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Commerzbank-Chef Martin Blessing stellte im Interview mit dem Tagesspiegel die von der chinesischen Regierung kommunizierten Zahlen zum Wirtschaftswachstum des Landes infrage.

© Kai-Uwe Heinrich

Commerzbank-Chef Blessing zur Flüchtlingspolitik: "Es ist gut, dass Deutschland mehr tut"

Martin Blessing spricht mit dem Tagesspiegel über das Flüchtlingsdrama, Chinas Krise, hohe Dispozinsen - und den Standort Berlin. Ein Interview.

Herr Blessing, Sie sind bereits seit acht Jahren Chef der Commerzbank. Reizt es Sie nicht manchmal, noch mal etwas anderes zu machen?

Doch, aber im Moment macht mir das, was ich mache, noch viel Spaß.

Ihr Vertrag läuft im kommenden Jahr aus. Ihnen soll schon eine Verlängerung angeboten worden sein. Machen Sie weiter?

Rein rechtlich kann man frühestens zwölf Monate vor Ende eine Verlängerung anbieten. Insofern stellt sich die Frage jetzt nicht. Falls der Aufsichtsrat sie mir stellt, werde ich sie beantworten.

Den Halbjahresgewinn haben Sie auf 646 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Geht das Jahr so weiter?

Man kann das erste Halbjahr in der Bankenbranche nie auf das ganze Jahr hochrechnen. In den Sommermonaten ist das Geschäft grundsätzlich etwas ruhiger. Ähnliches gilt für die Adventszeit. Da erwarten wir rein aufgrund der saisonalen Entwicklung etwas weniger Ertrag und mehr Risikovorsorge. Die bucht man übrigens auch für Januar und Februar noch ins alte Jahr. Aber wir sind operativ in der Tat gut unterwegs.

Ihren Aktionären haben Sie für dieses Jahr eine Dividende in Aussicht gestellt – die erste seit der Finanzkrise. Dabei bleibt es?

Es ist richtig: Wir planen, für das Jahr 2015 wieder eine Dividende auszuschütten. Stand heute habe ich keinen Grund, daran zu zweifeln. In den ersten beiden Quartalen haben wir dafür bereits erste Rückstellungen gebildet. Aber entscheidend ist wie immer das Gesamtjahr.

Der Aktienkurs der Commerzbank hat sich seit der Krise noch nicht wieder erholt.

Es stimmt, dass der Kurs heute deutlich niedriger ist als 2008.

Was können Sie für den Kurs tun?

Meine Verantwortung als Vorstand besteht darin, möglichst gute Zahlen zu erwirtschaften. Wir brauchen also mehr Gewinn und Wachstum. Aktuell wachsen wir im Geschäft mit mittelständischen Geschäftskunden, wir wachsen deutlich bei den Privatkunden – bei der Baufinanzierung wie auch bei Neukunden. Seit Start unserer neuen Strategie Ende 2012 haben wir netto fast 700 000 neue Privatkunden gewonnen. Das sind deutlich mehr Menschen, als Dresden Einwohner hat.

Welche Rolle spielt dabei Ihr 50-Euro-Begrüßungsgeld für Neukunden?

Es ist ja klar: Wenn wir genauso viele Kunden ohne das Startguthaben hätten gewinnen können, hätten wir es nicht gezahlt. Aber unser Wachstum hat mehrere Ursachen. Das Guthaben ist erfolgreich, reicht allein aber nicht aus.

Sie könnten noch viel mehr Kunden gewinnen, wenn Sie die Postbank von der Deutschen Bank übernähmen.

Das ist für uns kein Thema.

Sie verlangen von Ihren Kunden noch immer Dispozinsen von mehr als zehn Prozent – und das in einer absoluten Niedrigzinsphase. Warum?

Sie müssen immer die Gesamtkosten für ihr Konto sehen. Bei uns ist die Kontoführung kostenlos. Das bedeutet: Falls ein Kunde den Dispo nutzt, dann ist bei vielen Wettbewerbern allein schon die Kontoführungsgebühr teurer. Unabhängig davon weisen wir Kunden zum Beispiel auf dem Kontoauszug darauf hin, wenn sie ihr Konto überziehen und bieten ihnen das Gespräch mit einem Berater an.

Das Abheben am Automaten wird bei Ihnen für Fremdkunden bald teurer. Warum?

Die privaten Banken haben sich vor Jahren darauf geeinigt, die Kosten für die Abhebung von Fremdkunden an unseren Automaten auf 1,95 Euro zu begrenzen. Wir wollten damit als gutes Beispiel vorangehen und hatten die Hoffnung, dass die Sparkassen und Volksbanken das Abheben an ihren Automaten für unsere Kunden ebenfalls günstiger machen. Das ist allerdings nicht passiert. Deshalb ist das Vorhaben, branchenweit ein niedriges Niveau für Abhebungen von Fremdkunden durchzusetzen, gescheitert.

Sie haben deutschlandweit derzeit an die 1100 Filialen. Dabei soll es bleiben?

Wie viele Filialen wir langfristig betreiben, entscheiden die Kunden. Und hier gibt es eine interessante Entwicklung. In einer Umfrage haben kürzlich sogar 84 Prozent der 14- bis 20-Jährigen angegeben, sie hätten gerne eine Bankfiliale in der Nähe. Und das spiegelt sich auch in der Entwicklung des Marktes: So haben die reinen Onlinebanken bislang nur einen Marktanteil von 20 Prozent – und das, obwohl es sie schon seit rund 20 Jahren gibt. Deshalb setzen wir ganz bewusst auch weiter auf Filialen.

Trotzdem geht der einzelne Kunde heute deutlich seltener in die Filiale.

Das ist so. Wenn ein Kunde früher zwölf Mal im Jahr in die Filiale kam, kommt er heute nur noch sechs Mal vorbei. Für die Banken ist das eine Herausforderung, schließlich werden die Kosten deshalb nicht geringer. Um das auszugleichen, müssen Banken wachsen, Kunden gewinnen und so die Anzahl der Kunden pro Mitarbeiter in den Filialen steigern. Bislang gelingt das gut. Seit 2010 ist die Anzahl der Kunden pro Mitarbeiter bei uns um 40 Prozent gestiegen.

Welche Rolle spielen dabei die Öffnungszeiten der Filialen – vor allem am Abend?

Wir testen längere Öffnungszeiten. Aber es gibt Grenzen. Wenn die Geschäfte in einer Einkaufsstraße schließen, muss die Bankfiliale nicht mehr offen sein. Das gilt übrigens auch im Umkehrschluss. Um die Filiale länger aufzuhalten, braucht man allerdings einen Schichtplan. Und das ist gerade für kleine Filialen mit wenigen Mitarbeitern eine Herausforderung. Gleichzeitig wollen gar nicht so viele Kunden sich abends im Feierabend noch mit Finanzfragen beschäftigen.

Ist das so?

Ja. Das können Sie ganz gut am Onlinebanking ablesen. Eigentlich würde man annehmen, dass die Kunden das vor allem abends nutzen, wenn die Filialen geschlossen haben. Stattdessen loggen sich viele Kunden vormittags um 11 Uhr ein.

"Wir haben in keiner Stadt mehr Filialen als in Berlin"

1100 Filialen betreibt die Commerzbank derzeit.
1100 Filialen betreibt die Commerzbank derzeit.

© AFP

In Berlin betreiben sie zwei Pilotfilialen. Hier gibt es Tablets, freies W-Lan und kostenlosen Kaffee. Zieht das?

Wenn es darum geht, dass mehr Leute in die Filiale kommen, funktioniert das sehr gut. Die Zahl der Besucher dort ist in anderthalb Jahren um 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig haben wir unser Geschäft an diesen Standorten allerdings bislang nicht in demselben Umfang steigern können. An diesem Thema arbeiten wir.

Was lernen Sie daraus?

Es reicht nicht nur, die Filialen schicker zu machen. Man muss auch die Kunden in einer anderen Art und Weise ansprechen. Zum Beispiel arbeiten wir derzeit an der Frage, wie man Produkte besser präsentieren kann.

Mit dem Standort Berlin sind Sie nicht nur über Ihre Pilotfilialen verbunden, sondern auch über den Großflughafen BER. So sind Sie an der Baufirma Imtech beteiligt und haben ihr Kredite gewährt. Was bedeutet die Insolvenz von Imtech für die Commerzbank?

Wenn Sie ein Firmenkundengeschäft machen, gehen Sie automatisch das Risiko ein, dass eine Firma in Schieflage geraten kann. So gesehen ist eine Insolvenz nichts Außergewöhnliches. Was bei Imtech etwas anders ist, ist die Tatsache, dass die beteiligten Banken in einem Restrukturierungsschritt einen Aktienanteil an der Firma erworben haben, um der Firma zu helfen. Der Anteil ist heute natürlich weniger wert. Das ärgert uns, ist aber nun einmal Teil des Geschäfts.

Allerdings müssten Sie jetzt ein noch größeres Interesse daran haben, dass der BER fertig wird.

Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Im Ausland ist mir das schon fast peinlich, dass wir Deutschen für unsere Ingenieurskunst bekannt sind, aber diesen Flughafen nicht fertig bekommen. Gleichzeitig fliege ich selbst häufig nach Berlin und muss vom Flughafen in die Stadt – da bin ich für jeden Tag, den Tegel länger offen bleibt, dankbar.

Die Commerzbank hat mittlerweile auch zwei Bereichsvorstände in Berlin. Ist das ein Zeichen dafür, dass Berlin für Sie wichtiger geworden ist?

Berlin ist als Standort für uns sehr wichtig. Wir haben in keiner anderen Stadt mehr Filialen als hier. Jeder fünfte Berliner ist unser Kunde. Deshalb ist es auch nur richtig, dass hier auch zwei Bereichsvorstände sitzen, die von Berlin aus das Geschäft im gesamten Osten Deutschlands verantworten.

Nun ist Berlin vor allem für die Gründerszene bekannt. Wie eng arbeitet Ihr Konzern mit Start-ups zusammen?

Wir investieren gleich über zwei Tochterfirmen in Start-ups. Unser Main Incubator unterstützt Gründer in der sehr frühen Phase, wenn sie noch an ihren Ideen arbeiten. Die zweite Tochter CommerzVentures macht Wachstumsfinanzierung, wenn die Start-ups bereits ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, aber größer werden wollen. Damit wollen wir zum einen Geld verdienen. Zum anderen kommen wir so mit Start-ups in Kontakt, mit denen wir möglicherweise später zusammenarbeiten.

Nun sitzen diese beiden Tochterfirmen in Frankfurt – viele Start-ups aber in Berlin …

Das stimmt. Aber für die Fintech-Szene, also Gründer aus dem Finanzbereich, ist Frankfurt ein wichtiger Standort. Abgesehen davon sind die Mitarbeiter in diesem Bereich in ganz Deutschland unterwegs – und da hat Frankfurt den Vorteil, dass es von dort noch immer mehr Flugverbindungen gibt als von Berlin aus.

"Der Crash in China ist eher eine Korrektur"

Vom digitalen Wandel zum Kulturwandel: Eine Gruppe renommierter Banker hat kürzlich kritisiert, dass sich die Kultur in den Instituten noch nicht schnell genug gewandelt hat. Haben sie recht?

Ich kann nur sagen, was sich konkret in unserem Haus seit der Finanzkrise geändert hat, und das ist viel. Zum Beispiel vertreiben wir geschlossene Fonds nur noch an Kunden mit einem Anlagevermögen von 250 000 Euro oder mehr. Außerdem bieten wir keine Produkte mehr an, mit denen an der Börse auf Grundnahrungsmittel spekuliert werden kann. Und wir haben die Zielerreichung unserer Berater im Privatkundengeschäft verändert, die früher deutlich stärker vom Umsatz abhing. Wichtiger geworden ist dagegen die Kundenzufriedenheit, die wir über monatliche Befragungen regional erheben und deren Ergebnisse sich dann auf die Bewertung jedes einzelnen Filialteams auswirken.

Sie haben aktuell auch vier Niederlassungen in China. Was machen Sie dort genau?

Wir haben in Peking, Schanghai, Hongkong und Tianjin Büros mit insgesamt rund 300 Mitarbeitern. Dort betreuen wir vor allem deutsche Kunden, die in China unterwegs sind, und chinesische Kunden, die Geschäfte mit Deutschland machen.

Welche Sorgen bereitet Ihnen der Börsencrash in China?

Wenn man sich die letzten 24 Monate anschaut, dann sieht man erst einen extremen Boom – und dann einen ziemlichen Rückgang der Kurse. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Es gibt Übertreibungen nach oben und Übertreibungen nach unten. Ich glaube, dass das eher eine Korrektur ist – und kein Grund, gleich vom Weltuntergang zu sprechen.

Wie geht es mit dem Wachstum in China weiter?

Die chinesische Regierung hat für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent prognostiziert. Interessanterweise hat sie dann das Wachstum fürs erste und zweite Quartal bekannt gegeben, und es lag – Überraschung – bei exakt sieben Prozent. Das kann man glauben – muss man aber nicht. Unsere Volkswirte gehen eher von einem Wachstum von vier Prozent aus. Doch aus deutscher Sicht sind selbst vier Prozent noch klasse. Zumal: Je größer die chinesische Volkswirtschaft wird, desto schwieriger wird es, die sehr hohen prozentualen Veränderungsraten beizubehalten.

"Wir sind auf Zuwanderung angewiesen"

Berlin hat gerade ein Containerdorf für Flüchtlinge fertiggestellt.
Berlin hat gerade ein Containerdorf für Flüchtlinge fertiggestellt.

© dpa

Was Europa am meisten umtreibt, ist die steigende Zahl an Flüchtlingen. Brauchen wir eine andere Flüchtlingspolitik?

Natürlich wäre es ideal, wenn die EU eine gemeinsame Linie zur Lösung des Flüchtlingsdramas finden würde. Aber ich weiß nicht, ob das möglich ist. Schließlich ist jedem Regierungschef das eigene Land am nächsten. Und mancher würde die Flüchtlinge lieber im Nachbarland sehen als bei sich – so zynisch das ist. Es ist gut und richtig, dass wir als eines der wohlhabendsten Länder unsere Verantwortung annehmen und auch mehr tun als andere. Zumal wir langfristig angesichts des demografischen Wandels auf Zuwanderung angewiesen sind. Allein kann Deutschland das Problem aber nicht lösen.

Gibt es etwas, was Ihr Haus tun kann? Zum Beispiel Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, ein Konto zu eröffnen?

Das tun wir schon jetzt. Allerdings ist das nicht immer einfach. Nehmen wir das Thema Kontoeröffnung. Da schreibt der Gesetzgeber uns vor, dass wir unsere Kunden genau identifizieren müssen, um beispielsweise Geldwäsche zu verhindern. Aber aus bekannten Gründen hat nicht jeder Flüchtling gültige Papiere.

Das Interview führten Gerd Appenzeller, Kevin P. Hoffmann und Carla Neuhaus

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