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Blick auf Stockholm, wo aktuell auch die Tourismusbranche leidet.

© Carsten Rehder/dpa

BIP sinkt um 8,6 Prozent: Auch in Schweden bricht die Konjunktur wegen Corona stark ein

Die Wirtschaftszahlen in Schweden für das zweite Quartal sind in der Corona-Krise so schlecht wie zuletzt vor 40 Jahren – aber besser als in anderen EU-Staaten.

Schwedens Regierung und dem sie in der Coronavirus-Krise beratenden Staatsepidemiologen Anders Tegnell von der Gesundheitsbehörde (FHM) wird von Kritikerin immer wieder vorgeworfen, keinen Lockdown verfügt zu haben, um die Wirtschaft des Landes zu schützen – und so viele Covid-19-Tote in Kauf zu nehmen.

Neue Zahlen zeigen nun, wie sehr das Land mit seinen rund 10,2 Millionen Einwohnern auch wirtschaftlich unter den Folgen der Pandemie leidet.

Trotz der vergleichsweise lockeren Maßnahmen brach die Wirtschaftsleistung des EU-Staates im zweiten Quartal so stark ein wie seit mindestens 40 Jahren nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im Vergleich zum Vorquartal um 8,6 Prozent, wie die schwedische Statistikbehörde SCB am Mittwoch in einer vorläufigen Schätzung mitteilte.

Im Vergleich mit dem Vorjahresquartal betrug der Rückgang 8,2 Prozent. Im ersten Quartal 2020 hatte der BIP-Rückgang zum Vorquartal lediglich 0,3 Prozent betragen. Während der weltweiten Finanzkrise Ende 2008 war das BIP in Schweden nur um 3,8 Prozent gefallen.

[Mehr zum Thema: Warum Schweden trotz der hohen Todeszahlen von seinem Weg überzeugt ist – lesen Sie hier eine Zwischenbilanz.]

Damit liegt der Rückgang in dem skandinavischen Land aber unter den 10,1 Prozent, um die die deutsche Wirtschaft nach einer ersten Schätzung zurückfiel. Und andere EU-Mitgliedstaaten haben beim BIP noch größere Einbrüche zu verkraften – wie Spanien (- 18,5 Prozent), Italien (- 12,4) oder Frankreich (- 13,8). Die Eurozone insgesamt stürzte im Frühjahr um 12,1 Prozent ab, die EU um 11,9 Prozent.

„Die Wirtschaftskrise in der ersten Jahreshälfte spielt in einer ganz anderen Liga als die Horrorshows anderswo in Europa“, sagte Ökonom David Oxley von Capital Economics zur konjunkturellen Entwicklung in Schweden der Nachrichtenagentur Reuters.

Grund für den Einbruch ist der sinkende Export

Die schwedischen Statistiker sehen als Hauptgründe für den starken Rückgang den sinkenden Export und ebenso geringeren Konsum der Privathaushalte an. Wie Deutschland ist auch Schweden extrem abhängig vom Außenhandel, die Industrie litt und leidet an den durch den Lockdown anderer Staaten entstandenen Unterbrechungen der Lieferketten. Auch Tourismusbranche und Gastronomie sind stark betroffen.

Die Ökonomen des schwedischen Finanzdienstleistungskonzern Skandinaviska Enskilda Banken AB (SEB) gehen aber von einer baldigen Besserung der Lage aus. „Das BIP wird sich voraussichtlich im dritten Quartal wieder erholen, obwohl die Stärke des Aufschwungs ungewiss bleibt“, schreiben sie in einer Analyse.

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Auch die Arbeitslosigkeit ist nach Angaben der Regierung im Juni stark auf 9,8 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei rund 32 Prozent. Nach Angaben von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, lag die Arbeitslosigkeit im Januar 2020 noch bei sieben Prozent, im Mai war sie auf acht Prozent gestiegen.

Arbeitsministerin Eva Nordmark beschreibt die Lage als „sehr ernst“. Es sei klar, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigen werde.

Appelle statt Verbote in der Coronakrise

Tegnell argumentierte stets gegen einen Lockdown, man brauche nachhaltige Maßnahmen und dürfe nicht vergessen, dass strenge Verbote auch gesundheitliche Folgen haben. Isolation und Quarantäne könnten Langzeitschäden an Körper und Geist auslösen. Zudem müsse man auch auf die Wirtschaft schauen: „Wir dürfen sie nicht zugrunde fahren.“

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Regierung und FHM in Schweden haben seit Beginn der Pandemie mehr auf Appelle als auf Verbote gesetzt. Sie forderten die Bürger auf, soziale Kontakte zu minimieren und Abstand zu halten. Grundschulen, Geschäfte und Gastronomie blieben geöffnet.

Außerdem galt von Anfang an: Die Menschen sollen im Homeoffice arbeiten und bei Symptomen auf jeden Fall zu Hause bleiben. Eine aktuelle Studie zeigte gerade, dass der Anteil derer, die im Homeoffice arbeiten, im Frühjahr von 15 auf 57 Prozent gestiegen ist. Die Gesundheitsbehörde verlängerte die Homeoffice-Empfehlung auch für den Herbst.

Schweden mit hoher Todesrate

Ein wichtiger Teil der schwedischen Strategie war, ältere Menschen besonders zu schützen. Inzwischen ist klar, dass dies zumindest mit Blick auf Pflegebedürftige gescheitert ist.

Schweden verzeichnet aktuell 5760 Covid-19-Tote und mehr als 81.500 bestätigte Infektionen – das sind pro eine Million Einwohner deutlich mehr Opfer als in Deutschland (110) oder in den skandinavischen Nachbarländern Norwegen (48), Dänemark (106), Finnland (60) oder Island (28).

Die mit Blick auf die Einwohnerzahl deutlich kleineren Staaten hatten sich alle für einen Lockdown entschieden. In Schweden hat sich das Infektionsgeschehen inzwischen allerdings offenbar beruhigt. Seit dem 6. Juli sank die Zahl der Toten von rund 15 pro Tag auf zwei bis drei in den vergangenen Tagen. Am Mittwoch wurden wieder 13 Todesfälle gemeldet; Mitte der Woche gibt es in der Regel die Nachmeldungen vom Wochenende.

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