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Ein Bosch-Mitarbeiter in der neuen Halbleiterfabrik im Reinraum an einer Maschine für die Bestückung von 300-Millimeter-Wafern.

© Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa

Bosch eröffnet Chipfabrik in Dresden: Eine Fabrik, die für die Unabhängigkeit Europas und der Autoindustrie steht

Das neue Halbleiter-Werk in Dresden ist ein Symbol. Denn die deutschen Autobauer sind längst nicht mehr so eigenständig, wie sie es gerne wären.

Die politische Flankierung sprach Bände. Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern auch die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager waren am Montag anwesend, als der Technologiekonzern Bosch seine neue Halbleiterfabrik in Dresden eröffnete. „Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz heben wir in Dresden die Produktion von Halbleitern auf ein neues Level“, sagte Bosch-Chef Volkmar Denner am Montag zur Eröffnung.

Künftig will das Unternehmen in der sächsischen Landeshauptstadt auf 300-Millimeter-Wafern Chips für das Internet der Dinge und die Automobilindustrie produzieren. Die Fabrik läuft vollständig digitalisiert und vernetzt und gilt als Europas modernste Chipfabrik. Langfristig sollen in Dresden rund 700 neue Arbeitsplätze entstehen, derzeit arbeiten 250 Beschäftigte am Standort.

Vor allem aber steht das Projekt für die Bemühungen Europas, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Ein Großteil der in hiesigen Firmen verbauten Chips kommt derzeit nämlich aus der Volksrepublik. Als nach der Coronakrise die Produktion und damit die Chip-Nachfrage etwa in der Autoindustrie wieder ansprang, konnte nicht genug Ware geordert werden.

Vielfach hatten andere Konzerne, wie etwa die chinesische Mobilfunkfirma Huawei, sich die Kapazitäten gesichert, für die deutsche Autobauer wegen der zeitweiligen Produktionspausen im Lockdown keine Verwendung mehr hatten. Infolge der Lieferengpässe standen die Bänder in verschiedenen Autofabriken zwischenzeitlich still. Deshalb hat die EU zuletzt ihre Bemühungen verstärkt, eigene Chip-Produktionen anzustoßen.

Im Juli soll die Produktion starten

Die Fabrik in Dresden ist freilich schon weit vor der Krise geplant worden, passt nun aber perfekt in die Agenda. Sie helfe, „die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Wiege für Spitzeninnovation zu stärken“, erklärte Vestager bei der Eröffnung. Ziel der Europäischen Union ist es, bis 2030 den Anteil an der Chipproduktion weltweit auf 20 Prozent zu verdoppeln.

Bosch hatte das Projekt – mit Kosten von einer Milliarde Euro plus rund 200 Millionen Euro öffentlicher Fördermittel die größte Investition der Firmengeschichte - schon vor vier Jahren beschlossen. Im Juli soll die Produktion von Chips für Elektrowerkzeuge starten, im September dann für die Autoindustrie. Allerdings handelt es sich um andere als die Standardchips, die zurzeit Mangelware sind.

Die neue Chip-Fabrik von Bosch in Dresden ist mit viel Symbolkraft aufgeladen.
Die neue Chip-Fabrik von Bosch in Dresden ist mit viel Symbolkraft aufgeladen.

© JENS SCHLUETER / AFP

Das Familienunternehmen in Stiftungsform sieht seinen Wettbewerbsvorteil auf dem Chipmarkt im „tiefen Verständnis von Software und Hardware“, wie Denner dem „Handelsblatt“ sagte. „Bei der Entwicklung der für das Auto immer wichtiger werdenden Software ist es von Vorteil, das Thema bis auf die Chipebene zu durchdringen.“

Chipfirmen drängen in den Automarkt

Doch auch Chipfirmen wie etwa Qualcomm, die Nummer eins bei Smartphone-Chips, wollen den Automarkt erobern. „Fahrzeuge faszinieren uns“, sagte Qualcomm-Europachef Enrico Salvatori dem „Handelsblatt“. Der Italiener ist überzeugt: Weil in Autos immer mehr Chips eingebaut werden, kommen Fahrzeugbauer und Zulieferer an Halbleiterunternehmen nicht mehr vorbei. Geht es nach ihm, wären Autobauer und Zulieferer besser beraten, wenn sie sich auf die Software konzentrieren und die Chipentwicklung Spezialisten überlassen. „Wir kennen das Geschäft und wissen, wie der Fahrplan bei der Chipentwicklung auszusehen hat.“

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Derzeit scheinen aber viele Autohersteller zeigen zu wollen, dass sie in der Lage sind, eigene Chips zu entwickeln. „Tesla hat gezeigt, dass man da reinkommen kann“, sagt Peter Fintl von der Technologieberatung Capgemini. Der US-Konzern setzte anfangs Prozessoren von Nvidia ein, nutzt nun aber selbst entwickelte Bauteile. Um die Leistungsfähigkeit zu steigern, plant nun auch VW, ins Chipdesign einzusteigen. Bosch und Conti wiederum haben sich am Chipdesigner Recogni beteiligt.

Nicht die verlängerte Werkbank der IT-Firmen

Für traditionelle Zulieferer ist das eine gefährliche Entwicklung: „Die Zulieferer müssen sich fragen, welche Rolle sie noch einnehmen können“, so Fintl. Tiefgreifende Kooperationen zwischen Autobauern und Halbleiteranbietern könnten sie aus lukrativen Geschäften wie der Entwicklung des automatisierten Fahrens herausdrängen.

Daimler etwa will mit Nvidia kooperieren. Ab 2024 sollen in Daimler-Fahrzeugen Nvidia-Chips und deren Software automatisierte Fahrfunktionen ermöglichen. Für die Zulieferer würde dann nur noch die Sensorik übrig bleiben, also Kameras, Radare und Lidar-Sensoren. Abgesehen von der Lidar-Technik sind das nur günstige und margenschwache Bauteile.

Auch Angela Merkel sieht die wachsende Bedeutung der Chips als potentielle Gefahr für die Autoindustrie. Die Verschmelzung von Hard- und Software schreite so schnell voran, dass man aufpassen müsse, nicht den Anschluss zu verpassen, hatte Merkel im Mai gesagt. Ausdrücklich warnte sie die Autobauer davor, nur noch „verlängerte Werkbank“ von IT-Firmen zu werden. Dass Bosch jetzt selbst aktiv wird, dürfte daher in ihrem Sinne sein. (mit dpa und HB)

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