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In China hat der Börsencrash viele kleine Leute getroffen. Hier geht eine Händlerin in der Hong Konger Börse mit verbissener Mine entlang.

© Jerome Favre/dpa

Chinas Börsencrash: Die Verluste der kleinen Leute

Viel Geld haben chinesische Kleinanleger zuletzt an der chinesischen Börse verloren. Zocker, Profis und Rentner haben rund fünf Billionen Dollar verspielt. Schlimmer wiegt nur das verlorene Vertrauen in den Staat.

Herr Liu fährt einen gelben Maserati, isst am liebsten Biohühnchen und legt großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Ihm ist nicht anzusehen, dass er während der vergangenen zwei Monate 1,2 Millionen Yuan (umgerechnet 170 000 Euro) an den Börsen Chinas verloren hat. Liu erzählt nicht gern, was bei seinen Wetten schief gegangen ist, und es wissen nur wenige enge Freunde überhaupt, dass er so viel Geld verbrannt hat. Und zwar nicht nur sein eigenes. Der 39-Jährige ist Aktienbroker in Peking und hat vor allem das Geld von Kunden aber auch teils von Freunden und Bekannten, die auf seine Expertise vertraut hatten, verzockt.

80 Prozent der Städter besitzen Aktien

Damit ist er einer von vielen im Land: 90 Millionen Kleinanleger gibt es in China. 80 Prozent der chinesischen Städter besitzen Aktien. Der Leitindex an der Schanghaier Börse war zudem seit Juni vergangenen Jahres um rund 150 Prozent gestiegen. Viele Bürger wollten auch mitmischen und das schnelle Geld mit Aktien machen; 175 Millionen Depots gibt es mittlerweile im Land.
Der Aktienmarkt in China öffnete für Kleinanleger zwar schon 1990. Allerdings interessierte sich die Welt jahrelang nur wenig für das, was dort passierte – die chinesischen Börsen in Schanghai und Shenzhen spielten international schlichtweg keine Rolle. Erst durch die Finanzmarktreform unter Staats- und Parteichef Xi Jinping nahm der Boom an den chinesischen Aktienmärkten immer mehr an Fahrt auf.
Dass die Aktienmärkte sich überhitzt hatten, lag unter anderem auch daran, dass die Zinsen für Sparkonten in China auf null Prozent gefallen sind. „Es wäre dumm, das Geld auf der Bank liegen zu lassen“, sagt Frau Zhang. „Dort verliert es ja sowieso nur an Wert und erwirtschaftet nichts.“ Sie und ihr Mann sind vom Börsencrash verschont geblieben. Statt in Aktien zu investieren, haben sie eine Wohnung am Fünften Ring in Peking gekauft. Aber ihre Eltern besaßen Wertpapiere. „Mein Vater liebt das Wetten und vertreibt sich seine Zeit mit Aktien. Aber er ist schon im Mai raus und hat alles verkauft", erzählt die Büroangestellte.

Man spricht nicht über die Verluste – aus Scham

Den Absprung haben nicht alle rechtzeitig geschafft – mit unterschiedlichen Konsequenzen. Eine Unternehmerin beispielsweise, die ihre Firma verkauft hat und nun nur noch von ihren Investitionen an der Börse lebt, fliegt seit den Turbulenzen an den Märkten nicht mehr First sondern Business Class. Dann sind da die Zocker, die an einem Tag den Gegenwert von zwei BMW an die Börse bringen und sich verspekulieren. Und dann sind da Senioren, die auf das schnelle Glück gehofft haben und darauf vertrauten, dass der Staat sie nicht in Stich lassen werde. Einige haben ihr Erspartes komplett verloren. Doch sie setzen ihre Hoffnung nach wie vor auf den Staat.

Andere, die Geld an der Börse verloren haben, wollen aus Scham nicht darüber sprechen. Tatsächlich wurden in China mehrfach die Leitzinsen gesenkt, staatlich kontrollierte Fonds mussten für Milliarden Aktien zukaufen, um den Markt zu stabilisieren. Andere, die an der Börse verloren haben, wollen aus Scham nicht darüber sprechen. Zumindest nicht darüber, wie viel Geld verbrannt wurde. Denn das käme einem Gesichtsverlust gleich, sagt Frau Guo, Direktorin einer Kulturinstitution in Peking. In ihrem Bekanntenkreis sind viele vom Crash an Chinas Aktienmärkten betroffen. Sie haben zwar viel an der Börse eingebüßt, gänzlich ruiniert sind sie jedoch nicht. Weil die Chinesen unternehmerisch denken aber zugleich vorsichtig sind, hat kaum einer am Aktienmarkt Haus und Hof, sondern meistens nur einen Teil des Ersparten eingesetzt. Ganz auf Risiko geht keiner in China: In dem Land gibt es kein soziales Netz, dass die Menschen in einem solchen Fall auffangen würde. Laut Europäischer Handelskammer in Peking legen Chinesen nur 13 Prozent ihres Vermögens in Aktien an. In den USA ist es mehr als vier Mal so viel.

Acht Prozent Verlust am schwarzen Montag

In China hat der Börsencrash viele kleine Leute getroffen. Hier geht eine Händlerin in der Hong Konger Börse mit verbissener Mine entlang.
In China hat der Börsencrash viele kleine Leute getroffen. Hier geht eine Händlerin in der Hong Konger Börse mit verbissener Mine entlang.

© Jerome Favre/dpa

Seit Mitte Juni ist der chinesische Aktienmarkt um 40 Prozent eingebrochen. Und China hatte Ende August seinen schwarzen Montag erlebt, an dem allein der Leitindex in Shanghai um acht Prozent nach unten rauschte und daraufhin die Finanzmärkten rund um den Globus in Aufruhr versetzte. Bis Mitte August erreichte der Verlust der Börsen weltweit mehr als fünf Billionen Dollar, errechnete die US-Nachrichtenagentur Bloomberg vor kurzem.
Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass so viel Kapital in Chinas Aktienmärkte geflossen ist und welcher politische Wille steht dahinter? In China sind in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen in die Mittelschicht aufgestiegen – ein Grund für das wachsende Interesse an Aktien. Auch hat der Wirtschaftsboom Chinas 500 Millionen Bürger aus der Armut geholt. Doch nun muss ein neuer Plan her, denn seit mehr als einem Jahr wächst Chinas Wirtschaft nicht mehr so schnell und schon gar nicht zweistellig wie es fast 25 Jahre lang der Fall war. Staats- und Parteichef Xi Jinping und sein Premier Li Keqiang haben daher eine Phase der „Neuen Normalität“ ausgerufen. Chinas Wirtschaftsumbau soll vor allem die einstige Werkbank der Welt in eine Dienstleistungsgesellschaft verwandeln. Ein gewaltiges Vorhaben, das Wirtschaftsreformen und eine Deregulierung der Staatsbetriebe nötig macht. Peking will weg vom Fokus auf Wachstum, Export und Investitionen. Damit die Betriebe, die in einen freien Markt entlassen werden, auch in Zukunft Kapital für ihre Finanzierung finden können, muss deshalb noch viel mehr privates Kapital aktiviert werden.

Für den Einbruch der Kurse werden Sündenböcke hervorgezaubert

Aus der Ferne erinnert die ganze Angelegenheit ein bisschen an die Einführung der Telekom-Aktie in Deutschland, die mit dem Versprechen an Kleinanleger verbunden war, sich am kapitalistischen Traum beteiligen zu können. Allerdings liegt die Sparquote in China bei 50 Prozent; in Deutschland beläuft sie sich gerade einmal auf rund zehn Prozent. So war es denn auch das Ziel der Pekinger Politik, dieses brachliegende Kapital in den Aktienmarkt zu kanalisieren. Gerade der Mittelstand braucht dringend Geld für Investitionen.

Viel Überredungskunst durch die Regierung war nicht nötig. Mehr als 140 chinesische Unternehmen sind in diesem Jahr an die Börse gegangen, und gerade die schweren und verlustreichen Staatskonzerne sollen nun schlanker und effizienter gemacht werden. So plant Peking bis 2020 mehr als 100 Staatsunternehmen an die Börse zu bringen und dadurch die Finanzmarktreformen weiter anzuschieben.
Dieser Traum vom freien Markt ist aber vorerst gescheitert. Denn Peking leidet unter der schlimmsten Börsenkrise seiner Geschichte. Die Regierung musste den Markt mit zahlreichen Maßnahmen stabilisieren, um das Vertrauen der Anleger wieder zu gewinnen. Mehr als 200 Milliarden US-Dollar pumpte die Regierung dafür in den Aktienmarkt und verbot den Investoren teilweise sich von ihren Aktien zu trennen. In seiner Nervosität hat Peking auch noch schnell einen „schwarzen Peter“ für den Börsencrash hervorgezaubert: Ein Journalist und ein Beamter der Börsenaufsicht wurden an den Pranger gestellt. Und der Vizechef der chinesischen Börsenaufsicht CSRC, Zhang Yujun wurde verhaftet.

Statt der Immobilien in Peking sind auch Berliner Grundstücke im Angebot

Das alles hat bei den Menschen nicht für mehr Vertrauen in den Markt gesorgt. Das gleiche gilt für die Abwertung des Renmimbi um fast fünf Prozent, die die Märkte wieder in Aufruhr versetzte. So viel Marktprotektionismus wird es erschweren, die gesteckten Ziele für Wirtschaftsreformen zu erreichen und ist Wasser auf die Mühlen der kommunistischen Hardliner innerhalb der Partei. Auch deswegen schaffen immer mehr Chinesen ihr Geld ins Ausland und investieren es lieber dort. Frau Guo zum Beispiel hat sich nun statt in Peking eine Wohnung in Berlin gekauft. Man weiß ja nie.

Ning Wang

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