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Vattenfall-Monteure machen sich auf dem Archivfoto an einer Hochspannungsleitung zu schaffen. Das Hochspannungsnetz hat der Konzern auf Druck der Politik längst verkauft, jetzt geht es um das 35 000 Kilometer lange Verteilnetz in Berlin.

© Rainer Weisflog

Berliner Stromnetz: Entscheidung über die Konzession

Finanzsenator bereitet Senatsvorlage zur Konzessionsvergabe vor. Die landeseigene Berlin Energie könnte den Alt-Konzessionär Vattenfall ausstechen.

Es war ein Gespräch in freundlicher Atmosphäre am vergangenen Dienstag im Roten Rathaus. Aus Stockholm war der Vattenfall-Vorstandsvorsitzende Magnus Hall angereist, der von Tuomo Hatakka begleitet wurde, dem Deutschlandchef des schwedischen Staatskonzerns. Neben Gastgeber Michael Müller hatte sich aus der Landesregierung auch Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) eingefunden. Die Herren unterhielten sich über die Klimaziele des Senats und den Ausstieg Vattenfalls aus der Kohle sowie die Energiewende überhaupt.

Das Thema, das die Vattenfall-Männer wirklich umtreibt, durfte aus Verfahrensgründen nicht zur Sprache kommen: die Vergabe der Konzession für den Betrieb des Berliner Stromnetzes. Allerdings, so ist zu hören, hätten die Politiker den Managern signalisiert, dass die Konzession an die landeseigene Berlin Energie gehen wird. Das wäre extrem bitter für den Konzern, dem das Netz seit der Privatisierung der Bewag gehört und der sich seit Beginn des Konzessionsverfahrens immer als Favoriten gesehen hat – weil es auch grundsätzlich schwierig ist, den bewährten Alt-Konzessionär von einem Newcomer ausstechen zu lassen. Das führt vor Gericht, wie der Fall der Gasag zeigt.

Das Gas-Verfahren ist vermurkst

Die zuständige Vergabestelle beim Finanzsenator hatte 2014 die Konzession für den Betrieb des Gasnetzes überraschend nicht dem Alt-Konzessionär Gasag, sondern dem erst 2012 gegründeten Landesbetrieb Berlin Energie zugeschlagen. Die Gasag klagt, die juristische Auseinandersetzung zieht sich über Jahre, Anfang April steht der nächste Termin vor dem Berliner Kammergericht an. Bis zu einer endgültigen Entscheidung betreibt die Gasag das Gasnetz weiter.

Die Berlin Energie hat sich zwischenzeitlich auch um die Konzession des Stromnetzes beworben und folgt damit dem Auftrag der Politik, die sich eine Verstaatlichung der Energieinfrastruktur im Land Berlin wünscht. „Die Koalition strebt eine 100-prozentige Rekommunalisierung des Stromnetzes an“, so steht es im Regierungsvertrag von SPD, Linken und Grünen. Finanzsenator Kollatz kommt dieser Vorgabe nun offenbar nach. Für die Sitzung des Senats am 5. März will er eine entsprechende Vorlage einreichen. Kommt Vattenfall nicht zum Zuge, wird der Konzern den Weg vor Gericht einschlagen. Und bis zur Entscheidung irgendwann im nächsten Jahrzehnt das Netz weiterbetreiben – und -besitzen.

Vattenfall bietet Kooperation an

Die Vattenfall-Manager kennen selbstverständlich den Koalitionsvertrag und sind dem Land mit ihrem Angebot, das im August 2016 abgegeben wurde, entgegengekommen: Der Konzern bietet im Rahmen eines sogenannten Kooperationsmodells dem Senat eine Beteiligung an der Netzgesellschaft an. Nach fünf Jahren könnte Berlin sogar die Mehrheit übernehmen. Angeblich hatten damals sowohl Kollatz als auch Michael Müller Sympathie für diesen Vorschlag. Doch der Druck der Koalitionsfraktionen ist zu groß, zumal das Thema Verstaatlichung gegenwärtig fröhliche Urständ feiert. Die erneute Konzession für Vattenfall würde die Koalition belasten.

Eine Gesamtlösung für die Berliner Netze – neben Gas und Strom gehört dazu auch das Fernwärmenetz, ebenfalls in der Hand von Vattenfall – bleibt jedoch ein Traum von rot-rot-grünen Koalitionspolitikern. Kollatz hatte vor Jahren daran gearbeitet und den Gasag-Miteigentümer Eon als industriellen Partner des Landes ausgerufen. Adressaten des Manövers waren Vattenfall und die französische Engie, die zum Verkauf ihrer Gasag-Anteile bewegt werden sollten. Wenn das funktioniert hätte, wäre die Gasag in den Besitz des Landes und von Eon übergangen; der Rechtsstreit wäre beendet worden, die Konzession für das Gasnetz hätte die nunmehr (zumindest zum Teil) rekommunalisierte Gasag bekommen.

Rückzug aus der Kohle und aus Hamburg

Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen, und die Eon ist inzwischen voll ausgelastet mit der Übernahme von Innogy. Dieser Deal könnte wiederum Auswirkungen auf die Aktionärsstruktur der Gasag haben, denn der Eon/Innogy-Wettbewerber Mainova aus Frankfurt (Main) klagt gegen Eon/Innogy, was dazu führen könnte, dass sich Eon von seinen Gasag- Anteilen trennen müsste – und Kollatz den industriellen Partner verlöre. Es ist also alles kompliziert und verworren auf dem von Atom- und Kohleausstiegen und der Rekommunalisierung geprägten Energiemarkt. Welche Rolle Vattenfall hier künftig noch spielt, ist offen.

Auf dem Höhepunkt der Privatisierungs- und Deregulierungswelle hatte sich der schwedische Staatskonzern zwischen 1999 und 2003 den Hamburger Stromversorger HEW, die Bewag in Berlin und das ostdeutsche Braunkohlegeschäft (Veag und Laubag) gekauft. Aus Hamburg hat sich Vattenfall inzwischen ebenso zurückgezogen wie aus der Braunkohle. Und in Berlin hadert der Konzern seit Jahren mit der Politik.

Tuomo Hattaka will sich bald zurückziehen

„Berlin ist und bleibt der wichtigste Standort von Vattenfall in Deutschland“, betonte Hatakka in einem Schreiben an das Abgeordnetenhaus im Sommer 2016. Bis 2020 werde man hier zwei Milliarden Euro investieren, unter anderem in die „modernsten ,Energiewende-Kraftwerke‘ für die zukünftige Wärme- und Stromversorgung der Stadt“. Seit 2008 sitzt Hatakka in der Berliner Vattenfall-Zentrale an der Chausseestraße . Dem 63-jährigen Finnen wird Amtsmüdigkeit nachgesagt, und eine Nachfolgerin stünde wohl auch bereit: Im Januar kam Tanja Wielgoß als Verantwortliche für das Fernwärmegeschäft zu Vattenfall. Wielgoß hat Erfahrungen mit dem politischen Geflecht in Berlin: Sie war vier Jahre Vorstandsvorsitzende der BSR.

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