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Schieflage bei vielen Versicherern.

© dpa

Bundestag beschließt Reform: Wie die Lebensversicherung überleben soll

Die niedrigen Zinsen machen den Lebensversicherern zu schaffen. Ein neues Gesetz soll ihnen unter die Arme greifen. Kunden und Aktionären drohen Einbußen.

Es ist viel von Gerechtigkeit die Rede an diesem Freitag. Gerade hat der Bundestag – erwartungsgemäß – die größte Reform der Lebensversicherung seit langem beschlossen, da meldet sich die Versicherungswirtschaft zu Wort. „Das Gesetz ist verantwortungsvoll und gerecht im Sinne der Kunden“, lobt der Versicherungsverband GDV. Und auch der Bundesrat dürfte dem Vorhaben keine Steine in den Weg legen. „Eine Änderung an den Regeln der Lebensversicherung war unvermeidlich“, sagte Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) dem Tagesspiegel . „Alles in allem ist das ein Ergebnis, das den veränderten Rahmenbedingungen gerecht wird und insgesamt gerecht ist.“

Der Garantiezins sinkt

Die Länderkammer wird das Gesetz am kommenden Freitag durchwinken. Damit kann das Projekt wie von der Regierung geplant bereits Ende Juli, Anfang August in Kraft treten. „Wichtig ist, dass die Regelung nicht nur eine Verteilungsfrage zwischen denen ist, deren Lebensversicherung jetzt ausläuft und denen, die erst später ausbezahlt werden“, sagte der Minister. „Auch die Versicherer leisten einen erkennbaren Beitrag.“
Die Zeiten sind hart für Lebensversicherer und ihre Kunden. Wegen der niedrigen Zinsen für sichere Staatsanleihen fällt es den Versicherern immer schwerer, die Gelder ihrer Kunden so anzulegen, dass sie die zugesagten Renditen erwirtschaften. Die Bundesbank hatte daher gewarnt, dass im Jahr 2023 32 der 85 deutschen Lebensversicherer ihre gesetzlichen Eigenkapital-Vorschriften nicht mehr erfüllen könnten. Nach der Reform sieht die Bundesbank jetzt nur noch bei 13 Unternehmen mögliche Probleme in der Zukunft. Um die Branche zu stabilisieren, müssen Versicherer, Kunden und Aktionäre jedoch einige Kröten schlucken. Kunden, die ab dem 1. Januar 2015 eine neue Lebensversicherung abschließen, erhalten nicht mehr den Garantiezins von 1,75 Prozent, sondern nur noch 1,25 Prozent. Dieser Zins ist für die gesamte Laufzeit des Vertrags garantiert.

Kürzungen bei den Bewertungsreserven

Mit Einbußen müssen aber auch die Verbraucher rechnen, deren Verträge auslaufen. Bei Finanzierungsschwierigkeiten des Versicherers müssen sie künftig auf einen Teil ihrer Ausschüttung verzichten. Das Problem: Rund 740 Milliarden Euro legen die Lebensversicherer für ihre Kunden an, 80 Prozent davon in festverzinslichen Wertpapieren. Früher haben die Versicherer auch für diese sicheren Anlagen hohe Zinsen bekommen, heute liegt die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere bei 1,1 Prozent. Das führt dazu, dass der Kurs der alten, höherverzinsten Wertpapiere steigt. An diesen Kursgewinnen, den so genannten Bewertungsreserven, mussten die Versicherer Kunden, deren Vertrag ausläuft, bislang zur Hälfte beteiligen. Nach Angaben der Versicherungswirtschaft haben die Unternehmen im vergangenen Jahr so monatlich 300 Millionen Euro ausgeschüttet – Geld, das den Versicherten fehlt, deren Policen weiterlaufen. Künftig gilt: Kann ein Versicherer seine Garantien nicht mehr in vollem Umfang bedienen, wird die Ausschüttung der Bewertungsreserven bei festverzinslichen Wertpapieren gekürzt, bei Aktien und Immobilien bleibt es dagegen bei der hälftigen Beteiligung. Die Kürzungen bei den Bewertungsreserven der festverzinslichen Papiere können jedoch beträchtliche Ausmaße erreichen. „Das kann durchaus zehn Prozent der Leistung ausmachen“, warnt Axel Kleinlein, Chef des Bundes der Versicherten. Bei einer Auszahlungssumme von 50 000 Euro könnten Kunden 5000 Euro weniger ausgezahlt bekommen.

Aktionäre bei Laune halten

In einem solchen Fall würden aber nicht nur die Versicherungskunden leiden, sondern auch die Aktionäre. Denn das neue Gesetz sieht vor, dass deren Dividenden in demselben Verhältnis gekürzt werden wie die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven. Lars Gatschke, Versicherungsexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, hält diese Regelung für einen wirksamen Schutz zugunsten der Kunden. „Die Unternehmen werden ihr Möglichstes tun, die Aktionäre bei Laune zu halten“, sagte der Verbraucherschützer dem Tagesspiegel. Es habe akuten Handlungsbedarf gegeben, räumt auch Gatschke ein. Die am Freitag beschlossene Reform sei aber nicht das Ende der Fahnenstange. „Der Gesetzgeber muss sich das Thema mittelfristig noch einmal vornehmen und verbraucherfreundlicher ausgestalten“, fordert der Versicherungsexperte.

Das gilt etwa für die Angabe der Provisionen an die Versicherungsvertreter. Eigentlich hatte der Gesetzgeber die Versicherer zwingen wollen, dem Kunden in Euro und Cent mitzuteilen, was der Vertreter für den Abschluss der Versicherung bekommt. Nach Interventionen des Versicherungsverbands, der Vertreter und der Gewerkschaft Verdi ist das vom Tisch. Nun sollen die Kunden nur noch eine Kennzahl genannt bekommen, die ihnen in Prozent Aufschluss darüber gibt, wie stark die Rendite durch die Abschlusskosten geschmälert wird. Zufrieden sind die Versicherer aber auch damit nicht. Sie klagen über den Zeitdruck für die Umsetzung. Neuer Garantiezins, die Rendite-Kennziffer – „all das in nicht einmal sechs Monaten“, kritisiert der GDV.

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