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Im Einsatz für das Gemeinwohl brauchen immer öfter auch die Helfer Hilfe. Die kann jeder geben.

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Beamtenbund schlägt Alarm: So gefährlich ist die Arbeit im öffentlichen Dienst

Mitarbeiter im öffentlichen Dienst fühlen sich nicht genug geschützt. Ihre Bedrohung nimmt zu, warnt der Beamtenbund.

Als die Polizisten das Haus verlassen, warten mehr als 40 Menschen auf die Beamten und schmeißen mit Kieselsteinen nach ihnen. Warum? Weil sie die Wohnung eines 19-Jährigen durchsuchten, nachdem sie Koks in seinem Auto gefunden hatten.

Der Vorfall in Kreuzberg ist zehn Tage her und steht exemplarisch für ein enormes Problem. Polizisten werden verletzt, Rettungsassistenten angepöbelt, Jobcenter-Mitarbeiter bespuckt. Im Dienst der Gesellschaft zu arbeiten, ist gefährlich geworden.

Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber Deutschlands. Fast fünf Millionen Mitarbeiter sorgen im Bund, bei den Ländern oder Kommunen dafür, dass Deutschland funktioniert und setzen sich für das Wohl des Gemeinwesens ein. Um ihr eigenes Wohl steht es allerdings nicht gut.

Laut einer Befragung des Forsa-Instituts im Auftrag des Beamtenbunds dbb hat jeder Zweite von ihnen schon einmal einen Übergriff selbst erlebt. Sie wurden beleidigt (89 Prozent), angeschrien (68 Prozent), körperlich bedrängt (31 Prozent) oder geschlagen (17 Prozent).

„Es ist höchste Zeit, zu handeln“, kommentiert der dbb-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach die Daten, die nicht nur auf Selbstwahrnehmung basieren. Von gut 2000 befragten Bundesbürgern hat jeder Vierte schon beobachtet, wie ein Beschäftigter des Staates angegangen wird. In den meisten dieser Fälle waren Polizisten betroffen (73 Prozent), gefolgt von Rettungskräften und Notärzten (58 Prozent), Bus- und Bahnfahrern (42 Prozent) bis hin zu Lehrern (36 Prozent). 83 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind der Auffassung, dass die Gesellschaft verroht und der Umgang untereinander rücksichtsloser wird.

Es fehlen mehr als 200.000 Angestellte

Silberbach wirft den Dienstherren vor, die Probleme häufig zu bagatellisieren oder sogar zu verschleiern. Deswegen bräuchte es Ombudsleute, an die sich betroffene Kolleginnen und Kollegen wenden könnten. Selbst Ohrfeigen und Bedrohungen mit Messern seien inzwischen keine Seltenheit mehr. Er fordert außerdem ein Investitionsprogramm für mehr Sicherheit im öffentlichen Dienst – durch mehr Personal und ein bundesweites Register zur Erfassung von Übergriffen.

Eine Gesetzesänderung zum besseren Schutz der Beschäftigten habe noch nicht viel verbessert. 2017 hatte die Regierung die Möglichkeit auf den Weg gebracht, Angriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute höher zu bestrafen. Bis zu fünf Jahre Haft drohen für solche Attacken.

Silberbach fordert jetzt, das strengere Vorgehen auf alle Gruppen – also auch auf Jobcenter-Mitarbeiter – auszuweiten. Ein solcher tätlicher Angriff ist bereits ein Handeln, das unterhalb einer Körperverletzung liegt, wie etwa eine Schubserei. Um das zu ahnden, brauche es aber wiederum „mehr Personal für Sicherheit und Justiz, damit ein Fehlverhalten zeitnah und spürbar sanktioniert werden kann“.

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Doch was ist mit dem Verhalten von Polizistinnen oder Mitarbeitern des Ordnungsamtes? Auch ihr Verhalten wird nicht immer als freundlich und respektvoll empfunden. Kommt die Wut des Bürgers auch daher? Dass sich Beamte ebenfalls falsch benehmen, will Silberbach nicht in Abrede stellen. „Menschen machen Fehler, das kann passieren“, sagt er. Die Ursache sieht er darin, dass sich die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes oft sehr allein gelassen fühlten und unter einem enormen Druck stünden. Würde es einen starken Staat geben, mehr Personal, wären die Mitarbeiter auch nicht mehr so gestresst und erschöpft. Nach aktuellen Schätzungen des Beamtenbunds fehlen mehr als 200.000 Angestellte, besonders in den Kommunalverwaltungen.

Müllabfuhr ist beliebt, Arbeitsamt nicht

Die jahrzehntelange Sparpolitik habe aus Sicht des Gewerkschafters noch eine Konsequenz: „Wir haben besorgniserregende Anzeichen für einen generellen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates in Deutschland.“ Ein Drittel findet ihn schwächer als in den Vorjahren.

Sechs von zehn Deutschen halten ihn bei zentralen Aufgaben für überfordert – in der unteren sozialen Schicht und unter AFD-Wählern sind es noch deutlich mehr. Die Außenwirkung von Behörden, Schulen und Gerichten müsse aus Sicht von Silberbach deswegen schnell verbessert werden – durch mehr Mitarbeiter, eine bessere Bezahlung, weniger Bürokratie und deutliche Schritte hin zu einer digitalen Verwaltung.

Für besonders überlastet halten die Befragten den Staat laut der Umfrage in den Bereichen Schule und Bildung, Migration, innere Sicherheit – gefolgt von Umweltschutz, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung. „Alles Themen, die mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft und dem gestörten Gerechtigkeitsempfinden der Leute zu tun haben“, kritisiert Silberbach.

Die Menschen erwarteten einen „wirksamen Schutz vor den negativen Auswirkungen von Globalisierung, Digitalisierung und Entgrenzung“. Deswegen sollten Politiker den Menschen endlich wieder zuhören und aufhören, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen und Konflikte auszutragen.

Sollen die Deutschen Noten an die Behörden vergeben, bewerten sie die Müllabfuhr am besten und die Arbeitsämter am schlechtesten. Einzelne Berufsgruppen genießen bei den Bürgern laut der Umfrage ebenfalls ein hohes Ansehen. 94 Prozent halten viel oder sehr viel von Feuerwehrleuten – gefolgt von Ärzten (88 Prozent) und Krankenpflegern (87 Prozent). Am unteren Ende der Skala befinden sich Bankangestellte, Manager, Politiker, Mitarbeiter von Werbeagenturen und zuletzt Versicherungsvertreter.

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