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Nicht alle Büros sind besetzt. Auch Sachbearbeiter im Finanzamt arbeiten im Homeoffice.

© picture alliance/dpa

Chef der Deutschen Steuergewerkschaft: „Es werden mehr Steuererklärungen durchgewunken“

„Wir sind derzeit zahnlose Tiger“, sagt Thomas Eigenthaler über die Arbeit der Finanzämter in Corona-Zeiten. Betrüger sollten sich aber nicht zu sicher fühlen.

Thomas Eigenthaler ist Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Er vertritt die rund 110.000 Beschäftigten in den 600 deutschen Finanzämtern.

Herr Eigenthaler, Deutschland arbeitet im Homeoffice, gilt das auch für die Finanzämter?
Ja, für einen Teil. Man braucht ja zu Hause die entsprechende Hard- und Software, die Daten müssen sicher sein. Es können nicht alle im Homeoffice arbeiten, aber einige schon. Betriebsprüfer tun das schon seit längerem.

In der Berliner Verwaltung scheint die mangelnde technische Ausstattung ein Problem zu sein. Viele Menschen können im Homeoffice nicht wirklich etwas erledigen, weil es an der sicheren Datenleitung fehlt. Wie kommt es, dass das bei den Finanzämtern anders ist?
Wichtig ist, dass die Daten sicher sind und dass das Steuergeheimnis gewahrt wird. Es kann nicht sein, dass Ihre Steuererklärung auf dem privaten Smartphone des Sachbearbeiters erledigt wird, und das passiert natürlich auch nicht. Die Finanzverwaltung ist zwar auch von der Corona-Entwicklung überrascht worden, aber es gab in den Ländern vorher schon Bemühungen, das Homeoffice zu forcieren.

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Wie weit ist die Technisierung: Wie viele Mitarbeiter der Finanzämter können im Homeoffice arbeiten?
Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Länder müssen ja Geld in die Hand nehmen, um die Infrastruktur zu schaffen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind verglichen mit anderen sehr weit. Die Coronazeit ist vielleicht eine ganz gute Testphase, um zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt. Wir haben ja 6000 unbesetzte Stellen in der Finanzverwaltung in Deutschland, vielleicht könnte man die fehlenden Mitarbeiter rekrutieren, wenn sie von zuhause aus arbeiten könnten.

Viele Steuerzahler nutzen die coronabedingte Auszeit oder die Feiertage, um ihre Einkommensteuererklärungen zu machen. Können sie auf schnelle Rückzahlungen hoffen oder dauert die Bearbeitung im Finanzamt dieses Jahr länger?
Das ist wie beim Arzt: Wer zuerst kommt, ist zuerst dran. Viele Arbeitnehmer machen ihre Steuererklärung freiwillig, weil sie auf eine Erstattung hoffen. Es kann aber sein, dass die Bearbeitung in diesem Jahr etwas länger dauert, weil die Finanzämter wegen der Coronakrise derzeit zahlreiche Zusatzaufgaben schultern müssen.

Thomas Eigenthaler ist Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Sie vertritt die Mitarbeiter in der Finanzverwaltung.
Thomas Eigenthaler ist Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Sie vertritt die Mitarbeiter in der Finanzverwaltung.

© promo

Werden in diesem Jahr mehr Steuererklärungen ungeprüft durchgewunken?
Es gibt natürlich keine ausdrücklichen Anweisungen dazu. Aber wenn der Arbeitsanfall riesig ist, muss man die Ampel schon mal auf „grün“ schalten. Das wird auch jetzt passieren. Wir können ja nicht in den nächsten zehn Jahren eine Bugwelle von Arbeit vor uns herschieben. Die Anträge der Arbeitnehmer, die nicht verpflichtet sind, eine Steuererklärung abzugeben, sind allerdings meistens unkompliziert. Die kann man auch gut vollautomatisch erledigen. Die Finanzverwaltung strebt ja ohnehin an, in den nächsten Jahren bis zu 50 Prozent der Steuererklärungen vollautomatisch, also vom Computer bearbeiten zu lassen. Corona könnte auch hier einen Schub bringen.

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Kann die Coronakrise dazu führen, dass alle Steuerzahler gezwungen werden, ihre Steuererklärung elektronisch zu machen?
Rund 70 Prozent der Steuererklärungen werden ja schon elektronisch eingereicht, aber es wird immer Menschen geben, die lieber die Papierformulare ausfüllen oder es gar nicht anders können. Freiwilligkeit ist schon der richtige Weg. Andere Behörden wären froh, wenn sie unseren Digitalisierungsgrad hätten.

Papierkram. Wer seine Steuererklärung analog macht, wird in diesem Jahr mit zahlreichen neuen Vordrucken konfrontiert.
Papierkram. Wer seine Steuererklärung analog macht, wird in diesem Jahr mit zahlreichen neuen Vordrucken konfrontiert.

© Heike Jahberg

Sollte man in diesem Jahr die Frist für die Abgabe der Einkommensteuerklärung verschieben und auf Verspätungszuschläge verzichten, wenn jemand nicht pünktlich liefert?
Nein. Wer eine Einkommensteuererklärung abgeben muss, hat dafür ja bis zum 31. Juli Zeit. Wenn Sie einen Steuerberater oder einen Lohnsteuerhilfeverein einschalten, sogar bis Ende Februar 2021. Warten wir mal ab. Ich bin sicher, dass die Finanzämter völlig unbürokratisch die Abgabefrist verlängern, wenn jemand im Juli anruft und sagt, dass er die Frist nicht einhalten kann. Für eine allgemeine Fristverlängerung gibt es aber keinen Anlass. Auch bei Verspätungszuschlägen wird der Fiskus großzügiger sein als in Normalzeiten.

Viele Menschen arbeiten zu Hause am Küchen- oder Wohnzimmertisch. Eigentlich gilt so etwas steuerlich gesehen nicht als Arbeitszimmer. Sollten die Finanzämter hier bei Abzugsmöglichkeiten großzügig sein und eine Ausnahme machen?
Man könnte natürlich jedem, der zu Hause arbeiten muss, eine Pauschale von, sagen wir mal, 100 Euro im Monat geben für das Arbeitszimmer. Ausnahmsweise. Aber viele Arbeitnehmer werden sich nicht ins eigene Fleisch schneiden wollen, weil sie ja dann für die Zeit des Homeoffices nicht mehr die Entfernungspauschale absetzen können. Man kann ja nicht beides haben. Wer mehr als 16 Kilometer Arbeitsweg hat, ist mit der Kilometerpauschale besser bedient als mit der Arbeitszimmerpauschale.

Homeoffice: Kann man die Arbeitsecke im nächsten Jahr als Arbeitszimmer von der Steuer absetzen?
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© dpa

Die Finanzämter werden derzeit mit Anträgen von Unternehmern überschüttet, Steuervorauszahlungen herunterzusetzen und Steuern zu stunden. Wie schnell sind die Behörden in ihrer Eigenschaft als Krisenhelfer?
Die Finanzämter sind schnell. Sie fischen nur die Fälle heraus, die unberechtigt auf der Coronawelle reiten, also Unternehmen, die gar nicht durch Corona in Schwierigkeiten geraten sind. Die Herabsetzung von Vorauszahlungen oder Steuerstundungen zugunsten der Betriebe waren früher Nebenaufgaben der Finanzämter, jetzt machen sie einen Großteil der Arbeit aus. Wir haben viele Fälle, in denen Firmen Steuern nachzahlen müssten, weil sie in den Vorjahren gut verdient haben, aber das jetzt mangels Liquidität nicht können. Das erklärt die hohe Zahl von Stundungsanträgen.

Die Anträge werden wahrscheinlich in der Regel genehmigt, oder?
Ja. Und in aller Regel auch zinslos, das ist ein Entgegenkommen. Normalerweise nimmt das Finanzamt ja sechs Prozent Zinsen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Unternehmer dürfen aber nicht aus den Augen verlieren, dass die Steuern nur gestundet, also aufgeschoben sind. Sie müssen zahlen, aber eben später.

Wie finden die Finanzämter heraus, ob Unternehmen zu Unrecht Hilfe in Anspruch genommen haben?
Für die Soforthilfen sind die Finanzämter ja nicht zuständig. Das läuft über die Landesregierungen, über Banken oder über Industrie- und Handelskammern. Geprüft wird da derzeit nicht viel. Aber es muss und es wird eine Schlussabrechnung geben. Die zuständigen Stellen müssen ja kontrollieren, ob die Hilfen zu Recht gezahlt worden sind. Außerdem müssen die Finanzhilfen versteuert werden. Das heißt, sie tauchen bei der Steuererklärung für 2020 auf.

Soforthilfen für Berliner Unternehmen: Geprüft wurde kaum.
Soforthilfen für Berliner Unternehmen: Geprüft wurde kaum.

© dpa

Das heißt: Spätestens im nächsten Jahr fliegen diejenigen auf, die Soforthilfen zu Unrecht kassiert haben?
Die Finanzämter werden sicherlich keine flächendeckende Überprüfung vornehmen können, wir sind ja nicht die auszahlenden Stellen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es in Einzelfällen einen Informationsaustausch zwischen dem Finanzamt und der Auszahlungsstelle gibt, die wissen will, wie die Steuererklärung für 2020 aussieht. Wenn in der Steuererklärung ein Umsatz- und Gewinnplus stehen, könnte das ja dafür sprechen, dass die Soforthilfe vielleicht doch nicht nötig gewesen wäre. Gleiches gilt für die Firmen, die eigentlich schon vor Corona am Ende waren und vor der Insolvenz standen. Auch die hätten keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Ist das Geld zu schnell ausgezahlt worden?
Liquiditätshilfen müssen schnell gezahlt werden, aber ob das innerhalb von Stunden geschehen muss, kann man bezweifeln. Die Finanzämter verfügen natürlich über die Steuerunterlagen der vergangenen Jahre und hätten die Anträge intensiver prüfen können, allerdings wäre das nicht so schnell und unbürokratisch gegangen. Umso wichtiger ist es aber, dass eine Überprüfung im Nachhinein stattfindet - in Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden.

Betrug mit Staatshilfen? Die Finanzämter werden Informationen mit anderen Behörden austauschen.
Betrug mit Staatshilfen? Die Finanzämter werden Informationen mit anderen Behörden austauschen.

© dpa

Steuerhinterzieher gehören zu den Profiteuren der Krise. Mit Razzien der Steuerfahnder müssen sie derzeit nicht rechnen.
Wir sind im Moment so etwas wie zahnlose Tiger. Wir tun im Moment sehr viel, um keine Steuern einzunehmen. Wir stunden, wir erlassen, wir gehen nicht raus, viele Kollegen finden das gar nicht gut. Aber ich tröste sie und sage: Das ist nur vorübergehend. Außerdem kann man ja jetzt schon mal Akten lesen und Informationen beschaffen, um dann bald wieder zuschlagen zu können.

Der Staat wird in diesem Jahr weniger Steuern einnehmen als sonst, weil Unternehmen, aber auch viele Arbeitnehmer wegen der Krise und der Kurzarbeit weniger Einnahmen haben. Werden die Finanzämter deshalb im nächsten Jahr bei den Steuererklärungen genauer hinschauen?
Wo nichts zu holen ist, da ist nichts zu holen. Die meisten Steuerzahler sind ja ehrlich. Aber wir haben etwas gegen Trickser und Steuerhinterzieher. Ich rufe allen zu, die glauben, sie könnten die Krise für Trickserien und Schummeleien ausnutzen: Das lassen wir nicht zu.

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