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Ewig dein. Der Brief ist noch nicht abgeschrieben. Als reines Luxusgut drückt er Wertschätzung vielleicht mehr aus denn je.

© Getty Images/iStockphoto

Das Land der Brieffreunde: Keiner verschickt so viele Briefe wie die Deutschen

Täglich werden in der Bundesrepublik noch knapp 60 Millionen Briefe verschickt – weit mehr als anderswo. Für die Post zunehmend eine Herausforderung.

Von Maris Hubschmid

Ein Schriftstück wird wohl auch kurz vor Beginn des Jahres 2018 noch ausschließlich per Hand verschickt: der Wunschzettel. Von E-Mails an den Weihnachtsmann ist nichts bekannt, und wenn er eine Handynummer hat, an die man WhatsApp-Nachrichten schicken könnte, hält er sie gut unter Verschluss.

Im brandenburgischen Himmelpfort sind bereits etliche an den Weihnachtsmann adressierte Umschläge eingegangen. Die dortige Weihnachtspostfiliale ist gemessen an der Zahl der Briefe – vergangenes Jahr waren es rund 281 000 – in Deutschland die größte ihrer Art. Sieben solcher „Weihnachtsschreibstuben“ betreibt die Deutsche Post, mehr als eine halbe Million Briefe wurden zuletzt dort gezählt. Ehrenamtliche Helfer antworten, danken und trösten, falls nicht jeder Wunsch in Erfüllung gehen kann.

2017 ging die Zahl der Briefe kaum zurück

Doch auch Erwachsene verschicken im Dezember nach wie vor Briefe. Zwar gehen dieser Tage in vielen elektronischen Postfächern singende und blinkende Wintergrüße ein, nichtsdestotrotz befördert die Post im Advent täglich doppelt so viele Briefe wie an normalen Tagen – stolze 100 Millionen. Menschen geben Bericht über das Jahr, das zu Ende geht oder erfreuen einander mit Weihnachtskarten: sorgsam ausgewählt, mit Bedacht formuliert.

Tatsächlich ist selbst die absolute Zahl von Briefen hierzulande noch erstaunlich hoch: Während beispielsweise in den Nachbarländern Italien und Niederlande mittlerweile gerade einmal halb so viele Briefe verschickt werden wie noch vor zehn Jahren, und die Menge in Dänemark um ganze 70 Prozent zurückgegangen ist, sank sie hier im selben Zeitraum lediglich um ein Fünftel. Für das Jahr 2017 bilanzierte die Bundesnetzagentur in dieser Woche sogar: „weitgehend stabile Briefvolumina“.

Ganz offensichtlich hält man im Land der Dichter und Denker, von Goethe und Charlotte Stein, Bettina von Arnim oder Rilke und Paula Modersohn-Becker, länger am Brief fest als anderswo. Keiner muss mehr einen Brief schreiben – natürlich nicht. Das macht ihn vom schnöden Nachrichtenüberbringer zum Luxusgut. Vielleicht deshalb vermag er mehr denn je Wertschätzung auszudrücken.

Zustellung nur einmal pro Woche?

Wahr ist, dass das Kerngeschäft der Deutschen Post im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 Prozent verloren hat. Wettbewerber wie die Berliner Pin AG, die seit März dieses Jahres deutschlandweit versendet, nehmen dem einstigen Monopolisten Kunden weg. In der Vergangenheit diente das rückläufige Briefgeschäft dem als Argument für gleich vier Portoerhöhungen in Folge: Die Menge sinke, aber der Aufwand sei der gleiche.

Angesichts solcher Preissteigerungen erzürnt es viele Kunden, dass das Unternehmen mit dem Gedanken spielt, nicht mehr an allen Tagen Briefe zuzustellen. Der Deutsche schreibt schließlich nicht nur gerne Briefe, er bekommt auch gerne welche. „Die Deutsche Post bietet Kunden in ausgewählten Zustellbezirken einen Test an, in dessen Rahmen alternative Zustelloptionen für den Empfang ihrer Briefpost ausprobiert werden.“ Ziel sei es, „in einer zunehmend digitalisierten Kommunikationswelt mehr über die möglicherweise veränderten Bedürfnisse der Kunden zu erfahren“, erklärt das Unternehmen.

Die Empfänger bekommen ihre Briefe wahlweise alle zwei Tage oder bloß einmal pro Woche übermittelt. Die Post betont, dass alle Teilnehmer freiwillig mitmachen. Eine „Übernahme in den Regelbetrieb“ sei derzeit nicht geplant. Bei manchem Berliner hat sich gleichwohl der Eindruck gefestigt, er bekomme ganz ungefragt nur einmal pro Woche Briefpost.

Die Post findet nicht genug Personal

Dazu räumt die Post ein: Im Herbst sei es in den Berliner Stadtteilen Charlottenburg und Wilmersdorf zu Verzögerungen gekommen. Unerwartet viele Krankheitsfälle, nicht zuletzt Stürme hätten dazu geführt, dass nicht alle Haushalte wie gewohnt erreicht werden konnten. Inzwischen laufe die Zustellung aber wieder stabil. Die Deutsche Post, einst Behörde, muss sechsmal die Woche Briefe zustellen, so besagt es die „Postuniversaldienstleistungsverordnung“.

Vor Beginn der Adventszeit hat das Unternehmen mehr als 100 zusätzliche Briefträger in Berlin eingestellt. In ganz Deutschland arbeiten insgesamt 84 000 Briefboten allein für den Marktführer. An Hochtagen wie diesen sind das nicht genug. „Wir sind auch weiterhin intensiv auf der Suche nach geeigneten neuen Mitarbeitern“, sagt eine Postsprecherin auf Nachfrage. Am guten Willen scheitert es also nicht unbedingt. Das Unternehmen biete im Vergleich die attraktivsten Arbeitsplätze „mit einer sicheren, tarifvertraglich geregelten Beschäftigung, hohen Branchenlöhnen und modernen Betriebsmitteln.“ Dennoch sei es mithin eine Herausforderung, den Bedarf an gutem Personal zu decken.

Denn nicht nur die Post und Pin, Hermes, DPD oder GLS suchen Boten, Amazon ist dabei, seine eigene Lieferstruktur aufzubauen, Zalando macht sich ebenfalls unabhängiger. Hinzu kommen klassische Kuriere und Essens-Lieferdienste wie Foodora oder Deliveroo. Angesichts des rasant wachsenden Onlinehandels ist die Logistikbranche eine der am stärksten geforderten und dynamischsten überhaupt.

Vom Zeitsoldaten zum Briefträger

Wer Briefe austrägt, sollte der deutschen Sprache mächtig sein. Und auch körperlich fit: Kaum irgendwo passt die Korrespondenz für die Bewohner einer Straße noch in eine Umhängetasche. Insbesondere samstags, wenn massenweise Werbesendungen von Discountern oder Möbelhäusern ausgetragen werden, bewegen die Zusteller mit ihren Fahrrädern Tonnen von Papier. In Berlin gibt es in manchen Altbauten nicht einmal Briefkästen im Hausflur, sondern lediglich Schlitze an den Wohnungstüren.

Eventuell hat der Beruf des Briefträgers auch ein Image-Problem. Selbst in Zeiten von Start-up-Millionären wollen viele kleine Jungs noch immer Feuerwehrmann oder Polizist werden. Aber Briefträger? Die Deutsche Post geht deshalb ungewöhnliche Wege. Unlängst hat sie eine Kooperation mit der Bundeswehr gestartet, die ehemaligen Zeitsoldaten den Einstieg ins Briefträgerdasein attraktiv machen soll. Längst arbeitet der global agierende Konzern mit externen Dienstleistern, die zum Beispiel Kästen leeren.

Eine Zustellgarantie gibt es nicht

Wer möchte, dass sein Brief am Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum liegt, sollte ihn spätestens am 21. Dezember aufgeben. In der Regel, heißt es bei der Deutschen Post, erreichen 95 Prozent aller Briefe am Folgetag ihr Ziel. In Berlin etwas weniger, wie aus der Antwort auf die schriftliche Anfrage eines Abgeordneten hervorgeht: 89,7 Prozent. Hier dauert eben alles ein kleines bisschen länger.

Eine Zustellgarantie für Briefsendungen gibt es allerdings nicht. Und als verloren gilt ein Brief erst dann, wenn er nicht innerhalb von 20 Tagen ankommt.

Goethe war längere Laufzeiten gewohnt. Weil in der heutigen Zeit jedoch schnell Irritationen aufkommen könnten, wenn ein Liebesschwur wochenlang unbeantwortet bleibt, sollten glühende Briefschreiber im Zweifelsfall vielleicht doch besser per SMS nachhaken.

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