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Nicht nur der Rollstuhl stellt ein Handicap dar - sondern auch die Haltung der Firmen

© Kitty Kleist-Heinrich

Beruf: Behinderung bremst aus

Wer mit Handicap eine neue berufliche Perspektive sucht, findet trotz vieler Förderprogramme nur selten einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt. Doch die Quote in Unternehmen hilft ein wenig

Ein Autounfall, Krebs, Multiple Sklerose oder eine schwere Depression: Jeder kann plötzlich ein Mensch mit einer Behinderung sein. Wer eben noch gesund war und leistungsstark im Beruf, braucht dann vielleicht Hilfe, berufliche Assistenz, muss umschulen oder ist im schlimmsten Fall gar nicht mehr erwerbsfähig. Treffen kann es jeden.

Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge sind etwa 85 Prozent aller schweren Behinderungen nicht angeboren, sondern durch eine Krankheit verursacht, oft im fortgeschrittenen Alter. Zum Jahresende 2013 lebten etwa 7,5 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung in Deutschland, das entspricht 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Als schwerbehindert gilt jeder mit einem Behinderungsgrad von mehr als 50 Prozent. Das trifft auf Rollstuhlfahrer ebenso zu wie auf viele chronisch Kranke und Krebspatienten nach einer Operation. Aber auch Personen mit einem Behinderungsgrad unter 50 Prozent können von beruflichen Brüchen betroffen sein und Unterstützung benötigen.

Mit der steigenden Lebenserwartung steigt auch die Häufigkeit von Behinderungen. In den kommenden Jahrzehnten wird daher mit einem Anstieg vor allem schwerer Behinderungen zu rechnen sein. Umso bedeutender werden im Berufsleben Umschulungen und Weiterbildungen.

Im Juli waren knapp 180 000 Schwerbehinderte Arbeitslos gemeldet

Wer behindert ist oder von aufgrund einer Erkrankung von einer Behinderung bedroht ist, hat Anspruch auf verschiedene Arten Hilfe. Infrage kommen allgemeine Arbeitsmarktmaßnahmen wie Ausbildungen, Umschulungen, Probebeschäftigung, Existenzgründungszuschuss, Eingliederungszuschuss und andere Programme. Bei schweren Behinderungen kann der Betroffene besondere Maßnahmen der Teilhabe beantragen (siehe Kasten).

Im Jahr 2013 haben die Arbeitsagenturen insgesamt 2,35 Milliarden Euro für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben ausgegeben. Trotz dieser Summe sei die berufliche Situation der Menschen mit Behinderungen „noch nicht zufriedenstellend“, schreibt die Bundesagentur für Arbeit im Eingliederungsbericht 2013. Zwar haben immer mehr Schwerbehinderte einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Aber die Arbeitslosenquote dieser Gruppe sinkt kaum – und ist fast doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juli knapp 180 000 Schwerbehinderte arbeitslos gemeldet; obwohl unter ihnen der Anteil der Fachkräfte höher ist, bleiben sie im Durchschnitt länger arbeitslos und haben schlechtere Chancen, eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden.

„Vor allem kleine Unternehmen wissen noch immer viel zu wenig über die Möglichkeiten, Mitarbeiter mit Behinderungen zu beschäftigen“, sagt Katrin Werner, Behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Dazu kommt das Problem, dass viele Hilfsleistungen zeitlich befristet sind und immer wieder neu beantragt werden müssen.“

Man muss herausfinden, welche Rechte man hat und sie einfordern

Unter dem Titel „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“ hat die Linksfraktion Anfang Juli einen Antrag mit umfassenden Handlungsvorschlägen im Bundestag vorgelegt. Unter anderem fordern sie, die Beschäftigungspflicht für Unternehmen zu verschärfen und Fördermöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auszuweiten – trägerübergreifend und langfristig. Heute werde es Betroffenen sehr schwer gemacht, herauszufinden, welche Möglichkeiten ihnen überhaupt zustehen, sagt Werner. „Man muss selbst wissen, welche Rechte man hat und diese einfordern.“

Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten sind verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Die Quote war Anfang 2001 von der rot-grünen Koalition von sechs auf fünf Prozent gesenkt worden; die Linken fordern nun, die Quote wieder anzuheben. Kommen die Unternehmen ihrer Beschäftigungspflicht nicht nach, müssen sie pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz die sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen. Im Durchschnitt zahlen Unternehmen deshalb pro unbesetztem Arbeitsplatz 2000 Euro im Jahr an die Integrationsämter.

Arbeitgeber müssen überzeugt werden, dass es sich lohnt

In der Parlamentsdebatte zu diesem Thema wies die Union die Pläne der Linken zurück. Mit Zwang erreiche man nichts, sagte Uwe Schummer, Behindertenbeauftragter der Unionsfraktion. Stattdessen müssten die Arbeitgeber davon überzeugt werden, dass es sich lohnt, Menschen mit Behinderung einzustellen. Ganz andere Töne waren allerdings kurze Zeit später aus dem Bundesfinanzministerium zu hören. Minister Wolfgang Schäuble plane, die Ausgleichsabgabe zu verdoppeln, meldete der Spiegel, auf durchschnittlich 4000 Euro pro Jahr. Ein Ministeriumssprecher bestätigte dies Nachricht: Eine Vorlage dazu sei dem Arbeitsministerium übermittelt worden; eine Bewertung stehe aber noch aus.

531 Millionen Euro haben die Integrationsämter 2013 mit der Ausgleichsabgabe eingenommen; das entspricht rund 265 000 unbesetzten Pflichtarbeitsplätzen. Im Vergleich zu 2010 sind die Einnahmen laut der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) um 66 Millionen gestiegen.

Das Geld aus der Ausgleichsabgabe darf nur zweckgebunden verwendet werden: für Maßnahmen und Projekte, welche die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben fördern. Ein Fünftel der Einnahmen fließt an den Ausgleichsfonds des Bundesarbeitsministeriums, zur Förderung überregionaler Vorhaben. Aus diesem Topf bekommt etwa die Bundesagentur für Arbeit Geld, um damit Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber zu bezahlen, die Schwerbehinderte neu einstellen. 80 Prozent der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe bleiben bei den Integrationsämtern und stehen für die regionale Förderung zur Verfügung.

Die Zahl der psychisch Behinderten in Behindertenwerkstätten steigt

Ein nicht unwesentlicher Teil der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe geht an Behindertenwerkstätten und Wohnheime. 37 Millionen Euro haben die Integrationsämter 2013 an die Werkstätten überwiesen – 2010 waren es noch 31 Millionen. Derzeit sind rund 300 000 Menschen mit Behinderungen in einer Werkstatt beschäftigt, Tendenz steigend; jeder Fünfte von ihnen hat eine psychische Behinderung. Laut BIH ist vor allem die Zahl der psychisch behinderten Werkstattbeschäftigen in den vergangenen Jahren gestiegen.

Kritiker sehen diese Entwicklung mit Sorge. Denn weniger als einem Prozent der Werkstattbeschäftigten gelingt der Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt. Angesichts dieser Zahlen sind manche der Ansicht, dass Werkstätten eher eine Sackgasse bedeuten als eine Form der beruflichen Wiedereingliederung.

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