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Wer lacht zuletzt? Berlins Regierender Bürgermeister Müller (links) oder der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium UIlrich Nußbaum?

© Maurizio Gambarini/dpa

Corona-Zuschüsse in der Hauptstadt: Warum Berlin und der Bund streiten, wie viele Kleinunternehmer es gibt

Das Bundeswirtschaftsministerium wirft dem Berliner Senat vor, bei der Vergabe der Corona-Soforthilfen gepfuscht zu haben. Was ist der Hintergrund des Streits?

Das vielleicht gemeinste Klischee, das man in der Provinz über die Hauptstadt pflegt, lautet: Berlin verprasst gern Geld, für das die Steuerzahler in anderen deutschen Ländern hart arbeiten mussten. In diese Kerbe schlug jetzt auch Ulrich Nußbaum, Eigentümer eines Fischgroßhandels in Bremerhaven, ehemaliger parteiloser Berliner Finanzsenator und heutiger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.

Konkret wirft der Bund Berlin – und damit der Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) – vor, rund 209.000 Zuschüsse ausgezahlt zu haben, obwohl das Unternehmensregister nur rund 170.000 antragsberechtigte Firmen listet. Nußbaum warnte vor „signifikanten Rückforderungsansprüchen des Bundes“. Der Vorwurf sorgte am Montag für Wirbel in Berlin. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall:

Wieso kommen das Land Berlin und der Bund auf unterschiedliche Zahlen?

Aus Sicht des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg gibt es an der Rechnung des Senats nichts auszusetzen – an der des Bundes umso mehr. Zwar stimmt es der Behörde zufolge, dass nur 167.700 Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern in Berlin gemeldet sind. Diese Angabe aus dem Unternehmensregister umfasse aber nur Firmen, die die Umsatzsteuervoranmeldung von damals 17500 Euro überschreiten oder mindestens einen Beschäftigten haben.

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Die Soforthilfen waren aber ausdrücklich auch für Soloselbstständige ausgelegt, die diese Kriterien nicht erfüllen, aber von der Coronakrise getroffen wurden. Deren Anzahl könne nur der Mikrozensus liefern, teilt die Behörde mit und beziffert sie mit Verweis darauf auf 232.000. Weshalb das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bei seiner Zählung nur auf das Unternehmensregister schaut, kann in der Behörde niemand nachvollziehen. Das BMWi wollte sich auf Nachfrage nicht äußern.

Wie kontrollieren andere Länder die Auszahlungen von Corona-Hilfen?

Berlin hatte im April für die besonders schnelle Auszahlung der Sofortzuschüsse viel Lob eingefahren. Selbst die „New York Times“ berichtete über die unbürokratische und schnelle Hilfe in Berlin. Die Prüfung, ob ein Antrag berechtigt war, erfolgte dabei IT-basiert. Nur Stichproben wurden von Beamten kontrolliert. Einige Länder wie etwa Baden-Württemberg handhabten das ebenso. Auch hier lief die Prüfung automatisiert ab.

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In anderen Bundesländern ging es langsamer – aber nach Ansicht etwa des bayerischen Wirtschaftsministers auch sorgfältiger – zu. „Allein die Tatsache, dass schon deutlich mehr als 50.000 Anträge als unberechtigt abgelehnt werden mussten, zeigt, was passieren würde, wenn Geld ohne Prüfung ausbezahlt würde“, sagte Hubert Aiwanger (Freie Wähler) Mitte Mai.

In Brandenburg wurden die Angaben zunächst durch die Mitarbeiter der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) geprüft. Seit Anfang Mai gibt es auch hier ein elektronisches Antragsverfahren. Mit dem Bund gab es bislang keine Unstimmigkeiten über die Höhe der Förderungen.

Gab es in anderen Ländern Betrugsfälle?

Ja, hier stand vor allem Nordrhein-Westfalen im Fokus. Antragsteller mussten dort einer Überprüfung durch die Finanzämter zustimmen. Als aber nach zehn Tagen drei Milliarden Euro ausgezahlt worden waren, ohne dass diese Prüfung stattgefunden hatte, stoppte die Landesregierung das Verfahren vorerst.

Es zeigte sich, dass mutmaßliche Betrüger die Internetseite, auf der die Gelder beantragt werden konnten, eins zu eins kopiert und damit die Daten der Antragsteller abgeschöpft hatten. Die Behörden befürchteten, dass mit diesen Angaben dann auf der echten Internetseite Zuschüsse beantragt worden waren. Die Fake-Seiten wurden daraufhin geschlossen und eine „routinemäßige Überprüfung durch die Finanzbehörden“ eingeführt.

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Zudem verschickten Betrüger bundesweit Mails an Antragsteller, in denen sie sich als offizielle Behörden ausgaben und Daten von den Betroffenen verlangten. Dass Fördergelder ohne Berechtigung ausgezahlt wurden, ist in vielen Ländern ein Problem. Berlin bezifferte den Schaden Anfang Mai auf 1,5 Millionen Euro.

Wie bewertet die Berliner Opposition den Vorgang?

Die Opposition im Abgeordnetenhaus greift den Angriff von Nußbaum dankbar auf. „Berlin hätte – wie alle anderen Länder – noch zwei Tage bis zur Veröffentlichung der Kriterien des Bundes für eine Vergabe abwarten können, bevor es die Gelder verteilt. Darauf hat der Senat bewusst verzichtet“, sagt Christian Gräff, der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion.

Er erneuerte seine Kritik, wonach der rot-rot-grüne Senat vor allem Soloselbstständige schnell zufriedenstellen wollte. Die akute Not der kleinen und mittleren Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten hätten Pop und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) bewusst ignoriert.

Sebastian Czaja, Vorsitzender der FDP-Fraktion, forderte die Wirtschaftssenatorin auf, diesen Vorwurf sofort aufzuklären. „Wenn es stimmt, dass rund 40.000 Anträge mehr bewilligt wurden, als überhaupt Antragsberechtigte in Berlin gemeldet sind, ist das ein eine absolute Blamage.“ Das Schlimmste daran sei aber, „dass jetzt vielleicht Betriebe, die auf staatliche Hilfe gehofft hätten, Gelder zurückzahlen müssen, mit denen sie längst geplant haben“.

Was sagt Ramona Pop zu den Vorwürfen?

Die Wirtschaftssenatorin bestätigte am Montag den Eindruck aus der Opposition, dass der Fokus ihrer Krisenpolitik auf den Soloselbstständigen und Freiberuflern lag. Man habe zu Beginn der Krise das Augenmerk darauf gelegt, „dass die Mittel schnell und unbürokratisch bei denen ankommen, die von der Krise unmittelbar getroffen wurden und keine Puffer haben: die Selbstständigen, Freiberufler und Kleinstunternehmen, die täglich ins eigene Risiko gehen und für die Dynamik der Berliner Wirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten“, teilte Pop dem Tagesspiegel mit.

In der Kritik: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
In der Kritik: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

© Jörg Carstensen/dpa

„Die schnelle und unbürokratische Umsetzung in Berlin wurde auch durch den Bund mehrfach gelobt. Wir berichten dem Bund regelmäßig seit Programmbeginn die Berliner Zahlen. Allerdings liegen unseren Kalkulationen andere Statistiken zugrunde.“ Betrugsfällen werde natürlich konsequent nachgegangen.

Die IBB konnte beispielsweise Betrug im großen Stil über Fake-Seiten verhindern. „Wir führen Gespräche mit dem Bund, um gemeinsam zu Lösungen zu kommen“, sagte Pop – und verzichtete damit auf einen verbalen Gegenangriff auf den ehemaligenFinanzsenator.

Welche persönlichen Motive könnte Nußbaum haben?

Als der parteilose Unternehmer 2009 aus Bremen nach Berlin kam, um dort die Nachfolge Thilo Sarrazins (SPD) als Finanzsenator anzutreten, taten sich Regierung und Opposition in den Folgejahren schwer, mit dem konfrontativen und häufig arroganten Politikstil des promovierten Juristen klarzukommen. Von Anfang an machte Nußbaum deutlich, dass er sich ausschließlich mit dem damaligen Regierungschef Klaus Wowereit (SPD), der ihn nach Berlin geholt hatte, auf Augenhöhe sah.

Er stritt sich gern und intensiv mit den Landespolitikern jeder Couleur, wenn sie ihm in die Quere kamen. Zuerst in der rot-roten, dann in der rot-schwarzen Koalition. Nußbaum galt als trickreich und rücksichtslos, wenn es um die Durchsetzung eigener Ziele ging.

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Mit dem Senatskollegen Michael Müller, ehemals zuständig für Stadtentwicklung, teilt der erfolgreiche Fischgroßhändler mit dem schicken Einstecktuch und dem Faible für teure Autos eine tiefe persönliche Abneigung. Als Wowereit 2014 zurücktrat und von Müller abgelöst wurde, war allen Beobachtern klar, dass Nußbaum nicht einen Tag mit dem neuen Regierungschef zusammenarbeiten würde.

Als Kolumnist der „B.Z.“ („Butter bei die Fische“) nutzte der Ex-Finanzsenator noch eine Weile die Gelegenheit, sich von außen in die Landespolitik provozierend einzumischen. Vor zwei Jahren machte ihn der frühere Studienfreund Peter Altmaier (CDU) zum verbeamteten Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik des nun rot-rot-grünen Senats verlor Nußbaum auch in dieser Position nicht ganz aus dem Auge und ließ gelegentlich intern durchblicken, wie dilettantisch die Senatspolitik sei.

Was bedeutet der Vorwurf für die Bezieher von Soforthilfen?

In Berlin gibt es rund 170.000 registrierte Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten sowie rund 193.000 Soloselbstständige und Freiberufler ohne weitere Angestellte. Insgesamt hätten also theoretisch maximal 363.000 Anträge auf Zahlungen aus dem Soforthilfeprogramm II bei der Förderbank IBB gestellt werden können.

Voraussetzung: Die Antragsteller können signifikante Einbußen wegen der Corona-Schutzmaßnahmen geltend machen. Das können sicher nicht alle Firmen. Immerhin eine Mehrheit der Unternehmen und Selbstständigen hatte einen Antrag gestellt. Sie alle müssen grundsätzlich mit einer Rückforderung rechnen – allerdings kaum wegen der Forderung aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Vielmehr prüfen IBB und das jeweilige Finanzamt systematisch, ob der Empfang der Gelder berechtigt war.

Sollte der Bund die Drohung wahrmachen und für Zehntausende Anträge seine finanzielle Unterstützung versagen, bekommen Pop und Kollatz ein politisches Problem.

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