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Weltweite Nachfrage: Produktion des Wirkstoffs Remdesivir in einem ägyptischen Labor.

© Fadel Dawood/dpa

Coronavirus-Medikament in Deutschland: Spahn hält nichts von Zwangslizenz für Remdesivir

Gilead verspricht, bis Ende September ausreichende Mengen des Coronamittels Remdesivir zu liefern. So lange reichen die Vorräte, hofft der Gesundheitsminister.

Das US-Arzneiunternehmen Gilead hat in Aussicht gestellt, Deutschland bis Ende September mit ausreichenden Mengen des Corona-Medikaments Remdesivir beliefern zu können. Gleichzeitig wandte sich ein Sprecher des Konzerns gegen die Forderung nach Zwangslizenzen für die Produktion des Arzneimittels durch deutsche Hersteller. Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wies diese Idee von SPD-Gesundheitsexpertin Bärbel Bas zurück.

Für die nächsten drei Monate werde die lieferbare Menge zwar „produktionsbedingt noch limitiert sein“, sagte Gilead-Sprecher Martin Flörkemeier dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health auf Anfrage. „Wir gehen aber davon aus, dass unser globales Angebot bis Ende September weiter ausgebaut sein wird und dass unser Bestand – bei den derzeit erwarteten Infektionsraten im Oktober und darüber hinaus – die globale Nachfrage dann decken wird.“

600 bis 1000 Therapiezyklen als Vorrat 

Bislang habe Deutschland „genug Vorräte an Remdesivir, um die Bevölkerung zu versorgen, soweit sich die Pandemielage nicht verändert“, hieß es dazu im BMG. In den vergangenen zwei Monaten seien „200 Therapiezyklen zur Behandlung eingesetzt“ worden, sagte ein Sprecher. Weitere 600 bis 1000 Therapiezyklen (abhängig von der Dauer der Behandlung) stünden noch als Vorrat zur Verfügung. „Darüber hinaus rechnen wir fest damit, dass Gilead zeitnah auch den europäischen Markt beliefert und die Produktionskapazitäten in Europa hochfährt. Insofern stellt sich derzeit die Frage nach Lizenzverhandlungen oder Zwangslizenzen nicht.“

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Das Ministerium wandte sich damit deutlich gegen entsprechende SPD-Vorstellungen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende des Koalitionspartners, Bärbel Bas, hatte zuvor von Gesundheitsminister Jens Spahn verlangt, sich für Lizenzvereinbarungen zur Herstellung des Covid-19-Medikaments einzusetzen. Deutsche Pharmaunternehmen könnten dann „nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Bedarf anderer Länder das Medikament produzieren und so mithelfen, die Kosten insbesondere für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu reduzieren“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Und wenn solche Lizenzvereinbarungen nicht zustande kämen, habe der Minister mit dem in der Coronakrise angepassten Bevölkerungsschutzgesetz auch „ein Instrument, den Patentschutz aufzuheben“. Es könne „nicht sein, dass wir im Kampf gegen die Pandemie derart abhängig vom Geschäftsgebaren eines Medikamentenherstellers sind“, so Bas.

Gilead-Sprecher warnt vor Chaos

Auch der Gilead-Sprecher warnte vor einer Zwangslizensierung  – und zwar „nicht nur wegen der Rechte am geistigen Eigentum, sondern weil die reale Gefahr besteht, dass sie in der Lieferkette für knappe Rohstoffe und andere Produktionsmittel ein Chaos auslösen und die Menge des produzierbaren Remdesivirs verringern und die hierfür benötigte Zeit verlängern könnte“. Gleichzeitig betonte das Unternehmen: „Wir wünschen uns, dass ein Land, bevor es eine Zwangslizenz ausspricht, zuerst mit uns darüber spricht, wie es sich an einer koordinierten Versorgungslösung beteiligen kann.“

Remdesivir gilt als eines der wenigen Mittel, die den Verlauf einer Covid-19-Infektion unter bestimmen Voraussetzungen mildern und verkürzen können. Ende vergangener Woche erhielt das eigentlich für die Ebola-Behandlung entwickelte Medikament eine beschränkte Zulassung in der EU für schwere Fälle. Zuvor war bekannt geworden, dass sich die US-Regierung per Vertrag mit gut 500.000 Dosen praktisch den kompletten Ausstoß der kommenden Monate für die eigene Bevölkerung gesichert hat. Eine fünftägige Behandlung mit Remdesivir bei Bestellung durch die US-Regierung soll dort dann pro Patient 2340 Dollar (etwa 2000 Euro) kosten. 

Formell zugelassen ist das Medikament (Handelsname Veklury®) nun auch in Deutschland für die Behandlung von Covid-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen mit einer Pneumonie, die zusätzliche Sauerstoffzufuhr erfordert. Bedingung: Die Erkrankten müssen mindestens zwölf Jahre alt sein und ein Körpergewicht von mindestens 40 Kilogramm aufweisen. Allerdings äußerten sich Experten skeptisch zur Wirkung des Mittels. Es gebe als Beleg dafür nur eine einzige randomisierte kontrollierte Studie, betonte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, erst vor Kurzem im Tagesspiegel Background. Und darin sei lediglich belegt worden, dass sich die Genesungsphase von durchschnittlich 15 Tagen unter Placebo auf elf Tage mit Remdesivir verringert habe. Die Sterblichkeit sei durch das Medikament „nicht signifikant gesunken“.

Ministerium entscheidet über die Verteilung

Gleichwohl sind die Hoffnungen auf das Medikament hoch. „Wir sind uns des dringenden Bedarfs der Patienten in Europa bewusst“, sagt Gilead-Sprecher Flörkemeier. Deshalb arbeite man momentan „an mehreren Möglichkeiten, um das Angebot so schnell wie möglich zu erweitern“. Und viele Länder in Europa hätten über bestehende Programme bereits Zugang zu Remdesivir – wie etwa über laufende klinische Studien, vorübergehende Ausnahmegenehmigungen oder Härtefall-Programme.

Den Deutschen habe Gilead „bereits vor der EMA-Zulassung im Rahmen einer vorübergehenden Ausnahmeregelung über seine Regierung eine begrenzte Menge an Remdesivir zur Verfügung gestellt“, betonte der Sprecher. Das BMG entscheide nun über die Verteilung dieser begrenzten Vorräte und stelle sicher, „dass die Patientenauswahl für Remdesivir den neuesten verfügbaren Daten und Erkenntnissen entspricht“. Gleichzeitig werde man hier gemeinsam „die dynamische Entwicklung beobachten und bei Bedarf Anpassungen vornehmen“, versprach Flörkemeier.

Produktion seit Januar um das fast 40-fache erhöht

Das Unternehmen verwies darauf, dass Gilead „aktiv auf den weltweiten Bedarf reagiert“, seinen kompletten Produktbestands gespendet und die Produktion von Remdesivir „schnellstmöglich gesteigert“ habe. Seit Januar habe sie sich „um das fast 40-fache erhöht“, sagte Flörkemeier. Man habe im Januar und Februar trotz fehlender Zulassung sofort die Produktion hochgefahren. Außerdem habe man den Produktionsprozess von neun bis zwölf Monaten mittlerweile auf sechs bis neun Monate verkürzen können. Bis Ende dieses Jahres rechne man damit, mehr als zwei Millionen Behandlungszyklen offerieren zu können.

Zur Ausweitung der bestehenden Kapazitäten sei zudem ein Konsortium aus externen Herstellungspartnern in Nordamerika, Europa und Asien Kapazitäten gebildet worden. Und in Entwicklungsländern habe man mit neun Generikaherstellern auch nicht-exklusive freiwillige Lizenzvereinbarungen getroffen. Konkret handelt es sich dabei um Lizenznehmer aus Ägypten, Indien und Pakistan. „Diese Vereinbarungen werden dazu beitragen, 127 Länder zu bedienen, die als Länder mit niedrigerem Einkommen eingestuft werden oder die mit erheblichen Hindernissen beim Zugang zu einer Gesundheitsversorgung konfrontiert sind.“ 

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