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Professor wird oft ein anderer. Viele Nachwuchsforscher gehen leer aus, wenn dauerhafte Stellen vergeben werden.

© Fabian Stratenschulte/dpa

Beruf: Forscher: Wie ehrlich darf man sein?

Wie offen kann man in einer Bewerbung Misserfolge erwähnen? Ein Wissenschaftler hat es ausprobiert.

Jeder, der sich in einem umkämpften Feld um Stellen bewirbt, dürfte das Gefühl kennen: Die Lebensläufe der anderen scheinen makellos. Der eigene hingegen – nun ja. Junge Wissenschaftler kennen diesen Druck besonders gut. Sie unterrichten, netzwerken, halten Vorträge, müssen die eigene Forschung vorantreiben. Obwohl sie kaum Aussicht auf eine sichere Zukunft haben. Welche Folgen das haben kann, darauf macht einer aufmerksam, der es geschafft hat: Johannes Haushofer, Assistenzprofessor an der privaten Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey. Mit seinem „CV of failures“ – einem „Lebenslauf des Scheiterns“.

Darin schreibt er etwa über akademische Stellen, auf die er sich bewarb und die er nicht bekam, über Stipendien, für die er nicht ausgewählt wurde, und über Aufsätze, die er verfasste und die nicht zur Veröffentlichung angenommen wurden. Außerdem schreibt er augenzwinkernd, dass sein Lebenslauf des Scheiterns „wesentlich mehr Aufmerksamkeit“ bekommen habe, als seine gesamte wissenschaftliche Arbeit.

Er selbst hat es von Hof bis Princeton geschafft

„Ich bin nicht sicher, ob es gut ist, für sich selbst einen zu schreiben“, sagt der 36-Jährige aber. „In der Psychologie nutzt man ähnliche Übungen, um Leute zu stressen.“ Ihn selbst müssen seine Misserfolge aber nicht allzu sehr belasten. Geboren in Hof, ist er über Oxford und Harvard nach Princeton gelangt. Sein akademischer Lebenslauf ist sieben Seiten lang. Seine Gegen-Erzählung, der „CV of failures“, misst zwei Seiten und erregt im Netz Aufsehen.

Zuerst wollte Haushofer nur eine andere Perspektive bieten. Jetzt will er die Aufmerksamkeit für eine Debatte nutzen. „Das Meiste von dem, was ich probiere, scheitert“, schreibt Haushofer über seine Liste der Rückschläge. „Aber diese Misserfolge sind oft unsichtbar, während die Erfolge sichtbar sind.“ Andere dächten deshalb oft, es läge an ihnen, wenn sie etwas nicht schaffen. Was sie nicht sehen, sagt Haushofer: die Macht des Zufalls, dass Bewerbungen auch Glückssache sind und Auswahlkomitees schlechte Tage haben.

Das wollte schon Melanie Stefan von der University of Edinburgh ändern: Sie machte als Erste die Idee eines „CV of failures“ publik. „Wir Wissenschaftler konstruieren eine Geschichte des Erfolgs“, schrieb sie. Wer Rückschläge erlebe, verstecke sie, fühle sich allein und entmutigt.

Ratsam ist der "CV of failures" nicht

„Ich finde den Versuch gut, die teilweise verrückte Idealisierung zu durchbrechen“, sagt Hans-Werner Rückert, der die Psychologische Beratung der Freien Universität Berlin leitet. Doch er ist skeptisch, ob „CVs of failures“ die Rekrutierungspraxis verändern. In Deutschland gibt es recht viele Doktoranden- und Postdoc-Stellen, aber befristet auf ein oder zwei Jahre. Dauerhafte Professuren mit Anstellung dagegen sind rar, die Nachfrage ist viel größer als das Angebot.

Um einen der wenigen Jobs zu ergattern, muss man viele Beiträge in kurzer Zeit in anerkannten wissenschaftlichen Veröffentlichungen unterbringen. „Das schafft erheblichen Druck“, sagt Rückert. Daher der Spruch „publish or perish“. Veröffentliche – oder geh' zugrunde.

Den Druck, den vermeintlich perfekten Lebenslauf zu haben, kennen viele Berufsanfänger. Der Unterschied zur Wirtschaft sei, dass die Jobperspektiven in der Wissenschaft viel länger unsicher blieben, sagt der Vize-Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Andreas Keller. Ob man eine Professur bekommt, entscheide sich mit Ende 30, Anfang 40. Für den Wechsel ins Ausland oder in die freie Wirtschaft sei es da fast zu spät.

„Ich würde mir wünschen, einfach mit ganzem Herzen Wissenschaftlerin sein zu können“, sagt eine junge Frau, die gerade ihren Doktortitel in Geschichtswissenschaft an einer bayerischen Universität macht. „In Wirklichkeit habe ich aber Angst vor prekären Arbeitsverhältnissen und Altersarmut trotz hohem Bildungsgrad und großem Engagement.“ Dass sie eine Frau ist und sich Kinder wünscht, verstärke den Druck noch. Die Doktorandin will ihren Namen nicht mit diesen Zitaten in den Medien veröffentlichen. Wer klagt, hat Sorge, als zu schwach für die Aufgaben wahrgenommen zu werden. „Gerade gute Forschung braucht Zeit, und sie kennt natürlicherweise auch unproduktive Phasen“, sagt die junge Historikerin. „Die sind allerdings nicht vorgesehen.“

Jeder zwanzigste Nachwuchsforscher schläft schlecht

Es gibt der GEW zufolge keine offiziellen Zahlen zur psychischen Gesundheit von Nachwuchswissenschaftlern. Rückert schätzt, dass etwa fünf Prozent der jungen Forscher an seiner Uni sich bei ihm und seinen Kollegen etwa wegen Schlafstörungen oder Konzentrationsprobleme Hilfe holen, wobei seiner Meinung nach mehr Probleme haben. Sie gingen lieber zum Hausarzt, versuchten, sich selbst zu kurieren oder mit Drogen abzulenken.

„Lässt man die Unsicherheit zu nah an sich heran, blockiert sie das Denken und damit das Arbeiten“, berichtet die junge Historikerin von eigenen Erfahrungen. „Viel produktiver ist da schon der Ärger darüber, dass unsere Gesellschaft meine Fähigkeiten wenig zu schätzen scheint.“

Bis vor wenigen Jahren seien die schlechten Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft eher geleugnet worden, schildert GEW-Vize Keller. Im Mai einigte sich die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern auf ein Förderprogramm für längere Vertragslaufzeiten. Die psychische Gesundheit der Betroffenen aber, so Keller, ist noch gar nicht auf der Agenda.

Und wie sinnvoll sind ehrliche „CVs of failures“? Selbst der prinzipiell aufgeschlossene psychologische Berater Rückert betont: „Ich würde niemandem raten, einen solchen CV of failures zu veröffentlichen, der auf Jobsuche ist.“ dpa

LITERATURTIPPS

Axel Brennicke: „Wollen Sie wirklich Wissenschaftler werden? ... dann los!“ Was Nachwuchsforscher über den Wissenschaftsbetrieb wissen sollten, wird in diesem Sachbuch auf kommentierende, auf polarisierende wie unprätentiöse und zum Nachdenken anregende Weise erklärt. Spektrum Akademischer Verlag, 2011, 214 Seiten, 14,95 Euro

Anke Wilde: „Auf dem Weg zur Professur. Die Postdoc-Fibel“, „Wie werde ich Professor?“, „Was verdient ein wissenschaftlicher Mitarbeiter?“ oder „Lohnt sich die Habilitation?“. Praktische Fragen wie diese erklärt Wilde in ihrem Ratgeber sehr anschaulich. 164 Seiten, Softcover, academics.de, Hamburg, 2016, 16,95 Euro

K. Bodewits, A. Hauk, P. Gramlich: „Karriereführer für Naturwissenschaftlerinnen“, Nicht nur Frauen, sondern auch Männer, finden in diesem locker wie humorvoll geschriebenen Buch wertvolle Tipps zur Karriere als Naturwissenschaftler, von Alternativen zur klassischen Forscherkarriere über die richtig Bewerbung, Aufstiegschancen und den beruflichen Wechsel bis zum Wiedereinstieg nach einer Familienpause. Wiley VCH Verlag, Weinheim/Berlin, 2015, 315 Seiten, 29,90 Euro

Sophie Rohrmeier

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