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Carmen Reinhart lehrt seit acht Jahren in Harvard.

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Carmen Reinhart wird Chefökonomin: Die Weltbank bekommt eine Krisenmanagerin

An diesem Montag tritt Carmen Reinhart als Chefökonomin bei der Weltbank an. Sie hat Wirtschaftskrisen und die Folgen steigender Staatsschulden erforscht.

Von Carla Neuhaus

Mit Wirtschaftskrisen kennt Carmen Reinhart sich aus. Jahrelang hat sich die 64-jährige Harvard-Professorin mit der Frage befasst, wie sie entstehen und welche Folgen sie haben. Anfang 2008 war sie eine der wenigen Ökonomen, die vor einer Finanzkrise gewarnt haben. Als es zu der dann tatsächlich kam, schrieb sie mit ihrem Kollegen Kenneth Rogoff das Buch „Diesmal ist alles anders“, das zum internationalen Bestseller wurde. Krisen aus acht Jahrhunderten haben die beiden dafür analysiert. Jetzt reiht sich in Reinharts Sammlung mit der Coronakrise eine weitere ein. Sie zu untersuchen ist Teil ihres neuen Jobs, den sie an diesem Montag antritt: Reinhart ist die neue Chefvolkswirtin der Weltbank.

Die Amerikanerin übernimmt damit einen der renommiertesten Posten für Ökonomen weltweit. Vor ihr hatten den Penny Goldberg und Paul Romer inne, die es allerdings beide keine 15 Monate im Amt hielt. Von internen Streitigkeiten ist die Rede, von sehr selbstbewussten Weltbank-Ökonomen, die sich von keinem Chef gerne reinreden lassen. Mit Reinhart ist es der Weltbank dennoch gelungen, erneut eine hochkarätige Ökonomin für den Posten zu gewinnen. Sie war Chefökonomin bei der früheren US-Investmentbank Bear Stearns, hat beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gearbeitet und lehrt seit acht Jahren in Harvard.

Über die Coronakrise sagt Reinhart, dass diesmal wirklich alles anders sei. Noch nie hätten Staaten mit einem weltweiten Shutdown auf eine Pandemie reagiert. Auch die Geschwindigkeit, mit der die Wirtschaft rund um den Globus eingebrochen ist, sei einmalig. Mit der Frage, welche Folgen das hat, wird Reinhart sich auch bei der Weltbank beschäftigen müssen. Die Institution mit Sitz in Washington vergibt Hilfskredite an Entwicklungs- und Schwellenländer. Und die leiden besonders unter der Coronakrise. Nicht nur haben sie ein schwächeres Gesundheitssystem als die Industriestaaten. Investoren haben gerade aus diesen Ländern zuletzt auch hohe Summen abgezogen. Reinhart hat sich deshalb frühzeitig für ein Schuldenmoratorium für die ärmsten Länder stark gemacht, auf das sich die G20-Staaten Mitte April schließlich verständigt haben.

Auch steigende Staatsschulden sind ihr Thema

Aufgrund ihrer Vorerfahrung halten viele Reinhart für die Richtige für diesen Job. „Großartige Wahl“, schreibt IWF-Chefin Kristalina Georgiewa auf Twitter, „vor allem in dieser Zeit der Krise, etwas, wovon Carmen viel versteht“. Zumal sich Reinhart nicht nur mit Wirtschafts- und Finanzkrisen eingehend beschäftigt hat, sondern auch mit deren Nebeneffekt: der steigenden Staatsverschuldung. Ein Thema, das sie seit ihrer Zeit bei Bear Stearns nicht loslässt. Reinhart arbeitete dort erst ein halbes Jahr, als Mexiko 1982 pleiteging. Bei der damaligen Investmentbank erlebte sie mit, was für einen Dominoeffekt die Pleite eines Landes auslöst und was das für Banken bedeutet.

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist einer der bekannten Vorgänger auf dem Posten des Chefökonomen der Weltbank.
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist einer der bekannten Vorgänger auf dem Posten des Chefökonomen der Weltbank.

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Welche Folgen Wirtschaftsumbrüche für ein Land und seine Menschen haben, hat Reinhart derweil schon sehr viel früher erfahren. Geboren wurde sie 1955 auf Kuba. Als sie zehn Jahre alt war, flohen ihre Eltern mit ihr in die USA. Ihr Vater, der in der Heimat Buchhalter gewesen war, arbeitet in den USA als Tischler. Englisch musste Reinhart erst lernen, verlor noch dazu ein Schuljahr, weil sie kurz nach der Ankunft in den USA rheumatisches Fieber bekam. Trotzdem gelang es ihr, aufzuholen und aufs College zu gehen. Als typisch amerikanische Einwanderergeschichte bezeichnet Reinhart selbst ihre Erfahrungen.

Überschattet wird ihre Karriere von einem Rechenfehler

Ökonomin ist sie dabei nur durch Zufall geworden. Auf dem College träumte sie noch von einer Karriere als Modedesignerin. Für das Fach „Modemarketing“ war aber auch ein Grundkurs in Ökonomie Pflicht. Weil ihr der gefiel, belegte sie weitere Kurse in Wirtschaftswissenschaften und promovierte schließlich bei dem späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell.

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Überschattet wird ihre jüngste Karriere allerdings von einem Rechenfehler, der ihr gemeinsam mit Kenneth Rogoff vor zehn Jahren unterlief. In einem wissenschaftlichen Aufsatz hatten sie aufgezeigt, dass die Wirtschaft in einem Land sehr viel langsamer wächst, wenn die Staatsverschuldung auf über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigt.

Reinhart und Rogoff erhielten dafür international Aufmerksamkeit und beeinflussten damit zum Beispiel auch die Debatte um die Griechenlandrettung. Drei Jahre später rechnete dann aber ein US-Student nach und deckte einen Programmierfehler in der Excel-Datei auf, die die beiden verwendet hatten. Reinhart und Rogoff mussten sich daraufhin entschuldigen, betonten jedoch, dass das an der grundsätzlichen Aussage ihrer Arbeit wenig ändere. Ihrem Ansehen aber hat es geschadet.

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