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Prozessbeobachter nehmen ihn als gebrochenen Mann wahr.

© picture alliance / Mohssen Assan

Beluga-Prozess: Der Absturz eines Vorzeigeunternehmers

Im Prozess um die Beluga-Reederei wird heute ein Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft fordert mehrere Jahre Haft. Beobachter erleben Niels Stolberg als gebrochenen Mann.

„Ich habe eine märchenhafte Karriere gemacht, vom Deckjungen zum Kapitän und weiter zum Reeder und Multimillionär; dann bin ich abgestürzt nach ganz, ganz unten.“ Treffender lässt sich die tragische Lebensgeschichte des Bremer Großreeders Niels Stolberg wohl kaum zusammenfassen. Im Sommer soll sein Auf- und Abstieg in Buchform erscheinen. Daraus stammt auch das Vorab-Zitat. Eine zentrale Information fehlt allerdings noch in dem Manuskript: Ob Stolberg am Donnerstag ins Gefängnis muss.

Nach mehr als zwei Jahren wird sich dann der Mammutprozess am Landgericht Bremen gegen den 57-Jährigen entscheiden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug, Kreditbetrug, Untreue und Bilanzfälschung vor. Solche Delikte sollen Stolberg und drei mitangeklagte damalige Manager des Beluga-Reedereikonzerns zwischen 2006 und 2010 in wechselnder Beteiligung begangen haben. Vor allem, um die junge Firmengruppe vor dem Untergang zu retten. Ein Manöver, das missglückte: Am 16. März 2011 musste die erste Beluga-Gesellschaft Insolvenz anmelden. In der Folge brach nach und nach der ganze Konzern zusammen.

Der innovative und mildtätige Multimillionär verlor damit sein Lebenswerk – und die Gesundheit: Während des Prozesses erkrankte er an Magenkrebs. Er war deshalb in den vergangenen Monaten nur noch eine Stunde pro Woche verhandlungsfähig.

Der Paradiesvogel unter den Reedern

Der Wirtschaftsingenieur und Schifffahrtskaufmann mit Kapitänspatent hatte seine Karriere 1995 recht bescheiden begonnen: mit einem „Befrachtungskontor“ für die Vermittlung von Ladung an Reedereien. In wenigen Jahren machte er daraus die angeblich größte Schwergutreederei der Welt. Zuletzt ließ er 72 eigene oder angemietete Frachter über die Meere fahren und beschäftigte über zweitausend Menschen in aller Welt.

Stolberg, 2006 zum Bremer „Unternehmer des Jahres“ gekürt, galt als Paradiesvogel unter den Reedern. 2008 setzte er erstmals auf einem Frachter einen Zugdrachen ein, der den Dieselmotor unterstützte. 2009 folgte das nächste Experiment: Als angeblich erstes kommerzielles Frachtschiff durchquerte die „Beluga Fraternity“ die gesamte Nordostpassage nördlich Sibiriens.

Auch als Sponsor und Spender machte er sich einen Namen: In den gut 15 Beluga-Jahren dürfte er 20 bis 30 Millionen Euro verteilt haben. Und das nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in Thailand, wo er 2005 ein Dorf für Tsunami-Waisen gründete. Weil er in Elsfleth an der Unterweser ein maritimes Aus- und Fortbildungszentrum mitfinanzierte, wurde er dort zum Ehrenbürger ernannt. Nebenbei engagierte er sich auf der beschaulichen Nordseeinsel Spiekeroog als Hotelinvestor und eröffnete eine Kultur- und Tagungsstätte mit Prominentenflair (die später ebenfalls in den Beluga-Pleitestrudel geriet).

Die Lichtgestalt hatte allerdings auch eine dunkle Seite – jedenfalls nach Ansicht der Staatsanwaltschaft. Die stark expandierende Reederei soll ab 2006 den kreditgebenden Banken viel zu hohe Baukosten für 20 neue Frachter vorgespiegelt haben, um höhere Kredite zu bekommen. Außerdem soll Stolberg den US-Investor Oaktree hintergangen haben, den er 2010 als neuen Miteigentümer und Geldgeber in den Konzern geholt hatte, um die Weltwirtschaftskrise zu überstehen. Die Beluga-Spitze soll die Investoren damals mit erfundenen Umsatzerlösen und frisierten Jahresabschlüssen zu Millionenzahlungen bewogen haben. Als die Tricksereien ruchbar wurden, jagte Oaktree den Firmengründer ohne Vorwarnung davon.

Er sagte: „Ich bereue zutiefst“

Ein Teil der diversen Anklagevorwürfe hat sich während des gut zweijährigen Prozesses in Luft aufgelöst. Aber aus Sicht der Staatsanwaltschaft bleiben noch genug Delikte für eine viereinhalbjährige Haftstrafe übrig. „Blind vor Ehrgeiz“ sei Stolberg gewesen, von „wahnhaftem“ Wachstumsstreben getrieben, und er habe „hohe kriminelle Energie“ gezeigt, meinte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer.

Die Verteidigung findet das „völlig überzogen“. Stolberg habe sich nie persönlich bereichert, sondern nur sein Unternehmen retten wollen. Dafür dürfe er höchstens mit zwei Jahren auf Bewährung bestraft werden.

Das letzte Wort hatte wie üblich der Angeklagte. Der vierfache Vater, inzwischen ergraut, schloss sich nicht nur den Ausführungen seiner Verteidiger an, sondern sprach zehn Minuten lang über seine Fehler, seine Schuldgefühle, seinen Untergang. Alles habe er verloren: sein Lebenswerk, sein Ansehen, seine Gesundheit. Er sagte: „Ich bereue zutiefst.“

Ob ihm diese Worte die erhoffte Bewährung einbringen, entscheidet sich am Donnerstag. Auch wenn Prozessbeobachter den einstigen Vorzeigeunternehmer als gebrochenen Mann erlebten, scheint er nicht aufgeben zu wollen. Nach der Firmen- und Privatinsolvenz hat er sich in Oldenburg eine kleine Unternehmensberatung aufgebaut. Sein fast druckfertiges Buch, das er gemeinsam mit einem Journalisten geschrieben hat, trägt den Titel „Unsinkbar“.

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