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Die freiwilige Corona-App mit der Webseite des Robert Koch Instituts dahinter.

© imago images/Future Image

Chaos bei der technischen Umsetzung: Warum noch Monate vergehen werden, bis die Corona-App kommt

Die Bundesregierung hat bei der Corona-App die Reißleine gezogen. Experten begrüßen den Schritt. Doch der Start verzögert sich damit deutlich.

Schon am Dienstag könnten Apple und Google Entwicklern ihre Schnittstelle zur Programmierung von Corona-Warn-Apps zur Verfügung stellen. Dies hatte Apple-Chef Tim Cook in einem Gespräch mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Aussicht gestellt. Zudem hatten beide Unternehmen bereits am Freitag einige Anpassungen und weitere Details zu ihrer Technologie vorgestellt.

Ein Kernpunkt des Konzepts von Apple und Google ist, dass die Feststellung, ob man sich in der Nähe eines infizierten Nutzers aufhielt, ausschließlich auf den Smartphones erfolgen soll. Sie laden sich dafür mindestens einmal am Tag Listen von Krypto-Schlüsseln herunter, die infizierten Personen gehören. Dabei bleibt deren Identität für Apple, Google und die anderen App-Nutzer unbekannt.

Dagegen hatte die Bundesregierung lange an einem Konzept festgehalten, bei dem der Abgleich über einen zentralen staatlichen Server erfolgen sollte. Sie hatte sich davon bessere Möglichkeiten bei der Bewertung der Ausbreitung der Pandemie, beispielsweise durch epidemiologische Berechnungen erhofft.

Warum es Kritik am ursprünglichen Ansatz gab

Doch die Kritik an diesem Ansatz war immer weiter angewachsen. Nachdem zunächst 300 Wissenschaftler für einen dezentralen Ansatz plädiert hatten, warnten zuletzt der Chaos Computer Club e. V. (CCC) und weitere Digitalinitiativen wie D64, die Gesellschaft für Informatik (GI) und die Stiftung Datenschutz in einem gemeinsamen offenen Brief an Kanzleramtschef Helge Braun, die geplante zentrale Lösung des Konsortiums PEPP-PT sei „höchst problematisch“. Auch das Bundesinnenministerium hielt nach einem „Spiegel“-Bericht die dezentrale Lösung für sicherer.

Zudem war bis zuletzt unklar, inwieweit die PEPP-PT-App technisch überhaupt umsetzbar gewesen wäre. Vor allem auf iPhones lässt sich die Bluetooth-Funktion für solche Apps zur Abstandsmessung im Hintergrund nicht nutzen. Dadurch haben auch schon bestehende Apps wie in Österreich oder Singapur Probleme.

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Ob die neuen gemeinsamen Schnittstellen von Apple und Google daran etwas geändert hätten und auch bei den zentralen App-Ansätzen nutzbar wären, blieb bis zuletzt offen. Auf entsprechende Nachfragen reagierten die Unternehmen ausweichend. Allerdings interpretierten Beobachter die gerade vorgestellten Verstärkung der Verschlüsselungs- und Datenschutzmechanismen so, dass es diesbezüglich keine Kompromisse geben würde.

Warum die Bundesregierung die Reißleine gezogen hat

Das Kanzleramt hatte versucht, Druck auf die Konzerne auszuüben. „Man müsse die App leider komplett einstampfen, wenn sich Apple verweigert“, hatte ein Regierungsvertreter am Mittwoch im Digitalausschuss erklärt. Genau das ist nun offenbar passiert: Apple hatte nach Angaben aus Regierungskreisen in Gesprächen die nötige Öffnung der Schnittstelle in seinem Betriebssystem verweigert, berichtet Reuters.

„Nach der Kritik aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft wäre die PEPP-PT-App eine Totgeburt gewesen“, sagt Henning Tillmann, Co-Vorsitzender des Digitalvereins D64. Nun hat auch die Regierung erkannt, dass sie dabei war, den nötigen Vertrauensvorschuss zu verspielen.

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„Die Nutzung der App durch möglichst große Teile der Bevölkerung ist die Grundlage ihres Erfolges“, erklärten Kanzleramtsminister Helge Braun und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Sonntag. Dafür müsse sie in der Bevölkerung sowie der Zivilgesellschaft eine breite Akzeptanz finden.

„Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Bundesregierung auf eine dezentrale Softwarearchitektur, die die in Kürze zur Verfügung stehenden Programmierschnittstellen der wesentlichen Anbieter von mobilen Betriebssystemen nutzt“, teilten Braun und Spahn mit. Dabei soll auch die Möglichkeit integriert werden, dass Bürger freiwillig in pseudonymisierter Form zusätzliche Daten zur epidemiologischen Forschung an das Robert-Koch-Institut übermitteln können.

Warum noch unklar ist, wer die dezentrale App entwickelt

Noch unklar ist, wer die neue dezentrale App nun federführend entwickelt. Bislang hatten das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin (HHI) als Teil der Initiative PEPP-PT die Entwicklung des zentralen Systems in Deutschland vorangetrieben. „Andere werden unsere bisherigen Ergebnisse nutzen können, um die dezentrale Lösung zu bauen“, hieß es in einer E-Mail an Mitarbeiter, aus der das „ARD-Hauptstadtstudio“ zitierte.

Dort heißt es auch, es seien „bei PEPP-PT eine Reihe von gravierenden Fehlern hinsichtlich der Kommunikation begangen“.

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Die Fraunhofer-Gesellschaft stelle ihre Entwicklungen nun zur Verfügung, die Komponenten sollen insbesondere die freiwillige begleitende Datenbereitstellung zur direkten Erforschung der Pandemie ermöglichen. „Die Umsetzung einer ganzheitlichen Lösung verfolgen wir im Schulterschluss und in fortlaufendem Austausch mit dem Bundeskanzleramt, dem Bundesgesundheitsministerium, dem RKI, der Helmholtz-Gemeinschaft sowie Partnern aus der Kommunikationsindustrie, darunter die Deutsche Telekom und SAP“, sagte Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer.

Warum das Startdatum für die Corona-App völlig offen ist

Politiker verschiedener Parteien begrüßten, dass die Regierung nun das dezentrale Modell unterstützt. „Das Projektmanagement der Bundesregierung bei der Corona-App ist eine absolute Katastrophe“, kritisierte FDP-Politiker Manuel Höferlin jedoch. „Das erneute Umschwenken vom zentralen zum dezentralen Modell kostet weitere wertvolle Zeit.“

Soldaten testen eine COVID19-Tracking App in der Julius-Leber-Kaserne.|
Soldaten testen eine COVID19-Tracking App in der Julius-Leber-Kaserne.|

© Torsten Kraatz/Bundeswehr/dpa

Wann die App dann letztlich von jedermann installiert werden kann ist offen. Ziel sei es, dass die Tracing-App „sehr bald einsatzbereit ist“, erklärten Spahn und Braun. Spahn mahnte Sonntagabend in den ARD-„Tagesthemen“ aber zu Geduld.

Auf ein konkretes Datum wollte er sich nicht festlegen und sagte, dass Digitalprojekte meistens „ein, zwei, drei Wochen länger dauern“. Die App werde nun sehr zügig aber auch sehr gründlich entwickelt. Als Zeitrahmen nannte er dabei die „nächsten Wochen“.

„Wenn alles gut läuft, ist die App in einem Monat da, realistischer sind wahrscheinlich zwei Monate“, sagt wiederum D64-Experte Tillmann.

Denn es gibt immer noch eine Reihe technischer Fragen zu lösen. Kernproblem ist dabei, dass die Bluetooth-Funktechnik nicht dafür gemacht ist, Abstände zu messen, was sich auch in Singapur zeigte, wo die Technologie schon im Einsatz ist.

Zudem müssen Nutzer teilweise ihre Smartphone-Betriebssysteme aktualisieren, um die App zu nutzen. Gerade bei Android sind entsprechende Updates jedoch je nach Anbieter nur mit Verzögerung verfügbar. Apple will die Schnittstellen zunächst für alle iPhones verfügbar machen, die mit der Betriebssystem-Version iOS 13 laufen, bei Google ist es Android 6.

„Bis die App dann in der Breite bei den Menschen angekommen ist, vergehen Monate“, sagt Tillmann und warnt daher auch vor überzogenen Erwartungen, die teils aus der Politik aber auch von Virologen wie Christian Drosten, in solch eine technische Lösung gesetzt werden. Denn nach Schätzungen müssten etwa 60 Prozent der Menschen die App nutzen, um damit effektiv Infektionsketten aufzuspüren. Tillmann glaubt daher, dass man frühestens im Spätsommer beurteilen könne, ob die App überhaupt etwas bringt. 

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