu kontrollieren. In einem ersten Anlauf im Frühjahr 2018 war die Einrichtung eines solchen Untersuchungsausschusses gescheitert. Dass der Ausschuss nun eingesetzt wird, begrüßen wir als positives Signal.

Was muss passieren, um einen Tiertransport ohne Leid zu gewährleisten?
Transporte in Drittstaaten, die nicht einmal weltweite Standards zu Transport und Schlachtung einhalten, sind zu verweigern. Es gibt keinen Grund, lebende Tiere tausende Kilometer zu transportieren. Stattdessen kann Fleisch oder genetisches Material exportiert werden.

Was wünschen Sie sich als Veränderung?
Es braucht eine klare Regel für alle Bundesländer und letztlich ganz Europa. Transporte dürften nicht länger als acht Stunden dauern. Die EU-Transportverordnung muss endlich überarbeitet werden, vor allem was Platzangebot, Pausenzeiten und Temperaturen betrifft. Bis die Verordnungen überarbeitet sind, gilt es zumindest zu gewährleisten, dass deren Bestimmungen eingehalten werden. Es muss häufigere Kontrollen geben und Verstöße sollten anhand eines Sanktionskatalogs konsequent geahndet werden. Für die Durchführung von Kontrollen braucht es mehr Personal. Auch der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss dringend verbessert, Vollzug und Sanktionen sollten vereinheitlicht werden.

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