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Autos werden auch weiterhin von Autokonzernen, nicht von Tech-Unternehmen gebaut, glaubt Christian Senger.

© Friso Gentsch/Volkswagen

„Das Auto wird zu einem digitalen Lebensraum“: Warum Volkswagen jetzt einen Software-Vorstand hat

Als erster deutscher Autobauer hat VW einen Software-Vorstand: Christian Senger. Ein Gespräch über Onlineshopping im Auto und Konkurrenz durch Google und Co.

Herr Senger, Software ist kein neues Thema. Warum gibt es mit Ihnen erst jetzt einen Vorstand für diesen Bereich – nicht nur bei Volkswagen, sondern bei den deutschen Autokonzernen insgesamt?

Die Funktionen im Auto werden mehr und mehr vernetzt, es gibt immer mehr Sensoren und Elektronik. Deshalb ist es wichtig, das nun in einem Vorstandsbereich zu bündeln. Es geht nicht nur darum, die Entwicklung von Software und Hardware zu entkoppeln. Digitalisierung wird alle Bereiche betreffen, vom Handel bis zu den Zulieferern und selbstverständlich auch das Fahrerlebnis selbst – insofern befinden wir uns in einem katalytischen Moment. Der drückt sich auch durch die Schaffung der neuen Vorstandsfunktion aus.

Software war der Nukleus des Dieselskandals. War das ausschlaggebend dafür, dass das Thema in den Vorstand kam?
Nein. Es geht uns darum, der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Wir machen Software zu einer weiteren unserer Kernkompetenzen.

Warum?
Das Auto der Zukunft ist voll vernetzt, es wird zu einem digitalen Lebensraum. Die Kunden erwarten, mit uns eine absolute Hightech-Performance zu erleben. Mit Retro-Charme überzeugen wir niemanden. Das bedeutet aber auch, dass wir Updates über die gesamte Lebensdauer eines Autos garantieren müssen. Das ist aber bei mehr als 100 Fahrzeugmodellen, die wir alleine in der Marke Volkswagen bieten, natürlich deutlich anspruchsvoller als Updates für einen Smartphone- Hersteller, der innerhalb von wenigen Monaten eine neue Generation auf den Markt bringen kann.

Wie groß ist der Rückstand von VW in Sachen Digitalisierung – auch in Bezug auf Konkurrenten wie Google oder Uber?

Wir wissen, wo wir besser werden müssen. Zur Wahrheit gehört aber erstens auch, dass es bisher kein einziges Beispiel für ein Auto gibt, das vollständig von einem IT-Unternehmen auf die Räder gestellt wurde. Und zweitens kann man beide Branchen nicht eins zu eins vergleichen. Wir sind in einer Phase, in der wir unsere Professionalität in der Fahrzeugproduktion mit den neuen Möglichkeiten der individuellen Mobilität und der Agilität cloudbasierter Unterhaltungselektronik zusammenbringen. Volkswagen wird dabei selbst zum Softwarekonzern und Plattformanbieter. Uns ist aber klar, dass wir das nur gemeinschaftlich mit Partnern aus der IT-Branche leisten können.

Sie kooperieren dafür mit den zwei US-Unternehmen Amazon und Microsoft. Sind Sie Partner auf Augenhöhe?

Ja, wir sind Partner auf Augenhöhe. Ein Unternehmen wie beispielsweise Microsoft hat großes Interesse an Partnern wie uns, um sich weiterentwickeln zu können. Volkswagen ist ein international tätiger Konzern, und die Zahl der Anbieter im Markt von Cloud-Technologien, die in allen Ländern anwendbar sind, ist nicht sehr groß. Deshalb haben wir sehr genau geprüft, wer zu uns passen könnte. Wir haben uns dafür entschieden, mit Amazon Web Services die Cloud für die Vernetzung unserer Fabriken zu bauen und mit Microsoft die Cloud für die Vernetzung unserer Autos.

Für das neue Elektroauto ID hat VW schon zahlreiche Vorbestellungen.
Für das neue Elektroauto ID hat VW schon zahlreiche Vorbestellungen.

© picture alliance/dpa

Mercedes und BMW planen, autonomes Fahren gemeinsam zu entwickeln. Auch Sie wollen dafür nun mit Ford kooperieren. Warum ist führerloses Fahren alleine nicht zu schaffen?

Wir haben schon im Januar gesagt, dass wir uns mit Ford eine Zusammenarbeit in diesem Bereich vorstellen können. Eine solche Partnerschaft böte viele Vorteile: Wir sind jeweils in Europa oder Nordamerika stark und ergänzen uns hier gut. Zudem würden wir das Self-Driving-System – also die Technologie – und das Auto gemeinsam entwickeln können. Damit haben wir einen Wettbewerbsvorteil gegenüber neuen Konkurrenten. Die Gespräche über die Zusammenarbeit laufen gut.

Ihre Kunden werden künftig erwarten, dass sie im vernetzten Auto E-Mails diktieren oder über Alexa eine Bestellung aufgeben können. Wie weit sind Sie bereit, Anbieter wie Apple oder Google ins Auto zu lassen – und wem gehören die Daten?

Sicher müssen wir es ermöglichen, dass unsere Kunden im Auto online einkaufen können. Aber genau dadurch entsteht ein Bereich, den es genau auszuloten gilt. Wir streben keine volle Datenoffenheit an. Denn für uns ist es ganz klar, dass der Kunde über die Weitergabe seiner Daten entscheidet. Und wenn er bestimmte Services nutzen möchte, wäre die Datenweitergabe dafür notwendig.

Wer werden aber in Zukunft Ihre Hauptwettbewerber sein: Tesla und Google oder BMW und Daimler?

Automobilhersteller bleiben auch weiterhin Automobilhersteller, dafür wird unverändert eine hohe Ingenieurs- und Industrialisierungskompetenz gebraucht. Der Wettbewerb in der Branche bleibt also. Aber selbstverständlich kommen neue Unternehmen außerhalb der Branche hinzu, wir konkurrieren ja heute schon mit Tech-Unternehmen, wenn es etwa um Navigations- oder Musikdienste geht. Da werden wir mithalten. Unser Ziel ist, der Plattformchampion zu bleiben und diese Erfahrung auf die Software-Entwicklung zu übertragen: Bis 2025 bringen wir eine Plattform in jährlich mehr als zehn Millionen neue Autos im Konzern. Damit bieten wir potenziellen Partnern einen großen Marktplatz an. Und wie man von Größe und Skalenvorteilen profitiert, das zeigt uns die Internetökonomie.

Bis 2023 sollen bis zu 4000 Stellen durch altersbedingtes Ausscheiden wegfallen, bei Arbeitsplätzen mit Bezug zur Digitalisierung sollen mindestens 2000 Jobs geschaffen werden. Bis 2029 werden Kündigungen ausgeschlossen. Wie sieht es danach aus?

Wir haben jetzt grundsätzliche Regelungen für die nächsten zehn Jahre getroffen. Das gibt Planungssicherheit. Wichtig ist, dass wir den Software-Entwicklern, die wir händeringend suchen, ein Arbeitsumfeld bieten, das ihren Bedürfnissen entspricht: hip und agil.

Gehören Werkstätten zu den Verlierern, wenn ein Großteil der Reparaturen per Softwareupdate erledigt werden kann?

Ich bin überzeugt: Es wird auch künftig viele Tätigkeiten geben, die mit der klassischen Hardware, dem Auto an sich, zu tun haben. Und das ist nicht nur das Aufziehen von Sommerreifen.

Google arbeitet seit mehreren Jahren an selbstfahrenden Autos.
Google arbeitet seit mehreren Jahren an selbstfahrenden Autos.

© DPA

Es fallen keine Tätigkeiten weg?

Auch hier werden Werkstätten und Kunden profitieren. Sie werden ganz neue Möglichkeiten für passgenaue Angebote erhalten. So können die Reifen gewechselt werden, ohne dass der Kunde selbst in die Werkstatt fährt. Er kann dann nur seinen digitalen Kalender teilen, den Ort, wo das Auto steht, und den digitalen Schlüssel – so kann die Werkstatt selbst das Auto abholen und wieder zurückbringen. Der Kunde kann seine Zeit besser nutzen, die Werkstatt kann effizienter planen.

Für die Softwareupdates wird auch künftig das Betriebssystem „VW.os“ genutzt. Wie weit sind Sie in der Entwicklung?

Das geht gut voran. Wir werden VW.os aber nicht 2025 im Rahmen eines großen Softwarepakets in Betrieb nehmen, sondern vielmehr in mehreren Stufen weiterentwickeln. Denn bereits heute haben wir mehr als 100 Millionen Zeilen Softwarecode im Auto, in einigen Jahren sicher 300 Millionen, und bei autonom fahrenden Fahrzeugen werden es mehr als eine Milliarde sein. Die Ansprüche an das Betriebssystem wachsen also fast exponentiell. Es startet mit dem ID.3, den wir dieses Jahr auf der Automobilmesse IAA in Frankfurt als Weltpremiere zeigen werden. Und die IDs werden schon von Version 1 an regelmäßige Updates bekommen.

Nach der anfänglichen Euphorie zum autonomen Fahren wächst derzeit die Skepsis, wie schnell das vollautonome Fahren tatsächlich erreicht werden kann. Wie lautet Ihre Prognose?

Die 95 Prozent beim autonomen Fahren werden wir relativ schnell erreichen. Das genügt nur leider nicht, um in jeder Situation das Lenkrad loslassen zu können. Aber bis wir dann die 99,9 Prozent erreichen, also nahezu komplett autonomes Fahren ermöglichen können, wird es richtig Kraft kosten. Und dabei kommt es dann immer noch darauf an, welche Bedingungen herrschen: Fährt das Auto auf dem Land oder in der Stadt? Bei gutem oder bei schlechtem Wetter? Ein Datum kann man deshalb heute noch nicht nennen, aber eins ist klar: Bis der Roboter-Volkswagen für jedermann kommt, wird es noch ein paar Tage dauern.

Christian Senger ist seit März 2019 Mitglied des Markenvorstandes von Volkswagen. Der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau (Jahrgang 1974) startete seine Laufbahn 1997 bei BMW. Nach einer Zwischenstation bei Continental Automotive GmbH in Regensburg wechselte er 2016 zu Volkswagen. Dort übernahm er zunächst die Leitung der Baureihe e-Mobility.

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