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Knapp 60 Kilo Fleisch verzehrt der Durchschnittsdeutsche im Jahr, davon stammen 35 Kilogramm vom Schwein.

© imago

Coronakrise in der Fleischwirtschaft: Entwarnung im größten deutschen Schlachthof

Bei Marktführer Tönnies in Rheda-Wiedenbrück gibt es bislang keine Corona-Fälle. Bundestag debattiert Arbeitsbedingungen: Minister Heil will eingreifen.

Großes Aufatmen in der deutschen Fleischwirtschaft: Die ersten Befunde von Corona-Tests bei dem mit Abstand größten deutschen Schlachtbetrieb sind negativ. Mehr als 7000 Beschäftigte werden in dieser Woche bei Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück getestet, nach Angaben des zuständigen Kreises Gütersloh lagen bis Mittwochnachmittag gut 880 negative Laborbefunde vor, kein einziger Schlachthof–Mitarbeiter wurde bis dahin den Angaben zufolge positiv getestet.

In der Branche waren nach den Coronafällen im Westfleisch-Schlachthof Coesfeld, der die Tiere von 1000 Schweinemästern schlachtet, bei Müller Fleisch in Baden-Württemberg sowie bei Vion in Schleswig-Holstein weitere Infektionsfälle und Schlachthofschließungen befürchtet worden. Und zwar wegen der Unterbringung der Werkvertragsarbeiter: Rund 30 000 Rumänen, Bulgaren und Polen sind hierzulande in den Schlacht- und Zerlegebetrieben tätig und leben teilweise in „verkeimten, zum Teil baufälligen und überteuerten Unterkünften“, wie die Gewerkschaft NGG in einem Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schreibt. Die NGG fordert das Verbot von Werkverträgen „im Kernbereich der unternehmerischen Tätigkeit“. Am Mittwoch befasste sich der Bundestag in einer aktuellen Stunde auf Antrag der Grünen mit der Branche.

Ein System mit Sub-Sub-Unternehmen

Durch die Arbeitsmarktpolitik der Regierung Schröder und die EU-Osterweiterung ab 2004 hatten die deutschen Schlachthöfe ihre Stammbelegschaften zunehmend ausgedünnt und durch Subunternehmen ersetzt, wie das auch in der Bauwirtschaft üblich ist. Am Ende der Kette der Sub-Sub-Subunternehmer stehen dann die osteuropäischen Beschäftigten, die zu mickrigen Löhnen im Akkord Tiere töten und zerlegen.

Die Werkvertragsnehmer haben mit den Schlachthofbetreibern Werkverträge geschlossen, die beispielsweise die Anzahl der zu schlachtenden Tiere oder Gewichtstonnen an zu zerlegenden Tieren zu einem bestimmten Preis vertraglich regeln. Damit verbleibt die Verantwortung für das Personal und für die Umsetzung des Arbeitsschutzes beim Werkvertragsnehmer, der Schlachthofbetreiber übernimmt keine Verantwortung.

Heil beklagt "beschämende" Arbeitsverhältnisse

„Wir dürfen nicht weiter zugucken, wie Menschen aus Osteuropa ausgebeutet werden“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Bundestag und appellierte an die Abgeordneten, das System der Werkverträge grundsätzlich infrage zu stellen. Die bulgarische und die rumänische Regierung hätten sich wegen der Arbeits- und Wohnbedingungen ihrer Landsleute an die Bundesregierung gewandt, erzählte der Minister. „Wir dürfen bei der Empörung jetzt nicht stehen bleiben“, sagte Heil weiter und erinnerte gleichzeitig an Erfahrungen im parlamentarischen Prozess, wenn es in der Vergangenheit um Maßnahmen gegen die „entsetzlichen und beschämenden“ Arbeitsverhältnisse in der Fleischwirtschaft ging. „Dann kommen die Interessengruppen und es gibt Verwässerungen“, klagte der Arbeitsminister.

CDU-Abgeordneter: Das stinkt zum Himmel

Linke und Grüne hat Heil an seiner Seite, und auch der CDU-Abgeordnete Matthias Zimmer äußerte sich am Mittwoch deutlich. Das Werkvertragssystem „stinkt zum Himmel und muss beendet werden“, sagte der aus Hessen stammende Zimmer und attackierte die Schlachthofbetreiber, die überwiegend in Nordrhein-Westfalen ansässig sind: „Schweine sind nicht nur die Tiere.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Friedrich Ostendorff sprach von einer „schonungslosen Ausbeutung von Mensch und Vieh“ und forderte das Verbot der „menschenverachtenden Profitgier“. Die Regierung müsse die schäbige Unterbringung der Menschen verbieten. „Einzelunterbringung muss gewährleistet sein.“

85 Prozent der Betriebe mit Mängeln

Der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer meinte, die Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2015, in der sich die Fleischwirtschaft zur Reduzierung der Subunternehmerschaft bekannte, „hat keine Wirkung gezeigt“. Schummer will Werkverträge nicht verbieten, sondern mithilfe der EU- Entsenderichtlinie, die unter anderem gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorsieht, verbessern. Der aus NRW stammende Schummer erinnerte an eine Kontrollaktion der Behörden in Nordrhein-Westfalen aus dem vergangenen Herbst. Dabei waren die Arbeitsbedingungen in 30 Fleischbetrieben mit mehr als 90 Werkvertragsfirmen und 17 000 Beschäftigten kontrolliert worden. In 85 Prozent der Betriebe wurden „teils gravierende Arbeitsschutzmängel ermittelt“, heißt es in dem Prüfbericht aus Nordrhein-Westfalen.

Die Schlachthofschließungen hatten in den vergangenen Tagen Befürchtungen unter Landwirten ausgelöst, dass der Schweinepreis weiter fallen könnte. Am Mittwoch gab es auch in diesem Punkt Entwarnung: Der Schlachtpreis lag mit 1,60 Euro pro Kilo auf dem Niveau der Vorwoche.

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