zum Hauptinhalt
Gigantische Datensammlung. Blick in das Rechenzentrum von Ionos. Foto: Ionos/promo

© Ionos

Cloudpionier Ionos: Versteckter Champion

In Berlin hat eine Firma ihren Sitz, die zum größten Cloudanbieter Europas werden könnte: Ionos.

In diesem Jahr geht es beim europäischen Cloudinfrastrukturprojekt Gaia-X endlich in die Praxis. Das technische Gerüst wird gebaut und erste Angebote sollen dann tatsächlich auf den Markt kommen. Zudem haben eine Reihe an Projekten die Arbeit aufgenommen, allen voran Catena-X, die Datenplattform der Autobranche, aber auch die 16 Vorhaben aus dem Gaia-X-Förderwettbewerb. Insgesamt 175 Millionen Euro steckt das Bundeswirtschaftsministerium in diese Projekte.

An gleich sechs der 16 Vorhaben ist der Cloudanbieter Ionos beteiligt, zudem soll er noch in zwei weiteren Fällen als assoziierter Partner Infrastruktur zur Verfügung stellen. „Damit haben wir ehrlich gesagt selbst nicht wirklich gerechnet“, sagt Rainer Sträter, der die Cloudplattform von Ionos verantwortet. Die Telekom-Tochter T-Systems ist dagegen nur bei einem Projekt involviert.

Überraschend ist das auch deswegen, weil die Telekom von Anfang an einer der wichtigsten Unterstützer aus der Wirtschaft für das von dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angestoßene Projekt war. Ionos-Chef Achim Weiß war dagegen im Sommer 2019 noch skeptisch, was die Idee von Gaia-X anging. Und auch in der Politik hatte man den Clouddienst aus Montabaur zunächst nicht so sehr auf dem Schirm, der französische Cloudanbieter OVH spielte in den Überlegungen eine größere Rolle.

Pionier im deutschen Internet

Dabei gehört Weiß zu den Urgesteinen im deutschen Internetgeschäft. Mitte der Neunziger war er neben seinem Informatikstudium in Karlsruhe an der Gründung von Schlund & Partner beteiligt, einem der ersten deutschen Dienstleister für Domains und Webspace. Schnell wurde der Webhosting-Pionier vom Internetprovider 1&1 übernommen und so Teil des Konzerns United Internet. Weiß wurde daraufhin Technikchef von 1&1 und war am Aufbau des Videoportals Maxdome beteiligt.

Nach zehn Jahren stieg er dann 2009 aus und gründete mit Profitbricks sein eigenes Unternehmen. Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt zog nach Berlin, um aus einem Hinterhof in Prenzlauer Berg ins Cloud-Computing-Geschäft einzusteigen. Mit dabei war Andreas Gauger, der den Posten als Vorstandschef von 1&1 aufgab, um das Marketing zu leiten. Die Ziele waren ambitioniert. „Wir wollen doppelt so schnell sein wie Amazon und nur halb so teuer“, erklärte Gauger.

Allerdings brauchte die Entwicklung einiges an Zeit. Dabei war vor allem das Personal der limitierende Faktor, es dauerte einige Jahre, bis Profitbricks ein schlagkräftiges Team zusammen hatte. 2017 übernahm dann United Internet das Unternehmen, an dem der Konzern von Ralph Dommermuth zuvor schon beteiligt war. Neben dem klassischen Webhosting wollte United Internet so auch ins Cloud-Computing-Geschäft mit Unternehmenskunden einsteigen.

Seither ist Ionos weiter stark gewachsen. Die Zahl der Mitarbeiter in Berlin ist von 120 auf 300 gestiegen. Vom Hinterhof in der Greifswalder Straße ist das Unternehmen gerade in einen Neubau in der Revaler Straße nahe des S-Bahnhofs Ostkreuz gezogen. Ursprünglich war ein neuer Bürokomplex auf dem Gelände des Alten Schlachthofs an der Landsberger Allee angepeilt, wo im Frühjahr die Schwesterfirma Strato mit 600 Mitarbeitern einzieht. Doch für beide zusammen sind die dort verfügbaren Räume zu knapp.

Spagat zwischen den Sparten

Insgesamt hat Ionos 3900 Mitarbeiter und inzwischen etwa 100 000 Server in zehn Rechenzentren. Die Zahl der Kundenverträge liegt bei 8,5 Millionen. Ein Großteil davon dürfte allerdings vor allem seine Domains und Websites bei Ionos liegen haben. Dieser Spagat zeigt sich auch beim Internetauftritt des Unternehmens selbst, wo beide Sparten beworben werden.

Auf einer Unterseite beschreibt Ionos seine Vorteile als „europäische Cloud-Alternative“ und präsentiert sich als „Hidden Champion für Hidden Champions“. Auch gegenüber Marktführer und Konkurrent Amazon Web Services (AWS) ist man nicht zimperlich und weist darauf hin, dass Amazon „bekannt für moralisch fragwürdiges Geschäftsgebaren ist“, immer wieder durch unfaire Behandlung der Belegschaft auffiel und außerdem „aufgrund der engen Verflechtung von Amazon mit dem militärisch-industriellen Komplex“ für ethische Unternehmen eine Zusammenarbeit gegebenenfalls ohnehin nicht infrage komme. Neben dem Beitrag zu AWS-Alternativen werden andere, beliebte Artikel empfohlen. An erster Stelle: „Friseur-Website erstellen - wir zeigen Ihnen, wie Sie als Friseur rasch, einfach und kostengünstig zu einer professionellen Website kommen...“.

Doch trotz solcher Erblasten aus der Unternehmenshistorie als Webhoster hat Ionos im Cloudgeschäft einen ordentlichen Aufstieg hingelegt. Das US-Analystenhaus ISG hat in einer Ende vorigen Jahres erschienen Analyse Ionos erstmals neben AWS, Microsoft, Google und T-Systems im Quadranten der Marktführer einsortiert. Dabei bescheinigen die Analysten Ionos ein „umfangreiches, attraktives Portfolio mit hoher Compliance-Sicherheit und unschlagbarem Preis-Leistungs-Angebot“.

Ionos könnte zum wertvollsten europäischen Cloudkonzern aufsteigen

Gekrönt werden soll der Aufstieg durch einen Börsengang, an dem das Unternehmen seit einigen Monaten arbeitet. Ab dem Frühjahr sollen die Vorbereitungen abgeschlossen sein, ab dann soll der Börsengang zu einem passenden Zeitpunkt stattfinden – zumindest wenn es das Umfeld der derzeit sehr nervösen Märkte zulässt. Dabei könnte Ionos zum wertvollsten europäischen Cloudkonzern aufsteigen: Laut Marktschätzungen könnte der Firmenwert zwischen fünf und sechs Milliarden Euro liegen, berichteten „Handelsblatt“ und „Börse Online“. Der französische Anbieter OVH Cloud war bei seinem Börsendebüt im Herbst mit 3,5 Milliarden Euro bewertet worden, seither ist die Marktkapitalisierung auf 4,5 Milliarden Euro angestiegen.

Dabei hilft auch Gaia-X. „Zum ersten Mal wird auch wahrgenommen, dass es in Europa de facto Alternativen gibt zu den Hyperscalern“, sagt Sträter. Zudem werde die Wahrnehmung auf Aspekte wie Datenschutz und Souveränität gelenkt. „Das ist etwas, das Gaia-X in der Diskussion nach vorne gebracht hat, und wir profitieren unglaublich davon“, sagt Sträter.

Um den Aufmerksamkeitsschub zu nutzen, will Ionos sein Angebot weiterentwickeln, ein Fokus soll dabei auf dem europäischen Mittelstand liegen, ein anderer auf dem Bereich öffentlicher Sektor. Schon jetzt ist das Unternehmen in einigen großen Projekten aktiv, die HPI-Schulcloud läuft beispielsweise über Ionos-Server. Zudem arbeitet der Cloudanbieter intensiv mit dem öffentlichen IT-Dienstleister Dataport zusammen. Beide haben sich gemeinsam an der Ausschreibung für ein neues Bürgerservice-Portal eines Flächenbundeslandes beteiligt. Vor allem aber haben sie unter dem Projektnamen „Phoenix“ eine cloudbasierte Open-Source-Alternative zu Microsoft Office entwickelt. Mit der dPhoenixSuite soll insbesondere der öffentlichen Verwaltung ermöglicht werden, Dienste wie E-Mail, Videokonferenzen, Kalender oder Textverarbeitung unabhängig von Lizenzen internationaler Software-Konzerne zu nutzen.

Technologieschub durch Gaia-X?

Bei den Funktionalitäten können die Deutschen bei Weitem nicht mit den Hyperscalern mithalten. Um nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten, setzt Ionos auf Partner. So soll mit dem Datenanalysespezialisten Stackable ein Big-Data-as-aService-Angebot entwickelt werden. Ionos hatte im Vorjahr ein Viertel der Anteile von Stackable übernommen. In Kooperation mit Codecentric soll demnächst ein „Managed Gitlab“ angeboten werden, dabei handelt es sich um Tools für Softwareentwickler, die dort beispielsweise eine gemeinsame Versionsverwaltung für Softwareprojekte haben.

Weitere Neuerungen sollen auch im Rahmen der Gaia-X-Projekte entstehen. „Wir können dort sehr schnell und sehr gut lernen, was für Technologie für die nächste Generation an Cloudinfrastruktur eigentlich notwendig ist“, sagt Sträter. So ist Ionos im Rahmen des Gaia-X- Förderwettbewerbs an der Entwicklung von Datenräumen beteiligt: Beim Projekt Merlot im Bereich Bildung, Datenräume für den öffentlichen Sektor mit Possible, bei Health-X ein Gesundheitsdatenraum und Marispace ein maritimer Datenraum. Dabei geht es um den Austausch und das Teilen von Daten. „Viele Unternehmen wollen ihre Daten nicht kostenfrei in einen großen Topf packen“, sagt Sträter. Doch nun gebe es technische Lösungen, wie Federated Learning, bei denen KI-Modelle über verteilte Datentöpfe hinweg trainiert werden können.

Lange ließ sich Ionos-Chef Weiß vom 80-20-Prinzip leiten: 80 Prozent der Kunden benutzen nur 20 Prozent der möglichen Features. Daher sei es nicht so entscheidend, bei der Angebotsvielfalt mit den Hyperscalern mitzuhalten, sondern die entscheidenden Funktionen in vergleichbarer Qualität für einen besseren Preis zur Verfügung zu stellen. Doch auch das könnte sich ändern. „Ich glaube, dass Gaia-X als Ökosystem 120 Prozent liefern kann“, sagt Sträter. Er hofft, dass dort künftig kleinere Anbieter viele hochwertige Services bauen, „selbst hochwertiger, als die Hyperscaler es können“.

Zur Startseite