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Bier aus Berlin: Oliver Lemke, Chef von "Lemke-Bräu", braut am Hackeschen Markt.

© Thilo Rückeis

Berlins Brauer Oli Lemke ist sauer: „Unsere Brauerei bekommt keinen Cent vom Staat“

Umsatzeinbruch, kein Gewinn, doch statt Unterstützung gibt es Misstrauen. Unternehmer werden in der Krise behandelt wie Verbrecher, schimpft Lemke.

Oliver Lemke ist ein Brauer mit Leib und Seele. In seiner gleichnamigen Brauerei am Hackeschen Markt braut er Craft-Biere. Die gibt es im Supermarkt zu kaufen, aber vor allem wird das Bier in den vier Gasthäusern ausgeschenkt die Lemke in Berlin betreibt. Doch wegen des Lockdowns sind die Gaststätten am Alexanderplatz, Hackeschen Markt, am Schloss Charlottenburg und im Tiergarten geschlossen. Für Lemke ist das eine schwere Zeit Der Umsatz ist eingebrochen, Gewinne gibt es schon seit Monaten nicht mehr. Trotzdem bekommt seine Brauerei keine Hilfe. Lemke ist sauer. Die Bundesregierung habe bei den wirtschaftlichen Hilfen auf der ganzen Linie versagt.

Herr Lemke, brauen Sie eigentlich im Moment noch Bier?
Wir haben ja zum Glück nicht nur Kunden in der Gastronomie, sondern auch im Einzelhandel und im weltweiten Netz.

Viele Brauereien haben in der letzten Zeit Bier verschenkt oder weggeschüttet, weil sie es wegen des Lockdowns nicht verkaufen konnten und das Bier drohte, schlecht zu werden. Sie auch?
Das war bei uns auch so. Allerdings ist das Bier nicht schlecht geworden – Bier wird gar nicht schlecht –, sondern das Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Deshalb musste es weg. Dabei ist das Mindesthaltbarkeitsdatum beim Bier unsinnig. Wir müssen eines angeben, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, die Terminierung liegt bei uns. Der Handel zwingt uns zu langfristigen Mindesthaltbarkeitsdaten, damit das Risiko einer Überschreitung möglichst gering ist. Viel sinnvoller wäre ein Abfülldatum, so wie wir es freiwillig angeben. Ein hopfenintensives Bier sollte nämlich möglichst frisch getrunken werden, es verliert schon nach drei Monaten an Qualität.

Derzeit nur Flaschenbier: Fassbier ist unverkäuflich, so lange die Gastronomie geschlossen ist.
Derzeit nur Flaschenbier: Fassbier ist unverkäuflich, so lange die Gastronomie geschlossen ist.

© Thilo Rückeis

Wie ist die Stimmung in der Branche?
Verheerend. Viele Brauereien hängen an der Gastronomie oder an Festivals. Das ist ja alles weggebrochen. Es gibt einige wenige Krisengewinner. Das sind die Produzenten von billigem Flaschenbier. Die Leute trinken mehr zu Hause.

Kommt es in diesem Jahr zum großen Brauereisterben?
Ich habe in den letzten 20 Jahren, in denen ich selbstständig war, eines gelernt: Bis ein Unternehmer aufgibt, muss sehr viel passieren. Man wurstelt sich irgendwie durch, so wie wir auch. Wir stecken nicht den Kopf in den Sand. Aber wir haben aus der Krise eine bittere Erkenntnis mitgenommen: Wenn wir uns auf den Staat verlassen, sind wir verloren.

Keine Hilfe für die Brauerei: Lemke ist auf die Regierung schlecht zu sprechen.
Keine Hilfe für die Brauerei: Lemke ist auf die Regierung schlecht zu sprechen.

© Thilo Rückeis

Wie hart hat Sie Corona getroffen? Ihre Gasthäuser sind zu, Fassbier läuft nicht. Und das Flaschenbier-Geschäft, das Ihnen bleibt, bringt geringere Gewinnspannen.
Wir hatten vor Corona einen Fassbieranteil von 70 Prozent, diese 70 Prozent sind weg. Wir kompensieren dies ein bisschen, indem wir mehr Flaschenbier verkaufen. Aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir haben die Krise jedoch genutzt, um unser Geschäft zu modernisieren und zukunftsfest zu machen. Wir haben unser E-Commerce-Geschäft intensiviert und professionalisiert. Und wir haben im Unternehmen viele Abläufe digitalisiert, um Kosten zu sparen. Ich glaube, dass unsere Rentabilität und Produktivität nach der Krise besser sein wird als vorher. Allerdings mussten wir dazu in der Krise investieren und neue Räume mieten, um den Internethandel abzuwickeln. Das ist natürlich schwierig, wenn der Umsatz einbricht und man keine Gewinne macht.

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In Großbritannien sind die Pubs wieder geöffnet, Deutschland trinkt zuhause.
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© dpa

Haben die staatlichen Finanzhilfen Ihre finanziellen Probleme mildern können?
Nein. Die Brauerei bekommt keinen Cent von diesem Staat. Wir fallen mit der Brauerei durch alle Raster.

Wie kommt das?
Die Brauerei macht 70 Prozent ihres Umsatzes mit den vier Gaststätten, die wir in Berlin betreiben. Umsätze, die mit Schwesterunternehmen getätigt werden, fallen aber nach dem europäischen Beihilferecht unter den Tisch. Diese Brüsseler Regelung ist total irrsinnig. Wenn Sie eine Million Euro Umsatz machen und davon sind 600.000 Euro intern, werden bei der Berechnung des Umsatzes nach EU-Beihilferecht nur 400.000 Euro zugrunde gelegt. Und wenn man dieses Jahr auch 400.000 Euro Umsatz macht, gibt es nach der Denkweise der Bürokraten kein Problem. Das ist unfassbar. Unser Umsatz bricht ein, und wir bekommen keinen Cent Geld.

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Aber bekommen Braugasthöfe denn nicht seit kurzem Unterstützung?
Doch. Dafür hat der Deutsche Brauerbund lange gekämpft. Aber bei uns liegen die Dinge anders: Unsere Gasthäuser sind eigene Unternehmen, deshalb haben wir auch hier das Nachsehen. Aber nach 20 Jahren Unternehmertum wundert mich nichts mehr. Es wird etwas versprochen, und dann stehen im Kleingedruckten Hunderte von Gründen, warum es nicht funktioniert. Dahinter steckt eine erschreckende Mentalität. Wir haben eine nationale Krise und die Unternehmer werden behandelt als wären sie Verbrecher, die sich bereichern wollen.

Was ist mit Ihren Gasthäusern?
Für die Gastronomie bekommen wir etwas Geld, aber da wird jetzt eine Tiefenprüfung veranlasst. Mit externen Beratern. Ob wir wirklich Ansprüche haben. Da fällt einem doch nichts mehr ein. Selbst wenn wir das Geld, das wir versprochen bekommen, erhielten, wäre das doch nur ein Bruchteil der Steuern, die wir in den 20 Jahren vorher bezahlt haben. Als Kleinunternehmer haben Sie aber keine Lobby. Die Großen wie die Tui drohen mit Entlassungen, das wirkt. Wir fallen hinten rüber.

Alles zu: Die Kneipenmeile "Barfußgäßchen" in Leipzig ist während der coronabedingten Schließung der Gastronomie verwaist.
Alles zu: Die Kneipenmeile "Barfußgäßchen" in Leipzig ist während der coronabedingten Schließung der Gastronomie verwaist.

© ZB

Aber wie kommen Sie jetzt durch die Krise? Ihre Kosten laufen ja weiter.
Der Ärger geht doch weiter. Bei der Überbrückungshilfe III, die seit Januar läuft, bleibt die Brauerei wieder außen vor, aber zumindest hat die Gastronomie Anspruch auf Unterstützung. Aber wir bekommen in diesem Programm nur 70 Prozent unserer Fixkosten ersetzt. Gleichzeitig sollen wir unsere Buchhaltung aufrecht erhalten, unsere Umsatzsteuervoranmeldung machen und Löhne abrechnen. Jetzt muss ich auch noch Testkits für die Mitarbeiter kaufen. Ich soll alles bezahlen, aber wovon denn? Ich habe auch eine Familie, vier Kinder, seit 14 Monaten verdienen wir nichts. Darüber macht sich keiner Gedanken.

Die Brauerei hat ein Darlehen von der KfW bekommen. Hilft das nicht?
Doch, aber das Geld ist inzwischen aufgebraucht, und wir müssen es in den nächsten zehn Jahren zurückzahlen. Ich hoffe, dass wir bis dahin so viel aufgebaut haben, um das zu können. Was die wirtschaftlichen Hilfen angeht, so hat diese Bundesregierung meiner Meinung nach auf der ganzen Linie versagt. Es gibt gute Leute in der zweiten Reihe, aber an den entscheidenden Stellen sitzen die Falschen, und die Bürokratie bringt das Fass endgültig zum Überlaufen.

Müssen Sie Ihr Eigenkapital aufbrauchen?
Ja, klar. Man nimmt, wo man noch was hat. Und man reduziert seine eigenen Ansprüche. Irgendwie muss es gehen. Notfalls müssen wir uns verkleinern. Wir haben in Berlin vier Gasthäuser und die Brauerei. Ich kann heute nicht absehen, ob ich alle vier Häuser halten kann oder ob ich ein oder zwei Standorte aufgeben muss. Das wäre bitter, denn in jedem Standort steckt viel Herzblut. Ich glaube, wir sind frühestens 2022 oder 2023 wieder da, wo wir vor der Krise waren. Aber die stationären Einzelhändler trifft es noch schlimmer. Weil immer mehr Menschen online kaufen, werden die Geschäfte vor Ort dauerhaft ums Überleben kämpfen.

Eines von vieren: Das Brauhaus von Lemke am Alexanderplatz.
Eines von vieren: Das Brauhaus von Lemke am Alexanderplatz.

© Brauerei Lemke/promo

Wie sieht Ihr Onlinehandel aus, woher kommen Ihre Kunden?
Die meisten kommen aus Deutschland. Internationale Lieferungen scheitern an den Transportkosten. Wenn Sie einen Sechser-Träger-Bier nach Großbritannien schicken, kostet der Versand 25 Euro. Das macht keinen Sinn. Wir haben überraschend viele Kunden in Nordrhein-Westfalen. Jetzt denken wir natürlich darüber nach, ob wir unser Bier dort nicht auch in den Einzelhandel bringen. Als kleine Brauerei kann man ja nicht deutschlandweit vertreten sein.

Woher kommt die Liebe der Nordrhein-Westfalen zu Lemke-Bräu?
Die Menschen dort mögen Bier einfach gern und haben ja auch eine historische Verbundenheit zu dem Getränk. Und sie sind offen für Neues. Wir arbeiten ja auch an neuen Produkten.

Welche sind das?
Wir haben im letzten Winter unsere Barrel-Serie erweitert, also die Lagerung von Bier in besonderen Fässern. Das werden wir auch im nächsten Winter wieder aufleben lassen. Wir haben unsere Berliner Weiße um Kirsch erweitert, demnächst kommt eine Variante, die auf Mate gelagert wird. Und ganz besonders freuen wir uns auf unsere Luise. Das ist eine Berliner Weiße mit acht Prozent Alkohol. Die wird in Sekt- oder Champagnerflaschen abgefüllt und soll dem Schaumwein Konkurrenz machen. Die Luise ist schon abgefüllt, wir warten nur noch auf die Etiketten.

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