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 „Durch die Digitalisierung können wir mit weniger Mitarbeitern mehr Kunden betreuen“, sagt Michel Mandel.

© Commerzbank

Commerzbank-Vorstand Michael Mandel: „30 Millionen Deutsche verlieren ihre Bankfiliale“

Andere Institute schließen massiv Filialen - die Commerzbank will davon profitieren. "Wir freuen uns sehr, dass die anderen sich aus dem Markt zurückziehen", sagt Privatkundenvorstand Michael Mandel im Tagesspiegel-Interview.

Von Carla Neuhaus

Herr Mandel, während andere Banken massiv Filialen schließen, versprechen Sie die Zahl Ihrer Zweigstellen konstant zu halten. Wie lange halten Sie das durch?

Das ist keine Frage von Durchhalten. Andere Institute setzen vor allem stark darauf, ihre Kosten zu senken – wir dagegen haben auch eine klare Wachstumsstrategie. Bis 2020 wollen wir netto zwei Millionen Neukunden gewinnen und das Volumen von verwalteten Wertpapieren, Krediten und Einlagen auf über 400 Milliarden Euro steigern.

Und dafür braucht man Filialen?

Ja, die Filialen spielen dabei eine entscheidende Rolle. 70 Prozent unserer Neukunden gewinnen wir in der Filiale, 30 Prozent über die digitalen Kanäle. Das bedeutet, um zu wachsen, brauchen wir die Filialen. Dazu kommt, dass wir mit diesen Filialkunden am Anfang auch mehr Geschäft machen als mit Onlinekunden. Denn wer sein Konto in der Filiale eröffnet hat, kommt später auch öfter in die Filiale, sei es für eine Wertpapierberatung oder eine Baufinanzierung.

Profitieren Sie also davon, dass die anderen Banken Filialen schließen?

Wir freuen uns sehr, dass die anderen sich aus dem Markt zurückziehen. Unseren Prognosen zufolge werden in den nächsten Jahren 30 Millionen Bankkunden in Deutschland ihre Bankfiliale verlieren. Das verschafft uns neue Spielräume für Wachstum. Deshalb halten wir auch an unseren rund 1000 Filialen fest. Wir wollen der Massenschließungspanik vieler Wettbewerber bewusst etwas entgegen setzen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir an ausgewählten Standorten noch neue Filialen aufmachen – etwa in Hamburg, München, Bremen oder Berlin.

Allerdings werden auch Ihre Filialen in Zukunft anders aussehen...

Bei 1000 Filialen werden wir nicht mehr alle Leistungen überall anbieten. Stattdessen setzen wir auf zwei Filialtypen. So werden wir künftig viele kleine Cityfilialen haben. Wie die aussehen sollen, testen wir gerade in Stuttgart und Frankfurt am Main. In diesen Cityfilialen können Sie ein Konto eröffnen oder einen Ratenkredit abschließen. Was Sie dort nicht bekommen, ist eine individuelle Beratung zur Vermögensverwaltung, Wertpapieranlage oder Baufinanzierung. Dafür haben wir unsere neuen Flagshipfilialen. Von denen gibt es derzeit fünf, sieben weitere sollen in diesem Jahr noch folgen.

Wenn Sie mehr kleine Filialen haben, brauchen Sie weniger Mitarbeiter. Wird es also auch im Privatkundengeschäft einen starken Personalabbau geben?

Die kleineren Filialen kommen in der Tat mit bis zu vier Mitarbeitern aus. Dafür werden aber mehr Experten in den Flagshipfilialen gebraucht. Unterm Strich werden zwar auch im Privatkundenbereich Stellen wegfallen, allerdings weniger als in anderen Bereichen.

Welche Bereiche meinen Sie?

Das trifft verstärkt das Backoffice. Wir machen die Commerzbank derzeit fit für die digitale Zukunft. Das bedeutet, dass wir 80 Prozent unserer relevanten Prozesse digitalisieren. Kredite zum Beispiel werden künftig weitgehend digital abgewickelt und entschieden, so dass wir im Hintergrund weniger Leute brauchen, die sie bearbeiten.

Konzernweit sollen 9600 Stellen wegfallen. Das ist sehr viel mehr als nach der Fusion mit der Dresdner Bank. Ist das der große Befreiungsschlag?

Befreiungsschlag kann ich das nicht nennen. Ich bin im Mai vergangenen Jahres Vorstand geworden und es war nicht einfach, bereits nach kurzer Zeit eine solche Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig können Sie aber als Bank nicht jährlich bis zu 700 Millionen Euro in IT und Digitalisierung investieren und an Ihren alten Strukturen festhalten.

Passt so zusammen, dass Sie einerseits Stellen abbauen und andererseits mehr Kunden gewinnen wollen?

Ja, so ist das. Durch die Digitalisierung können wir mit weniger Mitarbeitern mehr Kunden betreuen.

Zwei Millionen Neukunden bis 2020 gewinnen zu wollen, ist ambitioniert.

Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen werden. Wir haben unsere neue Strategie im September verkündet und seitdem bis Ende Mai bereits netto 300 000 neue Kunden gewonnen. Unser Plan geht also bisher auf.

Möglicherweise lassen sich die Kunden aber auch einfach von Ihrem Startguthaben locken. Derzeit zahlen Sie jedem, der zu Ihnen wechselt, 150 Euro. Wie rechnet sich das?

Um neue Kunden zu gewinnen, können Sie entweder viel Geld für große Werbekampagnen ausgeben oder Sie drücken den Kunden das Geld direkt in die Hand. So oder so kostet uns die Werbung eines neuen Kunden zwischen 150 und 250 Euro. Wichtig ist, dass wir mit den Kunden dann auch Geschäft machen. Das passiert nicht sofort, das braucht Zeit. Aber im Schnitt haben wir nach 18 Monaten die Kosten erwirtschaftet.

Wie funktioniert das? Schließlich zahlen Sie als Bank bei der EZB einen Strafzins, wenn Sie dort Einlagen parken.

Wenn ein Kunde zu uns kommt, tragen wir nicht sofort sein gesamtes Geld zur EZB. Stattdessen nutzen wir es, um damit zum Beispiel Kredite zu vergeben. Außerdem gilt: Wer das Girokonto hat, der hat den Kunden. Schließlich erkundigt man sich erstmal bei der Hausbank, wenn zum Beispiel eine Baufinanzierung ansteht. Auch die Digitalisierung lohnt sich nur, wenn Sie möglichst viele Kunden haben. Neue Anwendungen wie unsere Kontostand-App kosten in der Entwicklung – je mehr Kunden sie nutzen, desto eher zahlt sich das aus.

Sie wollen auch im Kreditgeschäft kräftig wachsen. Wie soll das gehen?

In der Baufinanzierung haben wir unseren Marktanteil bereits weiter ausgebaut. Bei den Ratenkrediten haben wir uns vorgenommen, das jährliche Neugeschäft bis 2020 auf sechs Milliarden Euro fast zu verdreifachen. Bislang sind die Ratenkredite nicht aus unserem Haus gekommen, sondern über ein Joint Venture mit der BNP Paribas. Das ändern wir. Wir lösen das Joint Venture gerade auf und werden künftig das Geschäft mit dem Ratenkredit wieder zu einem Kerngeschäft der Commerzbank ausbauen.

Gibt es denn einen so großen Bedarf an Ratenkrediten? Schließlich läuft die Wirtschaft, die Zahl der Arbeitslosen ist niedrig.

Der Bedarf ist da. Die Konsumneigung der Deutschen ist hoch – was auch daran liegt, dass das Sparen nicht mehr so viel bringt. Abgesehen davon ist ein Ratenkredit nichts Verwerfliches. Wenn ich einen neuen Fernseher brauche, kann ich dafür sparen und ihn mir dann kaufen. Oder ich nehme einen Kredit auf, kaufe ihn sofort und spare dann später, um die Raten zu bezahlen.

Wenn man das Geld nicht ausgibt, sondern bei Ihnen auf dem Tagesgeldkonto parkt, bekommt man dafür mittlerweile keine Zinsen mehr. Werden Sie von Ihren Kunden bald auch Strafzinsen verlangen?

Nein, es gibt in unserem Haus keine Überlegung, im breiten Privatkundengeschäft negative Zinsen einzuführen.

Haben Sie Verständnis dafür, dass andere Häuser Strafzinsen verlangen?

Das muss jeder für sich entscheiden. Ich persönlich habe eine einfache Regel. Als Banker muss ich am Ende des Tages immer erklären können, warum ich etwas tue. Und ganz ehrlich: Ich könnte meiner Familie nicht erklären, warum sie auf einmal dafür zahlen soll, Erspartes bei der Bank zu parken, wo sie das Geld doch auch einfach zu Hause in der Spardose liegen lassen könnte.

Apropos Geldanlage. Der Staat hat der Commerzbank in der Finanzkrise Milliarden bereitgestellt und hält noch immer mehr als 15 Prozent der Anteile an Ihrem Institut. Sollte sich der Bund davon nicht langsam trennen?

Das ist nicht unsere Entscheidung. Wir sind natürlich sehr dankbar, dass wir 2008 diese Unterstützung erfahren haben. Es war auch klar, dass wir das Geld so schnell wie möglich zurückzahlen wollen. Deshalb haben wir die stille Einlage bereits 2013 komplett zurückgezahlt. Worauf wir aber keinen Einfluss haben, sind die Aktien, die der Bund hält.

In Berlin und Frankfurt haben Sie zuletzt eine Digitalagentur namens Neugelb gegründet. Gibt es bereits erste Ergebnisse?

Durchaus. Die Kollegen von Neugelb helfen uns bei der Entwicklung sämtlicher Digitalangebote. Sie sind unter anderem dafür zuständig, den Kundenprozess mit zu gestalten – also dafür zu sorgen, dass die Nutzung unserer Apps und Onlineangebote verständlich und einfach ist. Geholfen hat uns Neugelb zuletzt etwa dabei, gemeinsam mit unserer IT-Kollegen den neuen digitalen Ratenkredit zu bauen. Dank der tollen Teamarbeit hat es nur sechs Monate gedauert, bis wir mit dem Produkt live gehen konnten.

Zusammen mit anderen Banken haben Sie den Online-Bezahldienst Paydirekt eingeführt. Von den Nutzerzahlen sind viele aber noch enttäuscht. Sie auch?

Nein. Inzwischen nutzen mehr als eine Million Kunden Paydirekt. Gleichzeitig bieten bereits fast 1000 Onlinehändler das Bezahlverfahren an. Das ist ein großer Erfolg. Wenn jemand ernsthaft glaubt, wir könnten über Nacht Anbieter ausstechen, die über 20 Jahre am Markt sind, ist das lächerlich. Seit wir angefangen haben, an Paydirekt zu arbeiten, sind mehrere andere Bezahlverfahren schon wieder vom Markt verschwunden. Unseres gibt es dagegen noch, es funktioniert technisch einwandfrei, ist einfach und sicher. Von daher bin ich fest davon überzeugt, dass Paydirekt eine Erfolgsgeschichte wird.

Michael Mandel (50) ist seit Mai 2016 Privatkundenvorstand der Commerzbank. Er hat den Posten von Martin Zielke übernommen, als der Vorstandschef wurde. Mandel hat in den achtziger Jahren bei der Bremer Bank gelernt und anschließend BWL studiert. Mit einer Zwischenstation bei der Beratung McKinsey war er jahrelang bei der Dresdner Bank, später bei der Commerzbank tätig. Von 2008 bis 2010 war Mandel Vorstandschef der Commerzbank-Tochter Comdirekt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die Commerzbank ist die zweitgrößte Privatbank in Deutschland, sie betreut mehr als fünf Millionen Kunden. Nachdem die Commerzbank in der Finanzkrise die Dresdner Bank übernommen hat, wurde sie 2009 teilverstaatlicht.

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