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Restaurants bleiben geschlossen, viele Innenstädte sind derzeit wie ausgestorben.

© imago images/Rupert Oberhäuser

Update

Corona-Ausbruch löst Rezession aus: Ökonomen rechnen mit stärkstem Einbruch seit 1970

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für das zweite Quartal einen historischen Wirtschaftseinbruch voraus. Die Arbeitslosigkeit steigt drastisch.

Von Carla Neuhaus

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise machen den Deutschen Angst. Und zwar so sehr, dass sie die Rezession derzeit mehr fürchten als die Ansteckung mit dem Virus. Das zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Tagesspiegel Background. Sechs von zehn Deutschen machen sich demnach Sorgen, wie es mit der deutschen Wirtschaft weiter geht. Und tatsächlich trifft die Corona-Pandemie die Unternehmen im Land hart. Im zweiten Quartal dürfte die Wirtschaft so stark einbrechen, wie seit 1970 nicht mehr. Davon gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose aus, die sie am Mittwoch vorgelegt haben.

Um 9,8 Prozent könnte das Bruttoinlandsprodukt demnach im zweiten Quartal schrumpfen. Ausgelöst wird dieser heftige Einbruch vom Shutdown: Geschäfte sind geschlossen, den Firmen brechen die Aufträge weg. Auch in der Industrie ist die Produktion teilweise zum Stillstand gekommen. Die Ökonomen rechnen allerdings damit, dass sich die Lage im restlichen Jahr wieder etwas beruhigt – so dass die Wirtschaft im Gesamtjahr um 4,2 Prozent schrumpft. Verglichen mit der Prognose des Sachverständigenrats, der verschiedene Szenarien durchgerechnet hat, ist das eher pessimistisch. Das Gremium hatte je nach Entwicklung für dieses Jahr einen Einbruch von 2,8 bis 5,4 Prozent vorhergesagt.

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„Die Rezession hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser, einer der Autoren der Gemeinschaftsdiagnose. „In der Spitze wird die Arbeitslosenquote in diesem Jahr auf 5,9 Prozent und die Zahl der Kurzarbeiter auf 2,4 Millionen hochschnellen.“ Im Schnitt werden damit in diesem Jahr durch Corona 2,5 Millionen Menschen ihren Job verlieren, eine Viertelmillion mehr als im Vorjahr.

Timo Wollmershäuser ist Konjunkturchef des ifo-Instituts.
Timo Wollmershäuser ist Konjunkturchef des ifo-Instituts.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Unterstellt haben die Ökonomen dabei allerdings, dass der Shutdown am 20. April endet. Sollte er länger anhalten, wären die wirtschaftlichen Folgen noch dramatischer. Zudem sind die Experten bei ihren Berechnungen davon ausgegangen, dass man durch die schnelle Identifikation und Isolation von Infizierten in den kommenden Wochen und Monaten die Lage soweit unter Kontrolle bekommt, dass das Gesundheitssystem nicht überfordert wird. Und sie haben unterstellt, dass es der Bundesregierung mit den zur Verfügung gestellten Soforthilfen, den KfW-Krediten und der Kurzarbeit tatsächlich gelingt, eine große Insolvenzwelle zu vermeiden.

  2021 dürfte die Wirtschaft wieder wachsen

Unter diesen Voraussetzungen könnte sich die deutsche Wirtschaft 2021 dann bereits wieder erholen. „Deutschland bringt gute Voraussetzungen mit, den wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften und mittelfristig wieder das wirtschaftliche Niveau zu erreichen, das sich ohne die Krise ergeben hätte“, sagt Wollmershäuser. So dürfte den Prognosen zufolge die Wirtschaft im nächsten Jahr um 5,8 Prozent wachsen. Das klingt nach enorm viel – bedeutet allerdings nur, dass die deutsche Wirtschaft in etwa wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Viele Unternehmen sind damit womöglich noch nicht über den Berg. Bis sie wieder Gewinne machen, wird es dauern. „Erst im Geschäftsjahr 2022 oder 2023, also vier bis fünf Jahre nach dem bisher besten Jahr 2018, werden sie wieder die alten Gewinne erwirtschaften können“, glaubt Christian Kahler, Chefanlagestratege bei der DZ Bank.

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Die Ökonomen der Wirtschaftsforschungsinstitute halten die ergriffenen Maßnahmen – allen voran den Shutdown – trotz allem für richtig. „Auch aus ökonomischer Sicht ist es wichtig, die Ausbreitung des Virus einzudämmen“, sagt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. „Wenn es nicht gelingt, die Ausbreitung in den Griff zu bekommen, sind auch alle Überlegungen zur mittelfristigen Entwicklung der Wirtschaft obsolet.“ Soll heißen: Eine unkontrollierte Verbreitung des Virus würde die Wirtschaft langfristig noch sehr viel stärker schaden als ein zeitlich begrenzter Shutdown.

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel weist allerdings darauf hin, dass die deutschen Firmen wissen müssen, wie es nun weiter geht. „Wir sollten den Unternehmen ein Signal geben, dass es sich lohnt durchzuhalten – auch wenn sie jetzt stark von der Krise betroffen sind“, sagt er. Denn Firmen würden die nun angebotenen Hilfskredite nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie die Hoffnung hätten, dass sie die Krise auch überstehen können. Perspektivisch muss es nach Ansicht von Kooths deshalb einen Lastenausgleich geben: zum Beispiel können Firmen aus weniger stark betroffene Branchen Unternehmen aus stark gebeutelten Branchen unterstützen.

Die Staatsfinanzen halten das aus

Finanziell sehen die Ökonomen Deutschland derweil gut aufstellt – auch wenn die nun ausgerufenen Hilfsprogramme die Staatsverschuldung in die Höhe treiben. Die günstige Finanzlage ermögliche es dem Staat, weitgehende Maßnahmen zur Abfederung der kurzfristigen negativen Folgen für Unternehmen und private Haushalte zu ergreifen. Diese führen der Prognose zufolge 2020 zu einem Rekorddefizit beim Staat von 159 Milliarden Euro. Der Bruttoschuldenstand des Staates werde auf 70 Prozent in Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt steigen.

Kooths weist allerdings daraufhin, dass der Staat nach der Krise wieder sparen muss. „Solide aufgestellte Staatsfinanzen sind eine Versicherung gegen Krisen“, sagt er. Wie wichtig das sei, zeige sich gerade jetzt. Denn andere Länder der Eurozone sind derzeit sehr viel schlechter dran als Deutschland – allen voran Italien. Das Land ist nicht nur besonders stark von der Corona-Krise betroffen, sondern hatte auch schon vorher eine enorm hohe Staatsverschulung. Im Januar lag sie 136 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „Deshalb muss man jetzt darüber nachdenken, wie man diese Länder unterstützen kann“, sagt Wollmershäuser. Andernfalls drohe ähnlich wie nach der Finanzkrise eine Staatsschuldenkrise – und damit eine neue Eurokrise.

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erarbeitet wird das Gutachten vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom Kieler IfW, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.

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