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Funktioniert. In dem 007-Film „Golden Eye“ überprüfen James Bond (Pierce Brosnan, rechts) und Q (Desmond Llewelyn) die Feuerkraft eines angeblichen Gipsbeins. Derartige Übungen wird es vermutlich beim BND nicht geben.

© imago

Bundesnachrichtendienst: Wie der BND die Agenten von morgen ausbildet

In Berlin ist Deutschlands geheimster Studiengang eröffnet worden: „Intelligence and Security Studies“ beim BND. Bewerben darf sich nicht jeder.

Nein, Luisa Wegener besitzt keinen Kugelschreiber, der sich per Knopfdruck in eine Rakete verwandelt lässt, und auch sonst entspricht die 29-Jährige mit Jeans, Jacket und dem langen braunen Zopf nicht dem glamourösen Klischee, das James Bond geprägt hat. Dabei ist Wegener genau wie er: ein Agent.

Seit zehn Jahren arbeitet sie beim Bundesnachrichtendienst (BND), sie hat Analysen im Bereich islamistischer Terrorismus geschrieben, als Spionin im Ausland gearbeitet und war auch in einer Stabsstelle in der BND-Zentrale eingesetzt – nun gehört sie zu den ersten Studierenden von Deutschlands geheimstem Masterstudiengang: „Intelligence and Security Studies“ (MISS) nennt sich das neue Projekt, auf Deutsch: „Geheimdienst- und Sicherheitsstudien“. Zwei Jahre werden mit dem Programm die künftigen Führungskräfte der Nachrichtendienste ausgebildet, jeweils 50 pro Jahrgang.

Am Mittwoch wurde der Studiengang, der ein Gemeinschaftsprojekt der Hochschule des Bundes und der Bundeswehr-Universität München ist, offiziell in der Berliner BND-Zentrale an der Chausseestraße eröffnet.

Vier Jahre hat es gedauert, das Programm aufzusetzen

„Längst überfällig“, sei das Programm, sagte BND-Chef Bruno Kahl. Theorie und Nachrichtenpraxis würden nun so verknüpft, dass der „wichtigste Ausbildungshub der deutschen Geheimdienst-Gemeinschaft“ entstehe.

Tatsächlich dürfte mit dem Studiengang auch die Hoffnung verbunden sein, dass die Dienste im Sinne eines solchen Community-Gedankens künftig mehr miteinander statt nebeneinander agieren. Wie groß die Herausforderung ist, zeigt jedoch alleine schon die Zeit, die für den Aufbau gebraucht wurde: Vier Jahre lang hat das Kanzleramt an dem Programm getüftelt.

Es ist auch eine Konsequenz aus den Skandalen, die es damals etwa beim BND gegeben hat. Zum Beispiel den recht laxen Umgang mit der Überwachung elektronischer Kommunikation und weltweiter Datenströme. Auch Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) betonte deshalb, dass es für ein solches Projekt „höchste Zeit“ gewesen sei. Er verspreche sich von dem Studiengang einen „zentralen Beitrag zur Professionalisierung unserer Nachrichtendienste“. Die Anforderungen seien riesig angesichts einer Welt, „die immer komplizierter und undurchsichtiger wird“.

Neben Experten in den jeweiligen Fächern wie Biologen, Physikern und Informatikern, seien bei den Geheimdiensten deshalb auch Generalisten gefragt, die die verschiedenen Disziplinen zusammendenken könnten und die nun im MISS ausgebildet werden sollen. Geleistet werden müsse der Spagat zwischen dem Aufklärungsinteresse und den dafür vorhandenen Kompetenzen und Rechten.

Es geht auch um die Beschaffung von sensiblen Daten

Um genau diesen Spagat leisten zu können, bringe der Masterstudiengang nun das zusammen, „was noch gefehlt hat“, sagte Wegener am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung. Sie erhoffe sich, eine Art Werkzeugkasten für ihre tägliche Arbeit zu bekommen, dabei gehe es nicht nur um rechtliche Fragen, sondern auch Themen wie die Beschaffung und Auswertung von sensiblen Daten.

Auf praktische Anwendungen der Spionage wird auch im Hauptteil des Studiums Wert gelegt. So gibt es etwa ein voll eingerichtetes Studio, in dem die Studierenden üben können, wie sie richtig und einfühlsam mit menschlichen Quellen umgehen. Fingerspitzengefühl und psychologisches Wissen sind gefragt, wenn sie später in der Realität mit solchen Informanten konfrontiert sind. Drei Kameras nehmen die Gesprächssituation auf, später kann mit den angehenden Master- Spionen besprochen werden, was sie hätten besser machen können.

Hunderte von Bewerbungen hatte es gegeben, als die Einrichtung des Masterprogramms bekannt wurde, heißt es von der Bundeswehr-Uni. Doch zugelassen sind nur Mitarbeiter der Geheimdienste oder Bundeswehrsoldaten, die vor allem im militärischen Nachrichtendienst eingesetzt sind und deswegen Schnittpunkte zur Arbeit der Geheimdienste haben.

Auch ethische Fragen wie Menschenrechte werden diskutiert

Von den 50 Studierenden kommen nun 30 von der Bundeswehr, die mit dem Programm bereits im Januar gestartet sind. Sie haben zunächst das Propädeutikum absolviert, eine Art sechsmonatiges Grundstudium, das an der Bundeswehr- Universität in Neubiberg stattfindet, für alle Pflicht ist und eine Einführung in die Geheimdienstarbeit und das militärische Nachrichtenwesen gibt. Die Studenten müssen sich dabei mit ethischen Fragen wie Menschenrechten und Sicherheit befassen. Außerdem bekommen sie eine Einführung in technische Fragen der Digitalisierung. Dabei geht es etwa um die Grundlagen der Programmierung, oder darum, zu verstehen, wie ein Rechnernetz aufgebaut ist.

Seit Juli ist nun der gesamte Jahrgang komplett, denn Anfang der Woche sind wie Wegener auch die Studierenden dazu gestoßen, die bereits langjährige nachrichtendienstliche Berufserfahrung haben: Zehn Studierende vom BND, sechs vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und jeweils ein Teilnehmer von den Landesämtern für Verfassungsschutz aus Brandenburg, Bayern und Niedersachsen. Gemeinsam beginnen sie in Berlin nun am Zentrum für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF), das sich auf dem BND-Gelände befindet – wollen sie in ihre Hörsäle, müssen sie also immer erst die Sicherheitsschleusen im BND-Gebäude passieren.

Perspektivisch könnte aber die Zielgruppe der Studierenden ausgeweitet werde, so dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Wirtschaftsunternehmen mit Sicherheitsbezug sowie Angehörige ausgewählter ausländischer Behörden und Streitkräfte spezielle Teile des Studiengangs absolvieren könnten. Insbesondere für Unternehmen dürfte dies ein attraktives Angebot sein, etwa für Versicherungskonzerne, die Experten für die Krisenfrüherkennung brauchen und ihre Analysten bisher häufig von Universitäten aus dem Ausland bekommen. Interessant wird das Programm aber auch für solche Unternehmen sein, die angesichts der zunehmenden Vernetzung ihre Sicherheitsabteilungen ausbauen und Experten für Cybersicherheit brauchen.

Ein Wahlfach lautet: Cyberabwehr

Zum Kernstudium gehört nämlich auch ein Modul zur Cybersicherheit. Ziel ist etwa, dass die Studierenden in der Lage sind, „Methoden und Mechanismen, wie Anonymisierung und Verschleierung der Kommunikation, die eine nachrichtendienstliche Aufklärung erschweren oder unterbinden können, zu verstehen und deren Möglichkeiten und Grenzen einzuschätzen“. Diese Fähigkeiten können dann im Wahlpflichtfach Cyberabwehr noch einmal vertieft werden, an das sich dann auch die Masterarbeit anschließt.

23 Professoren bilden die Nachwuchs-Spione in Berlin weiter, fünf sind es in München. Insgesamt neun neue Professuren sind für den Studiengang eingerichtet worden, vor allem Juristen, Psychologen, Politologen, Historiker und Islamwissenschaftler sind darunter. Geleitet wird der Studiengang von Jan-Hendrik Dietrich, Jurist und Hochschullehrer an der Hochschule des Bundes und Uwe Borghoff von der Bundeswehr-Uni.

Ende 2020 werden die ersten Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs fertig. Wo Luisa Wegener und ihre Kommilitonen dann eingesetzt werden, ist im Zweifel: Streng geheim. (mit dpa)

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