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Die Technologie, die hinter der Digitalwährung Bitcoin steckt, soll jetzt auf andere Geschäftsbereiche übertragen werden.

© imago/Science Photo Library

Bitcoin-Technologie: Wie Blockchain Banken ersetzen soll

Es soll der Code der Zukunft sein: Die neue Technologie Blockchain könnte die Geschäftswelt komplett verändern. Neben der Finanzindustrie geht es auch um Stromhandel. Was steckt dahinter?

Von Carla Neuhaus

Vitalik Buterin wächst mit dem Internet auf. Als er 1994 geboren wird, ist die Welt bereits seit fünf Jahren im World Wide Web. Buterin fängt früh an, selbst zu programmieren. Später schreibt er für einen Blog und wird dafür mit Bitcoins bezahlt. Weil ihm die Digitalwährung jedoch zu viele Schwachstellen hat, entwickelt er seine eigene. Er nennt sie Ethereum. Und er erkennt, dass man mit der Technologie, die hinter Digitalwährungen steckt, sehr viel mehr machen kann. Mit nur 22 Jahren wird Buterin so zum Vorreiter einer neuen Bewegung. Einer Bewegung, die Experten zu Superlativen verleitet. Goldman Sachs spricht vom „Megatrend“, die Bank of England von einer „echten Innovation“. Twitter-Investor Marc Andreessen meint gar: Das sei die größte Erfindung, seit es das Internet gibt.

Blockchain ist die Technologie hinter der Digitalwährung Bitcoins

Die Rede ist von der Blockchain. Das ist die Technologie, die hinter Bitcoins steckt. Und die nun auch jenseits der Digitalwährung zum Einsatz kommen soll. Bislang brauchte jeder, der Geld überweisen wollte, eine Bank. Sie wickelt die Zahlung ab und prüft, ob alle nötigen Daten stimmen. Die Blockchain-Technologie macht jedoch genau dasselbe – nur vollautomatisch, schneller und billiger. Sie ersetzt somit die Bank. Und wie bei der Überweisung funktioniert das auch bei anderen Geschäften. Neben der Bank kann die Blockchain auch den Stromanbieter ersetzen, den Musikkonzern oder den Immobilienmakler. Denn wie man Geld über diese Technologie hin- und herschicken kann, kann man per Blockchain auch Strom, Musik oder Immobilien kaufen und verkaufen – und zwar ohne dass ein Konzern dazwischengeschaltet ist.

Vorstellen kann man sich die Blockchain wie eine Art Superdatei. Sie erfasst alle Transaktionen von allen Beteiligten, die über ihr System abgewickelt werden. Das Besondere: Statt auf einem zentralen Server wird sie gleichzeitig auf den Rechnern aller Teilnehmer gespeichert und dort laufend aktualisiert. Die Folge: Statt von einem Großrechner wird die Transaktion von jedem einzelnen Computer überprüft, der ans Netzwerk angeschlossen ist. Wissen und Verantwortung werden also an Maschinen delegiert und geteilt. Manipulation soll auf diese Weise kaum möglich sein. Denn Kriminelle müssten sich dazu nicht nur in einen, sondern gleich in alle angeschlossenen Rechner hacken.

Die Blockchain ist ein intelligentes Kassenbuch

Wie die Blockchain konkret funktioniert, wird am Beispiel der Geldüberweisung klar: Will Person A Geld an Person B transferieren, werden diese Daten verschlüsselt an sämtliche Rechner im Netzwerk übertragen. Die Rechner gleichen die Daten automatisch mit den Informationen ab, die bereits in der Blockchain gespeichert sind. Sie prüfen zum Beispiel, ob das Konto, von dem Person A Geld überweisen will, tatsächlich A gehört. Geben alle Rechner ihr Okay, wird die Transaktion durchgeführt und als Information der Superdatei hinzugefügt. Diese Superdatei ist also nichts anderes als eine ellenlange Kette (Chain), der immer wieder neue Informationen (Blocks) hinzugefügt werden. So entsteht ein riesiges, intelligentes Kassenbuch.

Dass manche die Entdeckung der Blockchain als Revolution beschreiben, liegt daran, dass sie Aufgaben übernimmt, von denen man bislang glaubte, für sie eigene Institutionen zu brauchen. Doch mit der Blockchain benötigt man eben keine Bank mehr, um Geld zu überweisen. Man braucht auch keine Börse mehr, um Aktien zu kaufen. Keinen Notar, um ein Testament zu vollstrecken – stattdessen wird den Erben das Geld automatisch überwiesen. Selbst Tech-Firmen, die erst in den letzten Jahren entstanden sind, würden überflüssig. Man bräuchte kein Uber, um einen Taxifahrer zu finden. Keine Firma wie Airbnb, um Mieter und Vermieter von Ferienwohnungen zusammenzubringen.

Banken forschen auch selbst an der Technologie

Der Gedanke, dass man für all diese Geschäfte keine Helfershelfer mehr braucht, sondern nur eine schlaue Superdatei, ist zunächst verstörend. Die Deutsche Bank spricht von einem Paradigmenwechsel. Denn nimmt man die Blockchain ernst, muss man Wirtschaft neu denken. So glauben die Wirtschaftsprüfer von Deloitte auch, dass es weniger eine Frage der Technik ist, ob sich die Blockchain durchsetzt. Stattdessen hänge es zu 80 Prozent davon ab, ob Menschen bereit seien umzudenken. Ob sie einer dezentralen Technologie ebenso viel Vertrauen schenken können wie einer zentralen Institution – etwa einer Bank.

Die Geldinstitute nehmen die Blockchain dennoch ernst. Schließlich wären sie die Ersten, deren Service die Technologie zumindest in Teilen überflüssig machen könnte. Bei der Deutschen Bank heißt es: „Die Blockchain-Technologie ist eine der ersten wirklich disruptiven Ideen aus dem Fintech-Bereich.“ Um nicht abgehängt zu werden, forschen die Geldhäuser deshalb selbst an der Technologie. Sie hoffen: Wenn sie als Banken die Blockchain selbst bereitstellen, könnte sie das retten. 42 Großbanken haben sich unlängst zu einem Konsortium zusammengeschlossen, das in New York und London die Blockchain erforscht. Die Firma trägt den unscheinbaren Namen R3. Doch die Liste der Institute, die mitmischen, liest sich wie das Who’s who der Finanzwelt: Neben Deutscher Bank und Commerzbank machen etwa Goldman Sachs, Morgan Stanley, Bank of America, Barclays und UBS mit. Auch der IT-Konzern Microsoft ist dabei.

Parallel arbeiten fast alle Finanzinstitute an eigenen Blockchain-Projekten. JP Morgan soll zum Beispiel derzeit mit über 2000 Kunden das Hin- und Herschicken von Geld zwischen London und Tokio per Blockchain testen. Citigroup hat eine eigene Digitalwährung namens Citicoin entwickelt, um Zahlungen zu vereinfachen. Die Kreditkartenfirma Visa arbeitet daran, Überweisungen von Migranten in ihre Heimat zu erleichtern – was teure Transferdienste wie Western Union überflüssig machen könnte.

Auch die Energieversorger befassen sich mit der Blockchain

Und das ist erst der Anfang, denn die Blockchain ist nicht nur etwas für die Finanzindustrie. Neben Banken sind es die großen Energiekonzerne, die sie fürchten. Denn mit der Technologie kann man auch mit Strom handeln – ohne dafür einen Energiekonzern zu brauchen. Dass das funktioniert, haben gerade zwei Amerikaner bewiesen: Einer hat dem anderen per Blockchain Strom verkauft, den er mit einer Solaranlage auf seinem Dach generiert hat. In Berlin arbeitet ein Team der Firma ITB seit Februar bereits an einem ähnlichen Projekt.

Auch die großen Energieversorger befassen sich mit der Blockchain. Vattenfall lädt am Montag dafür Experten nach Berlin ein, um über Anwendungsbeispiele zu sprechen. Manager Claus Wattendrup sagt: „Wenn diese neue Technologie Realität wird, hat sie das Potenzial, die Energiewirtschaft zu revolutionieren.“ Konkurrent RWE will die Blockchain zum Beispiel bei Elektroautos einsetzen. Weil es an den Ladestationen anders als an einer Tankstelle keine Kasse gibt, ist das Bezahlen des Stroms noch immer ein Problem. Meist müssen die Fahrer der Elektroautos extra einen Vertrag mit einem der örtlichen Stadtwerke schließen. Dank der Blockchain-Technologie könnte das sehr viel einfacher gehen: Über einen Chip im Auto könnte das Geld nach dem Tanken einfach automatisch vom Konto abgebucht werden.

Buterin träumt von der Software, die alle Welt benutzt

Setzt sich die Blockchain in der Breite durch, wird einer davon besonders profitieren: Vitalik Buterin. Der 22-Jährige hat eine Stiftung gegründet. Die stellt anderen die Technologie bereit, damit sie auf Blockchain-Basis neue Anwendungen entwickeln können. Funktionieren soll das nach dem Vorbild von Apple. Der Konzern hat mit iOS ein Betriebssystem fürs Smartphone entwickelt – und dann andere Programmierer eingeladen, dafür Apps zu erfinden. Wie einst Apple-Gründer Steve Jobs träumt Buterin von der globalen Software, die alle Welt nutzt. Noch hat er einen weiten Weg vor sich.

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