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Wie beim Sporttraining. Jobcoaches wie Jana Bretfeld beraten und motivieren Menschen, die lange keine Stelle hatten. Ein Ziel: Durchhalten.

© Getty Images/iStockphoto

Coaching für Langzeitarbeitslose: Das Ziel: Nicht wieder aufgeben

Wer lange arbeitslos war, tut sich mit einem neuen Job oft schwer.  Der Staat stellt ihnen deswegen einen Coach zur Seite. Bringt das was?

Wie oft denn noch? Mike Jordan fürchtete die Frage seiner Freunde fünf Jahre lang. Nein, er hat den Job nicht bekommen. Im Briefumschlag steckte wieder eine Absage. Er war wieder nicht gewollt.

Mike Jordan war einmal Maurer. Seine Hände sind Zeugen harter Arbeit. Dann bekam er vor acht Jahren den ersten epileptischen Anfall. Tut ihnen leid, aber die Gefahr sei zu groß, dass er sich oder andere verletzt. Was, wenn er plötzlich einen Schub erleidet? Dass der 47-Jährige Pillen vom Facharzt nahm, war nicht von Bedeutung. Erst war er kein makelloser Mitarbeiter mehr; dann Hartz-IV-Empfänger.

„Ich machte, was das Jobcenter wollte“, erzählt Mike Jordan an einem Montagmorgen im Februar. Bahnhof Friedrichsstraße, Kellergeschoss. Ein Bewerbungstraining? In Ordnung. Eine sechsmonatige Umschulung zum Gebäudereiniger? Macht er, wenn das seine Chancen erhöht.

Das tat es nicht.

Seine Krankheit schreckte Betriebe ab. Es störte sie, dass Mike Jordan seine Tochter alleine großzieht und nicht jede Schicht zu jeder Stunde übernehmen konnte. Oft war es beides.

Die Arbeitslosenquote sinkt in Deutschland seit Jahren. Sie beträgt etwas mehr als fünf Prozent. Unternehmen klagen über fehlende Fachkräfte. Auch jene, die Maurer und Gebäudereiniger brauchen. Gleichzeitig suchen mehr als 700 000 Menschen seit mindestens einem Jahr vergeblich nach einer Stelle. Die Politik hat viel probiert, um die verfestigte Arbeitslosigkeit aufzubrechen. Ohne Erfolg. Seit einem Jahr wagt sie was Neues.

Hoher Besuch. Mike Jordan (2.v.r) erzählt Arbeitsminister Hubertus Heil (l.), Bahn-Vorstand Martin Seiler (2.v.l) und BA-Vorstand Daniel Terzenbach (r.) von seinem Job.
Hoher Besuch. Mike Jordan (2.v.r) erzählt Arbeitsminister Hubertus Heil (l.), Bahn-Vorstand Martin Seiler (2.v.l) und BA-Vorstand Daniel Terzenbach (r.) von seinem Job.

© imago images/Christian Ditsch

Wer Menschen trotz eines lückenhaften Lebenslaufs einstellt, bekommt den Lohn teilweise vom Staat bezahlt. Das hat unter anderem die Deutsche Bahn überzeugt. Im Herbst unterschrieben 17 Langzeitarbeitslose einen Vertrag. Darunter: Mike Jordan. 3.30 Uhr aufstehen, Kaffee, Bahnfahrt, sechs Uhr anfangen. So beginnt ein jeder Tag. Er sammelt am Bahnhof den Müll auf, säubert Toiletten, wischt den Boden. „Klar ist das kein Traumjob, aber ich fühle mich viel besser“, sagt er. Nicht mehr wie jemand, der seiner elfjährigen Tochter kaum einen Wunsch erfüllen kann. Wie einer, der nichts nützt.

Wollen oder können sie nicht arbeiten?

Warum arbeiten manche seit vielen Jahren nicht? Wollen oder können sie nicht? Und wie sollte der Staat sie behandeln? Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte dazu eine deutliche Meinung. „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, sagte der SPD-Politiker, bevor er Hartz IV einführte. Dauerarbeitslose sollten wenn nötig gezwungen werden, was zu leisten. Diese Drückeberger. Seitdem es Hartz IV gibt, wird es für seine Strenge kritisiert. Das sperrig klingende Teilhabechancengesetz steht für mehr Milde.

Für die Unternehmen ist die Finanzierung verlockend. Doch das wahrlich Besondere an dem Gesetz ist das Coaching. Jemand soll Probleme und Konflikte der Arbeitslosen schnell erkennen. Statt zu drohen sollen sie loben.

Jana Bretfeld coacht Menschen seit einigen Jahren. Sie fragt: Wo willst du hin? Was brauchst du dafür? Schauen wir uns mal deine Stärken an. Seit fünf Monaten macht sie das mit Menschen, die lange keine Stelle hatten. Dabei sitzt sie nicht im Jobcenter, sondern in Räumen des Bildungswerks „Works“. Ein gewöhnliches Büro in einem gewöhnlichen Haus am Alexanderplatz.

„Sicherlich gibt es ein paar Menschen, die nicht arbeiten möchten“, sagt Jana Bretfeld. Die weißen Haare trägt sie kurz. Sie sitzt aufrecht, spricht mit Bedacht. Manche sind mit Hartz IV aufgewachsen als wäre es das Normalste auf der Welt. Sie sehen für sich keine andere Möglichkeit als den Staat um Geld zu bitten. Die allermeisten Geschichten, die Jana Bretfeld hört, klingen aber ganz anders. Irgendwas zerbricht im Leben. Was man lernte, zu geben, braucht niemand mehr. Firmen gehen pleite. Jemand wird krank, muss nach einem schweren Unfall wieder heilen. Ein Mann verliert seine Frau und schafft es nicht mehr aus dem Bett, so traurig ist er.

Jana Bretfeld coacht Menschen seit einigen Jahren.
Jana Bretfeld coacht Menschen seit einigen Jahren.

© privat

Die Menschen, die zu Jana Bretfeld kommen, nennt sie Kundinnen und Kunden. Die Jüngste sei Mitte 30, die Älteste geht in zwei Jahren in Rente. Einer hat die Schule nie beendet, ein anderer war Professor. 37 Menschen, 37 Erklärungen. Jeder ist anders. Wenn sie ihre Kernaufgabe beschreibt, geht es ihr darum, den anderen zu „stabilisieren“. So als stünde er auf wackeligen Beinen.

Plötzlich dürfen sie Ansprüche stellen

Manchmal zeichnet Jana Bretfeld einen Kreis auf ein Blatt Papier: „Schau mal, das in der Mitte bist du. Was wirkt im Job alles auf dich ein? Was stört, lenkt dich ab?“ Sie hört sich private Sorgen an, redet keine Angst klein, stärkt das Selbstbewusstsein ihres Gegenübers: Du kannst das! Du bist wer! Sie sagt: „Jeder Pups, der klemmt, alles, was dich davon abhält, dich auf deine Arbeit zu konzentrieren, ist relevant.“ Fühlt sich einer bei der Arbeit unwohl, überfordert, gibt er auf. Das darf nicht passieren.

Anfangs wissen die meisten nicht, was sie Jana Bretfeld erzählen sollen. Coaching? Kennen sie nicht. Um es anschaulich zu machen, sagt die 46-Jährige: „Jeder Chef hat einen Coach, einen Berater. Stellen Sie sich nur mal vor: Sie zahlen mir die Stunde 120 Euro. Was wollen Sie besser können, wenn Sie aus der Tür gehen?“ Langzeitarbeitslose stellen bei ihr Ansprüche. Bisher mussten sie die nur erfüllen.

Wenn sie ihre Kunden bei der Arbeit besucht, spricht Jana Bretfeld auch mit den Vorgesetzten. Sonst höre sie nur eine Sicht. Trotzdem ist sie vor allem für ihre Kunden da. Der Chef weiß: Da ist wer, der aufpasst.

Eine Frau, die Jana Bretfeld betreut, arbeitet in einem kleinen Berliner Fitnessstudio. Sie ist seit einigen Wochen hier, vereinbart Termine, erstellt Gesundheitsprofile, beobachtet, ob die Gäste korrekt auf den Geräten sitzen. „Wer arbeiten will, findet was“, meint Violetta B. Sie sei sich für keinen Job zu schade. Für ihr Geld will sie was tun. Violetta B. hat aber auch jahrelang Geld vom Jobcenter bekommen. Wie kann das sein?

Anfang der Neunziger hatte Violetta B. eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, aber nicht beendet. Seitdem half sie mal in einer Restaurantküche aus, mal verkaufte sie Eis. Zwei Monate hier, vier Monate da. Dazwischen irgendwelche Maßnahmen vom Amt. Warum sie nie lange blieb, verrät die 49-Jährige nicht. Sie sagt nur mal: „Wenn mich was aufregt, kann ich nicht aus meiner Haut.“

Was dann geschah, lag nicht in ihrer Macht. 2017 wurde Violetta B. schwer krank. Details dazu will sie nicht öffentlich nennen. Zu groß ist ihre Angst, dass ihr das wieder schadet. „Ich hatte mich danach wirklich bemüht gehabt und gab bei Bewerbungen ehrlich an, was ich hatte“, erzählt sie. „Jeder lehnte ab.“

Im Jobcenter sei es hart. Einmal rastete sie aus

Anders als bei großen Konzernen wie der Deutschen Bahn gibt es bei einem kleinen Sportstudio wie diesem keine Personalabteilung, die große politische Entscheidungen im Blick hat. Den Job hat Violetta B. bekommen, weil sie selbst danach gefragt hat. Sie trainierte hier sieben Tage die Woche. Dann erzählte man ihr letzten Sommer im Jobcenter von dem neuen Gesetzesparagraphen 16i Sozialgesetzbuch II.

Würde ihre Chefin sagen, es wäre immer leicht, würde sie lügen. Sie wusste von Anfang an, was Violetta B. gut kann und was nicht so sehr. Den Schreibkram zum Beispiel. „Das ist aber in Ordnung“, sagt sie. „Dafür bereichert sie den Laden mit ihrer Leidenschaft.“

Eine Chefin, die sie schätzt. Eine Frau Bretfeld, die sie stärkt. Dass ihr so was mal passieren würde. Im Jobcenter habe nie jemand gefragt: Wie geht’s dir? Was ist denn da passiert? „Da ist es knallhart“, sagt Violetta B. „Das hat mich manchmal so wütend gemacht. Als eine Mutter von drei Kindern wegen Unstimmigkeiten ihr Geld gekürzt bekam, rastete sie aus. Raus! Hausverbot!

Womöglich ist Jana Bretfeld auch deswegen so einfühlsam, weil sie selbst mal ein halbes Jahr arbeitslos war. „Man geht an den Briefkasten und ist schon gestresst“, erzählt sie in ihrem Büro. Was die Behörde schreibt, ist kaum zu verstehen, aber klingt nach nichts Gutem. „Meinen Kunden sage ich: Diese Schreiben kriegt jeder. Nimm es nicht persönlich.“ Wenn es Probleme gibt, ruft Jana Bretfeld beim Vermittler an oder lässt sich zur Leistungsabteilung durchstellen. Der Ton ist dann anders.

Wie oft das Jobcenter Thema ihrer Gespräche ist: Die Behörde will regelmäßig Dokumente, Zwischenberichte, Entwicklungspläne haben. Die Klienten möchten wissen, was das Jobcenter schon wieder meint. Was sie falsch gemacht haben; fristgerecht erledigen müssen. Als wäre Jana Bretfeld auch eine Übersetzerin für jene Behörde, die sich eigentlich um Langzeitarbeitslose zu kümmern hat.

Die allermeisten Menschen wollen ein Teil der Gesellschaft sein. Eine Aufgabe haben. Davon ist Jana Bretfeld fest überzeugt. Jetzt muss sie aber los. Ihr Kalender mahnt: Termin mit einer Kundin in 45 Minuten im Betrieb. Da muss Jana Bretfeld pünktlich sein. So wie sie es erwartet.

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