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Volle Euter, leere Kassen. Kühe geben immer mehr Milch, aber die Bauern bekommen immer weniger dafür.

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Billige Milch: Kampf um jeden Cent

Die Milchpreise sind im Keller, die Bauern rufen nach Hilfen. An diesem Montag beraten die Agrarminister der EU.

Von Carla Neuhaus

Landwirt Timo Wessels ist empört. Gerade einmal 25 Cent pro Kilogramm zahlt die Molkerei ihm derzeit für die Milch seiner Kühe. „Das geht gar nicht“, sagt Wessels, der im brandenburgischen Lehnin einen Hof mit 550 Kühen führt. Um das Futter zu bezahlen, den Strom und den Tierarzt bräuchte ein Landwirt mindestens 35 bis 40 Cent pro Kilogramm, sagt er. „Wir kämpfen uns derzeit von Monat zu Monat.“

Landwirte wie Wessels bekommen aktuell so wenig für ihre Milch wie seit Jahren nicht mehr – und das hat Folgen. Der Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter (BDM) schätzt, dass die deutschen Höfe aufgrund des Preisverfalls in diesem Jahr einen Verlust in Höhe von vier Milliarden Euro machen. Etliche Betriebe dürften das nicht überleben und pleite gehen. „Die Milchkrise, die wir derzeit erleben, ist schlimmer als 2009“, sagt Hans Foldenauer, selbst Landwirt und Sprecher des BDM. 2009 ist der Preis so stark gefallen, dass die Landwirte aus Protest ihre Milch auf den Feldern auskippten. Und auch heute demonstrieren sie wieder.

Die Politik steht unter Druck

An diesem Montag wollen mehrere tausend Landwirte aus ganz Europa mit Traktoren nach Brüssel fahren. Dort treffen sich die EU-Agrarminister zu einem Sondergipfel, um über Hilfsmaßnahmen für die Betriebe zu diskutieren.

Die Politik steht unter Druck. Denn von selbst werden sich die Preise für Milch so schnell nicht erholen. Viele Landwirte haben in den letzten Monaten neue Ställe gebaut und mehr Kühe angeschafft. Sie haben damit auf den Wegfall der Milchquote reagiert: Seit April dürfen die Landwirte in der EU so viel Milch produzieren, wie sie wollen. Gleichzeitig ist jedoch die Nachfrage auf dem Weltmarkt eingebrochen. Nach Russland darf aufgrund des Wirtschaftsembargos keine Milch mehr exportiert werden. Und auch die Chinesen kaufen derzeit weniger ein. Wenn aber das Angebot steigt und die Nachfrage sinkt, fallen die Preise.

Die Landwirte geben der Politik eine Teilschuld an ihrer Misere und fordern Hilfen. „Politische Krisen wie das Russlandembargo können nicht auf den Schultern der Bauern ausgetragen werden“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Bauernverbands.

Die EU-Agrarminister sind uneinig

Doch den fallenden Milchpreis zu stoppen, ist nicht so einfach. Zumal die Agrarminister der EU sehr unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie man das Problem angehen soll. So setzen sich die Franzosen zum Beispiel dafür ein, den Interventionspreis anzuheben: Wird er unterschritten, kauft der Staat haltbare Produkte wie Butter oder Milchpulver auf. Auf diese Weise verknappt er das Angebot und verhindert, dass die Preise weiter fallen. Aktiv wird der Staat derzeit allerdings erst bei einem Milchpreis von 24 Cent je Kilogramm. Landwirte wie der Brandenburger Timo Wessels fordern deshalb, dass man diesen Interventionspreis anhebt – so wie es die Franzosen in Brüssel vorschlagen wollen. Die Bundesregierung hält davon jedoch wenig. „Ich persönlich bin eher skeptisch“, sagt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). „Man muss genau prüfen, welche Auswirkungen die Anhebung des Interventionspreises auf den Markt haben würde.“

Die EU-Hilfen sollten früher an Landwirte ausgezahlt werden

Geht es nach Schmidt, finden die Minister in Brüssel eine andere Lösung. So will er sich zum Beispiel dafür einsetzen, die jährlichen Direkthilfen der EU früher als üblich an die Landwirte auszuzahlen. Diese Beihilfen der EU sollen die Landwirte statt erst 2016 „auf jeden Fall noch im Dezember“ erhalten. „In Brüssel fordere ich, das sehr bürokratische Verfahren vorübergehend zu erleichtern“, sagt Schmidt. Langfristig will er den Landwirten helfen, indem er im Ausland noch stärker als bisher für die deutsche Milch wirbt. Auf dem Sondergipfel werde er sich „für ein europäisches Paket zur Exportförderung einsetzen, das in der Bandbreite zu einer Verbesserung der Absatzchancen unserer Industrie führt“.

Protest: Seit Wochen gehen die Bauern auf die Straße.
Protest: Seit Wochen gehen die Bauern auf die Straße.

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Die Ursachen des Preisverfalls bekämpfen

Den Milchbauern geht das allerdings nicht weit genug. „Das ändert nichts an den Ursachen des Preisverfalls“, sagt Foldenauer vom Verband der Milchviehhalter. Unterstützung bekommen die Landwirte hierzulande von den Grünen. „Die Instrumente, die Bundesminister Schmidt vorschlägt, sind nicht geeignet auf die strukturelle Krise am Milchmarkt zu reagieren“, sagt Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. So sei Schmidts Bestreben, die Exporte zu steigern, Augenwischerei. „Die Nachfrage auf dem Weltmarkt ist begrenzt und die Konkurrenz groß“, sagt Ostendorff. Und selbst wenn es gelänge, mehr Milch ins Ausland zu verkaufen, würden Handel und Molkereien die Margen abgreifen. „Davon kommt nichts bei den Bauern an.“ Sein Alternativ-Vorschlag: Wenn zu viel Milch auf dem Markt ist, müsste man sie verknappen. „Als Sofortmaßnahme ist eine Mengendrosselung notwendig, die kurzfristig den Markt entlastet“, sagt der Grünen-Politiker. Funktionieren könnte das zum  Beispiel, indem die EU Landwirten einen Ausgleich zahlt, wenn sie freiwillig weniger Milch an die Molkereien abgeben.

„Eine neue Quote kann das Problem nicht lösen.“

Doch so einfach diese Lösung klingt: Längst nicht alle Beteiligten sind überzeugt, dass sie funktioniert. So verweist der Bauernverband zum Beispiel darauf, dass Milch international gehandelt wird. Würde nun Europa die Milchproduktion einschränken, dürften andere Länder wie Neuseeland oder Australien sie hochfahren. „In der derzeitigen Marktsituation würden andere Akteure sofort die Milchmenge auffüllen, die andernorts national oder europäisch eingeschränkt wird“, sagt Krüsken vom Bauernverband. „Eine neue Quote kann das Problem nicht lösen.“ Dass noch nicht einmal der deutsche Bauernverband und der Verband der Milchviehhalter sich darüber einig sind, was jetzt zu tun ist, zeigt, wie schwer es ist, eine Lösung für das Problem zu finden.

Dabei wird es in Zukunft für die Landwirte nicht einfacher. Sie müssten sich langfristig auf starke Preisschwankungen einstellen und lernen, damit zu leben, sagt Wilhelm Priesmeier, agrarpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Seiner Meinung nach sollte die Politik den Landwirten kurzfristig helfen, in dem sie ihnen über die landwirtschaftliche Rentenbank Bürgschaften für Kredite gibt. Langfristig müssten sie aber alleine klar kommen. „Die Landwirte müssen in guten Zeiten Geld zurücklegen“, sagt Priesmeier. Ähnlich sieht das Agrarminister Schmidt. „Auch in anderen Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion gibt es Preisvolatilität“, sagt er. „Wir müssen dahin kommen, dass auch die  Milcherzeuger damit leben können.“

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