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Dunkle Wolken über der Republik.

© Arno Burgi/dpa

Billionenprogramm gegen die Corona-Krise: Überfordert der Staat sich selbst – und seine Bürger?

Der Bund stellt 1,2 Billionen Euro für die wirtschaftlichen Folgen der Krise bereit. Ein gigantisches Vorhaben. Welche Konsequenzen hat das?

Manchen wird schon seit Wochen schwummrig. Andere sehen die Zahlen gelassener. Aber beeindruckend sind sie schon: Was der Bund und die Länder zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise an Mitteln aufgerufen haben, ist eine gewaltige Summe: 1,2 Billionen Euro. So viel machen alle Maßnahmen des Bundes zusammen aus, die im März und April beschlossen wurden.

Das ist mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung, die in diesem Jahr zu erwarten ist. Man kann der Bundesregierung also nicht vorwerfen, sie habe zu zaghaft in diese neue Weltwirtschaftskrise hineingeplant. Von Beginn an galt die Devise, eher zu klotzen als zu kleckern. Aber hat sie möglicherweise zu viel des Guten getan? Überfordert sich der Staat selbst?

Debatte in der Koalition

In der Koalition beginnt man darüber zu reden. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus sagt: „Mir macht das langsam ein bisschen Angst, wie viel Geld wir ausgeben für diese Krisenbewältigung, weil die ganze Sache hinterher ja auch irgendwann mal bezahlt werden muss.“ Die Maßnahmen dürften nicht aus dem Ruder laufen.

Dagegen betont Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), die Regierung habe „die Sache“ im Griff. Er versucht, ein Anschwellen von Nervosität in der Bevölkerung angesichts der Riesensummen zu dämpfen, nicht zuletzt mit dem Hinweis, wie solide Deutschland haushaltspolitisch dastehe. „Eindeutig ja“, antwortet er auf die Frage, ob sich Deutschland das leisten könne.

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Die Bundesrepublik ist in diese Krise mit einem eher moderaten Schuldenstand von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geraten. Scholz geht vorläufig davon aus, dass es am Ende 75 Prozent sein werden – weniger als in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren. Doch damit kann er auch falsch liegen.

Ein Minus von sieben Prozent?

Niemand weiß, wie schlimm diese Wirtschaftskrise wirklich verlaufen wird. Bisher ging die Regierung von einem Einbruch von mehr als fünf Prozent des BIP aus. Am kommenden Mittwoch wird Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Frühjahrsprojektion der Regierung vorstellen. Wie es aussieht, fällt sie schlechter aus. Offenbar nähert man sich in Berlin den Einschätzungen des IWF an, der zuletzt einen Einbruch von sieben Prozent prognostizierte.

Der Absturz zweier Stimmungsindizes in dieser Woche, zunächst vom ZEW in Mannheim und dann vom Münchner ifo-Institut, deutet in dieselbe Richtung. Wie es am Jahresende tatsächlich aussehen sein wird, lässt sich aber schwer einschätzen – es kann glimpflicher ausgehen, aber auch noch schlimmer kommen. Denn Deutschland ist als Exportnation stark von der globalen Entwicklung abhängig.

Hintergründe zum Coronavirus

Die Probleme vieler Unternehmen begannen im März nicht so sehr wegen des frühen Lockdowns, sondern wegen ausbleibender Warenströme aus China – ob nun bei den Autoproduzenten oder im Gesundheitswesen. Die deutsche Exportwirtschaft wird zudem die weltweiten Folgen der Pandemie mindestens im ganzen Jahr 2021 spüren, was die Wirtschaftsleistung zusätzlich dämpfen wird. Das war nach 2008 ähnlich – damals zeigte sich aber auch, dass die Bundesrepublik zügiger zur Normalität zurückfand als andere Industriestaaten. Darauf setzt die Regierung nun wieder.

Riesige Garantien

Der große Kern des riesigen Unterstützungsprogramms sind die im Gesamtvolumen unbegrenzten Garantien, die der Bund den Unternehmen gibt, um an Liquidität zu kommen. Dafür wurde der allgemeine Garantierahmen des Bundes auf etwa eine Billion Euro verdoppelt.

Für konkretere Programme wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufgelegt, der zunächst mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro ausgestattet ist: 400 Milliarden für Bürgschaften, 100 Milliarden zur Refinanzierung schon bestehender Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und nochmals 100 Milliarden für direkte Staatsbeteiligungen, falls das nötig werden sollte – auch um den Wegkauf deutscher Unternehmen zu verhindern.

Wie viele Kredite fallen aus?

Die Kreditvergabe läuft über die Hausbanken, die Garantiezusagen des Bundes über die KfW sind meist gedeckelt – zwischen 500 000 Euro bei Kleinunternehmen bis hin zu einer Milliarde Euro für Konzerne. Das eigentliche Risiko für den Bund steckt in der hohen Freistellung der Banken – sie müssen nur mit zehn bis zwanzig Prozent einstehen, sollte ein Kredit ausfallen, und beim Schnellkredit für den Mittelstand hat der Bund sogar eine hundertprozentige Staatsgarantie gegeben.

So ist die Unternehmensrettung quasi auch ein Bankenstabilisierungsprogramm. Wie hoch die Kreditausfälle sein werden, ist unklar. Aber Scholz rechnet damit, dass einige Milliarden auflaufen werden.

Umfangreicher Nachtragshaushalt

Deutlich konkreter wird es beim Nachtragshaushalt für 2020. Er umfasst 156 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben, die die Regierung durchweg über Schulden finanzieren wird. Auch hier galt die Devise: erst einmal einen sehr großen Rahmen zimmern, dann sieht man weiter.

So hat Scholz sich vom Bundestag einen Blankoscheck – im Haushaltsdeutsch: eine globale Mehrausgabe – über 55 Milliarden Euro ausstellen lassen. Der zweite große Posten war das 50-Milliarden-Paket für die Zuschüsse an Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige, die über die Länder (mit deren Zusatzprogrammen) verteilt werden.

Zudem muss Scholz die Steuerausfälle wegen des Einbruchs der Wirtschaft ausgleichen. 33,5 Milliarden Euro hat er da ursprünglich veranschlagt, aber das wird bald Makulatur sein. Wenn die Regierung ein stärkeres Minus beim BIP verkündet, werden die Mindereinnahmen, mit denen zu kalkulieren ist, höher ausfallen.

Mehrwertsteuersenkung für Gastronomie

Zudem hat die Koalition in dieser Woche eine Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie beschlossen (das könnte sie vier Milliarden Euro kosten) sowie eine Vereinfachung bei der Verlustverrechnung für kleine und mittlere Unternehmen (ein Volumen von fünf Milliarden Euro). Insofern dürfte die Steuerschätzung im Mai herbere Verluste ergeben.

Gut möglich, dass das zu erwartende Steuerminus allein beim Bund eher bei 60 Milliarden liegen wird oder noch höher. Die bisherige Prognose eines gesamtstaatlichen Haushaltsdefizits von 7,25 Prozent für 2020 kann die Regierung dann auch einkassieren. Es wird höher liegen.

Eine erste Bilanz

Erste Zahlen zum Verlauf der Hilfsprogramme, die noch keine echte Zwischenbilanz sind, wurden in den vergangenen Tagen bekannt. Der 55-Milliarden-Blankoscheck wurde bislang genutzt, um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit zusätzlichen 10,8 Milliarden Euro für den Aufkauf von medizinischer Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten auszustatten. Zudem erhielt Außenminister Heiko Maas (SPD) 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfsmaßnahmen bei der Pandemiebekämpfung.

Aus dem Zuschussprogramm für Kleinunternehmer in Höhe von 50 Milliarden Euro sind bisher knapp 1,7 Millionen Anträge mit einer Gesamtsumme von etwa neun Milliarden Euro bewilligt worden. Diese Zuschüsse sind zwar nicht rückzahlbar, gelten aber als Einnahme, die im kommenden Jahr in der Steuererklärung angegeben werden muss.

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Für das Kreditprogramm der KfW gab es bisher gut 13 000 Anträge, die zusammen ein Volumen von 26 Milliarden Euro ausmachen. Etwa ein Drittel dieser Summe ist laut Finanzministerium bewilligt. Die Möglichkeit für Unternehmen, Steuerzahlungen stunden zu lassen, hat bisher zu Ausfällen von 200 Millionen Euro geführt. Doch das will nicht viel heißen, denn die Folgen des Lockdowns der Wirtschaft werden sich erst im Verlauf des zweiten Quartals richtig zeigen.

Was noch fehlt

Ein bedeutender Faktor im großen Billionen-Spiel ist noch gar nicht bezifferbar, obwohl Altmaier und Scholz ihn schon angekündigt haben: Die Regierung will ein riesiges Konjunkturprogramm auflegen, sobald einigermaßen klar ist, wie sehr das Coronavirus und seine Folgen die Wirtschaft beeinträchtigt haben. Es dürfte im zweistelligen Milliardenbereich liegen und wird über Schulden finanziert. Die Schuldenbremse im Grundgesetz lässt das zu.

Die Neuverschuldung im Nachtragsetat in Höhe von 156 Milliarden Euro wurde zu zwei Dritteln möglich durch die Notfallklausel und zu einem Drittel über den Mechanismus, dass bei einem Konjunktureinbruch zusätzliche Schulden auch ohne Ziehen der Ausnahmeregel möglich sind. Konjunktur- und Notfallklausel können mutmaßlich auch im Etat für 2021, in dem das Konjunkturprogramm stecken wird, genutzt werden.

Ein zweites Milliardenprogramm dürfte noch dazukommen: Der Bund und die Länder werden den Kommunen unter die Arme greifen müssen, denn die sind an den Steuerausfällen beteiligt, ihre Verschuldungsmöglichkeiten aber sind begrenzt. Es werde ein „hoher zweistelliger Milliardenbetrag“ in diesem Jahr fehlen, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz glaubt alles im Griff zu haben.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz glaubt alles im Griff zu haben.

© Michael Kappeler/dpa

Auswirkung auf künftige Etats

Und wie ist es nun mit dem Bezahlen der Rechnung? Wie stark werden künftige Haushalte belastet? Müssen Sozialleistungen gekürzt, Verteidigungsausgaben gekappt, Bildungsprogramme eingedampft, Steuern erhöht werden? Liegen die Schulden künftigen Generationen wie Blei auf den Schultern?

Zumindest ein Teil wird schon bald haushaltsrelevant sein – jene 100 Milliarden Euro, die der Bund unter Nutzung der Notlagenklausel der Schuldenbremse eingeplant hat. Sollte die Regierung diese Ermächtigung voll in Anspruch nehmen, müssen diese Kredite – das ist Teil der Schuldenbremse – getilgt werden. Beschlossen ist bereits, es über 20 Jahre ab 2023 zu tun.

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Das wären gut fünf Milliarden Euro pro Jahr, denn die Zinsen auf das geliehen Geld dürften niedrig sein. Der Finanzminister hat gerade erst bereits laufende Bundesanleihen um 100 Milliarden Euro aufgestockt, sodass er hier ganz flexibel manövrieren kann.  Anteilig wäre das gut ein Prozent des Jahresetats.

Teuer, aber bezahlbar

Die 50 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen im Nachtragsetat – die konjunkturell erlaubten – kann Scholz dagegen stehen lassen – so wie fast alle Schulden, die der Staat macht. Wächst die Wirtschaft wieder, sinkt die Schuldenlast in Relation zum BIP. So fiel die Quote nach der Finanzkrise ohne Tilgung von mehr als 80 auf knapp unter 60 Prozent.

Auch wenn der Bund nun doppelt so hohe Schulden aufnehmen müsste wie im Nachtragsetat, etwa wenn garantierte Kredite massiv ausfielen oder das Konjunkturprogramm größer wäre, es bliebe eine Summe, die auf Jahrzehnte gestreckt eine begrenzte Haushaltsbelastung wäre. Corona ist zweifellos eine finanzpolitische Gefährdung – sehr teuer, aber vorerst bezahlbar.

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